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Überschuldung nach den Gründen, wie es zu derselben gekommen ist.57
Auch bestehen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens Abwägungs- und
Entscheidungsmöglichkeiten, welche Verträge zur Masseanreicherung
fortgeführt und dementsprechend beglichen werden sollen (§§53 - 55,
103ff. InsO), während andere als Insolvenzgläubiger ihre Forderung aus-
schließlich zur Tabelle anmelden können (§§87, 174ff. InsO). Damit be-
inhaltet das Insolvenzrecht aber nicht nur einen Katalog von Antworten
auf die Masseverteilung, sondern auch auf den Umgang mit konkreten
Vertragswerken.
3. Eröffnete man in den Fällen fehlender Solvenz den Anwendungsbe-
reich des §313 BGB, so ließen sich weder antizipationsfähige Parameter
für das Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle noch für die Frage sach-
gerechter Rechtsfolgen ausmachen.58 Ist etwa ein Händler nicht mehr da-
zu in der Lage, seine Lieferanten zu befriedigen, ausstehende Strom- und
Gasrechnungen zu begleichen, die Mitarbeitergehälter zu bedienen und
die Telekommunikationskosten zu zahlen, so böte §313 BGB keinen An-
haltspunkt, ob er nunmehr beliebig teilweise Gläubiger befriedigen und
im Übrigen Anpassung oder Aufhebung beanspruchen dürfte, ob er pro
rata zahlen müsste oder ob ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber al-
len einträte. Auch bliebe fraglich, ob eine Vertragsanpassung oder -aufhe-
bung an einer Stelle unmittelbar in die Zumutbarkeitserwägung für die
anderen Leistungspflichten gegenüber Dritten einzuberechnen wäre.
4. Schall bringt zudem die berechtigte Erwägung ein, dass es eine Viel-
zahl von Möglichkeiten unverschuldeter Insolvenz gibt und dass Instru-
mentarien existieren, die Haftungsbeschränkung zur Fungibilität wirt-
schaftlicher Risiken vorsehen, so insbesondere die Möglichkeiten des Ge-
sellschaftsrechts.59
Es sei trotz aller Argumentation nicht verschwiegen, dass die Judikatur
in seltenen Konstellationen gleichwohl die Erwägung in §313 BGB zuge-
lassen hat, dass der Schuldner einer Geldschuld von der Insolvenz bedroht
sei, so etwa das OLG Düsseldorf mit einem Urteil aus 1995.60 Allerdings
ging es dem Senat hier erkennbar darum, seine ohnehin auf Treuwidrig-
keit des Gläubigerverhaltens gestützte Argumentation zusätzlich abzusi-
chern und weniger um den Versuch, Geldschulden generell dem Regime
des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu unterwerfen. Ungeachtet weiterer
57 Daher für §17 InsO die einzig zentrale Frage der Illiquidität, vgl. K. Schmidt, In-
solvenzordnung, 19.Aufl., München 2016, §17 Rn.14ff.
58 Hierauf hat auch A. Schall, Geschäftsgrundlage (Fn.3), S.388 (392) hingewiesen.
59 A. Schall, Geschäftsgrundlage, S.388 (391f.).
60 OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, S.1419.
Jens Prütting
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
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