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Europarechtliche Vorgaben
Die Europarechtskonformität der deutschen Umsetzung wurde und wird
allerdings wiederholt70 und zu Recht bestritten.71 Art.17 Abs.2 S.1 Pau-
schalreise-RL gebietet, dass die Insolvenzsicherheit wirksam sein und zu-
dem in der Lage sein muss, die nach vernünftigem Ermessen voraussehba-
ren Kosten abzudecken. Nach dem erläuternden Erwägungsgrund 40 der
Pauschalreise-RL ist beabsichtigt, den Schutz derart zu bemessen, dass alle
vorhersehbaren Zahlungen inklusive der Kosten der Rückbeförderung ab-
gedeckt werden. Dazu soll der Gesamtumsatz des jeweiligen Reiseveran-
stalters in den Blick genommen werden, um anhand dessen bestimmen zu
können, welche Summe für die Insolvenzabsicherung erforderlich ist. Nur
sehr unwahrscheinliche Risiken dürfen außer Betracht bleiben. Hierunter
fallen nach Erwägungsgrund 40 insbesondere die gleichzeitige Insolvenz
mehrerer Reiseveranstalter. Betrachtet man im Verhältnis zu den europä-
ischen Vorgaben jedoch die deutsche Vorschrift, so zeigt sich, dass eine
Grenze, die lediglich geringfügig mehr als ein halbes Prozent des Jahres-
umsatzes des größten Reiseveranstalters abdeckt, keinesfalls genügen kann,
um den Anforderungen der Pauschalreise-RL gerecht zu werden.72 Spätes-
tens seit der Insolvenz des Reiseveranstalters Thomas Cook im September
2019 wurde die Ineffizienz des deutschen Rechts an dieser Stelle offenkun-
dig.73 Gleichwohl hat der Gesetzgeber nicht reagiert und insoweit keine
Vorkehrungen getroffen, so dass zumindest im Anschluss an dieses Ereig-
nis eine Begrenzung auf 110 Millionen € nicht nur ganz unwahrscheinli-
che Risiken außer Acht lässt. Vor den Anforderungen des Art.17 Abs.2
II.
70 P. Hueck, Neues Pauschalreiserecht, alte Insolvenzabsicherungsproblematik – Vor-
schläge für einen unionsrechtskonformen Reisendenschutz in Deutschland, RRa
2019, 254 (255ff.); B. M. Quarch, Rezension zu Reiserecht – Handbuch des Pau-
schalreise-, Reisevermittlungs-, Reiseversicherungs- und Individualreiserechts,
NZV 2020, 34; Staudinger (Fn. 16), §16 Rn.23; A. Staudinger, Kundengeldabsiche-
rung bei Pauschalreisen sowie Luftbeförderung de lege lata und ferenda, r+s 2018,
2 (5); K. Tonner, Die Pauschalreiserichtlinie lässt dem Umsetzungsgesetzgeber
kaum Spielraum – Zum RegE eines Dritten Reiserechtsänderungsgesetzes, RRa
2017, 5 (8); Tonner (Fn. 16), §651r Rn.24; offen: A. Baumgärtner, in: H. G. Bam-
berger/H. Roth/W. Hau/R. Poseck (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB,
§651r Rn.41.1.
71 Differenzierend: Blankenburg (Fn. 65), §651r Rn.67, der vor der Insolvenz von
Thomas Cook die Europarechtskonformität bejahte, nun aber ausschließt.
72 Zweifelnd auch: Baumgärtner (Fn. 70), §651r Rn.41.1.
73 Ebenso: Baumgärtner (Fn. 70), §651r Rn.41.1; Blankenburg (Fn. 65), §651r
Rn.67. Aktuelle Probleme im Reiserecht durch die Corona-Krise
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
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