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dieser vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt,
zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist (§326 Abs.2 Satz1
BGB). Unter denselben Voraussetzungen lässt §323 Abs.6 BGB das Rück-
trittsrecht des Schuldners entfallen. Diese Vorschriften könnten um die Si-
tuation einer Pandemie – oder allgemeiner gesprochen: um die Situation
eines Ereignisses, von dem beide Parteien gleichermaßen betroffen sind
und das von beiden Parteien gleichermaßen nicht beherrschbar ist – erwei-
tert werden.
Der Effekt wäre, dass in einer von der Corona-Pandemie betroffenen
Leistungsbeziehung die jeweiligen Schuldner ihre Vergütungsansprüche
behielten. Gläubiger könnten sich nicht vom Vertrag lösen und eine be-
reits erbrachte Gegenleistung nicht zurückverlangen. Im (seltenen) Falle
einer dauerhaften Unmöglichkeit der Leistungserbringung würden sie so-
mit für eine Leistung bezahlen, die sie tatsächlich nicht erhalten. In den
(weitaus häufigeren) Fällen einer vorübergehenden Unmöglichkeit oder
einer bloßen Verzögerung der Leistung müssten sie auf die Leistung war-
ten. In der Leistungskette würde der pandemiebedingte Schaden somit ei-
nerseits weit nach hinten verlagert und auf der anderen Seite auf eine Viel-
zahl von Gläubigern verteilt (loss spreading)31. Diese könnten den auf sie
entfallenden summenmäßig geringen Schaden leichter tragen als der
Schuldner, der nicht nur in einer Vertragsbeziehung von seinem Gläubi-
ger, sondern von einer Vielzahl von Gläubigern in einer Vielzahl von Ver-
tragsbeziehungen keine Vergütung erhält und erst durch diese Kumulie-
rung erloschener Ansprüche in Liquiditätsprobleme gerät.
Der hiesige Vorschlag würde somit die Gefahr von Liquiditätsengpässen
zumindest in den Fällen abwenden, in denen der Gläubiger die Leistung
bereits bezahlt hat und sie infolge einer derartigen Regelung nicht zurück-
verlangen könnte. In Fällen, in denen der Gläubiger die Gegenleistung
noch nicht erbracht hat, könnte er sie weiterhin nach §320 BGB bis zur
Bewirkung der Leistung verweigern, es sei denn, er ist vorleistungspflich-
tig. Anders gewendet: Mit der Vorleistung würde er nicht mehr nur – wie
bisher – das Insolvenzrisiko des Schuldners auf sich nehmen, sondern auch
das Pandemierisiko. Ausnahmesituationen, in denen den Gläubiger die
Übernahme dieses Risikos wirtschaftlich überfordert, könnten ihrerseits
durch eine Härtefallregelung in Gestalt einer Rückausnahme zu §326
Abs.2 BGB und §323 Abs.6 BGB abgefedert werden.
31 Grundlegend G. Calabresi, The Costs of accidents – a legal and economic analysis,
1970, S.39ff. Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise
91
https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
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