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§1360a BGB das, was eine Familie mit vergleichbarem Einkommen übli-
cherweise aufwendet.28
Bei den persönlichen Bedürfnissen wird der Verbraucher, der sich auf
die Corona-Einrede berufen möchte, sicher Abstriche machen müssen. Al-
lerdings waren oder sind gesellschaftliche Aktivitäten, Urlaubsreisen und
Friseurbesuche in der Krise zumindest zeitweise sowieso ausgeschlossen.
In einer ersten Annäherung könnte man also annehmen, dass der Verbrau-
cher die Zahlung der Stromrechnung einstweilen verweigern kann, damit
ihm noch genügend Geld für die Lebensmitteleinkäufe oder die Mietzah-
lung verbleibt.
Mit einem Rückgriff auf die Maßstäbe des §1360a BGB dürfte sich die
Rechtsunsicherheit an diesem Punkt in Grenzen halten. Das Risiko einer
rechtlichen Fehleinschätzung liegt allerdings beim Verbraucher, der im
Streitfall die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass ein pandemiebe-
dingtes Leistungshindernis vorliegt (Vollbeweis).29
Unklar ist die Rechtslage für den Fall, dass der Verbraucher aufgrund
der Folgen der Pandemie Entgeltpflichten im Rahmen wesentlicher Dau-
erschuldverhältnisse nur teilweise erfüllen kann. Hier stellt sich die Frage,
ob er selbst auswählen kann, welche Leistungen er weiter bezahlt, oder ob
er die Gläubiger gleichmäßig befriedigen muss. Der erste Ansatz erscheint
erheblich einfacher, weil der Verbraucher nur mit einem Teil seiner Gläu-
biger Kontakt aufnehmen muss und außerdem komplizierte Berechnun-
gen entbehrlich sind. Der zweite Ansatz erscheint hingegen bei Verbind-
lichkeiten, die normalerweise im zwei- oder unteren dreistelligen Euro-Be-
reich liegen, unverhältnismäßig. Zudem wäre wegen der Unschärfe des Be-
griffs des „wesentlichen Dauerschuldverhältnisses“ jedenfalls für den recht-
lich nicht beratenen Verbraucher kaum auszumachen, welche Verpflich-
tungen in eine anteilsmäßige Befriedigung einzubeziehen wären. Der
Schuldner, dessen Einkommen pandemiebedingt nur zur Bezahlung eines
Teils seiner Verbindlichkeiten aus wesentlichen Dauerschuldverhältnissen
genügt, kann nach hier vertretener Ansicht somit nach freiem Ermessen
28 Näher Weber-Monecke (Fn. 26), §1360a Rn.3; Kaiser (Fn. 26), §1360a Rn.20ff.;
jeweils m.w.N.; zu den Begriffen „angemessen“ und „billig“ im Unterhaltsrecht
H.-U. Graba, Angemessen und billig im Unterhaltsrecht, NZFam 2018, S.145.
29 Markworth/Bangen, Coronakrise (Fn. 16), S.362; Scholl, Art.240 EGBGB (Fn. 18),
S.766; M. Schmidt-Kessel/C. Möllnitz, Coronavertragsrecht – Sonderregeln für Ver-
braucher und Kleinstunternehmen, NJW 2020, S.1103 (1104); V. Fröhling/D. Iss-
mer, Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-,
Insolvenz und Strafverfahrensrecht, WM 2020, S.669 (673, 676).
Ann-Marie Kaulbach und Bernd Scholl
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
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