Seite - 106 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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aufgelaufenen Forderungen fällig. Man fragt sich, wie es den Betroffenen
gelingen soll, auf einen Schlag die Stromrechnung für drei oder vier Mo-
nate zu bezahlen, wenn sie vorher nicht einmal einen Monat bezahlen
konnten.43 Dabei ging der Gesetzgeber Ende März offenbar davon aus,
dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie schon deutlich vor
dem 30. Juni wieder aufgehoben werden könnten. Soweit Betroffene infol-
ge der geplanten oder bereits erfolgten Lockerungen der Corona-Maßnah-
men wieder Einnahmen haben, entfällt auch die Voraussetzung des Leis-
tungsverweigerungsrechts. Für den Fall, dass sich das Wirtschaftsleben
nicht alsbald normalisiert, gibt es den Verlängerungsvorbehalt in §4.
Der Gläubiger ist verpflichtet, seine Leistung weiter zu erbringen. Weil
sein Gegenleistungsanspruch mit einer vorübergehenden Einrede behaftet
ist, kann sich der Gläubiger nicht auf die Einrede des nichterfüllten Vertra-
ges (§320 BGB) berufen; auch die Unsicherheitseinrede (§321 BGB) steht
ihm nicht zu.44 Sollte das Leistungsverweigerungsrecht dem Gläubiger
gem. Art.240 §1 Abs.3 S.1 EGBGB unzumutbar sein, was praktisch kaum
vorkommen dürfte, hat der Schuldner gem. Art.240 §1 Abs.3 S.3 EGBGB
ein Recht zur Kündigung. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass es
sich um eine außerordentliche fristlose Kündigung handelt.45 Damit ist
dem Schuldner wenig geholfen: „Wesentliche“ Dauerschuldverhältnisse
zeichnen sich gerade dadurch aus, dass der Verbraucher zwingend auf sie
angewiesen ist. Bei Abschluss eines neuen Vertrags kommt ein Leistungs-
verweigerungsrecht wegen des Stichtags nicht in Betracht. Mit Ausübung
des Kündigungsrechts gerät der Verbraucher also in genau die Situation,
die der Gesetzgeber eigentlich verhindern will.46
43 Kritisch Markworth/Bangen, Coronakrise (Fn. 16), S.361; Lorenz (Fn. 12), §1
Rn.48.
44 Schmidt-Kessel/Möllnitz, Coronavertragsrecht (Fn. 29), S.105; Möllnitz/Schmidt-Kes-
sel (Fn. 13), Art.240 §§1–4 EGBGB Rn.90f; Lorenz (Fn. 12), §1 Rn.54; Berg (Fn.
16), Art.240 §1 EGBGB Rn.62; offenlassend Fröhling/Issmer, Gesetz (Fn. 29),
S.676; näher zu §320 BGB und spezifischen Sonderregeln Rüfner, Corona-Mora-
torium (Fn. 14), S.447.
45 Dies zeigt der Hinweis auf §628 BGB in BT-Drucks. 19/18110, S.35; ebenso Mark-
worth/Bangen, Coronakrise (Fn. 16), S.363, Scholl, Art.240 EGBGB (Fn. 18),
S.767; Lorenz (Fn. 12), §1 Rn.51.
46 BT-Drucks. 19/18110, S.1f.; kritisch auch Scholl, Art.240 EGBGB (Fn. 18), S.767.
Ann-Marie Kaulbach und Bernd Scholl
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
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