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Moment der Vorhersehbarkeit und Versicherbarkeit zufälliger Ereignisse
darf nicht vorschnell angenommen werden. Subsumtionsfähige Fälle sind
normalerweise höchst selten und nur wegen der außergewöhnlichen Um-
stände der Corona-Krise gibt es aktuell eine größere Menge von Konstella-
tionen, die passend erscheinen.
bb) Die eingehende Abwägung bietet Raum zur Berücksichtigung sämt-
licher Umstände des Einzelfalls. Mithin kann sich auch der nicht unmittel-
bar belastete Vertragsteil mit dem Einwand wehren, eine Vertragsanpas-
sung oder -aufhebung würde ihn über Gebühr treffen.
cc) Die oben für das Mietvertragsrecht erörterte Ausgangslage hat mit
Blick auf §313 BGB erhebliche Bedeutung, da diese zu der Erkenntnis
führt, welche Partei vor einer denkbaren Anwendung des §313 BGB belas-
tet ist und sich auf diese Ausnahmevorschrift berufen will. Hierdurch wer-
den der belasteten Partei denn auch Darlegungs- und Beweislast für das
Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen auferlegt.80 Zudem wird es in
der Rechtsfolge an der belasteten Partei sein, eine Basis für sachgerechte
Verhandlungen anzubieten, bei denen die Belange des anderen Teils Be-
rücksichtigung finden.
Wird in den herangezogenen Mietvertragskonstellationen im jeweiligen
Einzelfall das Vorliegen des Tatbestandes bejaht, offenbart ein Blick auf die
Rechtsfolgen ebenfalls Besonderheiten. Die in §313 Abs.1 BGB vorgesehe-
ne Anpassung ist durch den Gesetzgeber nicht näher ausbuchstabiert und
muss keineswegs nur in Überlegungen gekürzter oder erweiterter Leis-
tungsspektren liegen. Vielmehr können die Rahmenbedingungen ge-
schickt modifiziert werden, was den Parteien häufig schon zu helfen ver-
mag. So werden die Corona-Maßnahmen von der Bundes- und den Län-
derregierungen laufend überprüft und angepasst. Daher wird es je nach
wirtschaftlicher Situation und denkbaren Überbrückungsvereinbarungen
wie auch potentiell greifbaren staatlichen Hilfen Erwägungen geben, die
schlicht Fälligkeiten verschieben, Lieferungen unter mehreren Gläubigern
anders verteilen oder die Mietzahlungspflicht ganz oder teilweise aufrecht-
erhalten und einen späteren gemeinsamen Ausgleich je nach wirtschaftli-
cher und politischer Entwicklung vereinbaren. Dem Einfallsreichtum der
konstruktiv verhandelnden Vertragsparteien sind zahlreiche Chancen ge-
boten. Negativ gewendet, mag man mit Thole darauf hinweisen, dass vor-
prozessual vielfach die eigenen Obsiegenschancen überschätzt werden,81
was zu unausgewogener Verhandlung und mangelnder Einigungsbereit-
80 Vgl. BGH NJW 2003, S.510.
81 C. Thole, Neuverhandlungspflicht (Fn.52), S.443 (446f.).
Jens Prütting
68
https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
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- Das Arbeitsvertragsrecht in der Coronakrise 223
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