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Fortbildung unzulässig,129 da sich der Gesetzgeber ganz explizit in Wider-
spruch zu den europäischen Regelungen setzen will.130 Dies schließt eine
Veränderung des nationalen Rechts durch eine Rechtsfortbildung auch
nach europäischem Recht aus. Zudem kann ein Anspruch gegen die Reise-
veranstalter nicht direkt aus der Richtlinie folgen, weil nach der Rechtspre-
chung des EuGH unmittelbare Pflichten zwischen Privaten nicht aus einer
Richtlinie abgeleitet werden dürfen.131 Dem Bürger bliebe demnach nur
noch der vom EuGH entwickelte Staatshaftungsanspruch gegen die Bun-
desrepublik Deutschland,132 um den vorsätzlichen Verstoß gegen das euro-
päische Recht zumindest finanziell auszugleichen. Der notwendige qualifi-
zierte Verstoß stünde außer Zweifel, weil dem Gesetzgeber die Rechtswid-
rigkeit seines Handelns sogar positiv bekannt wäre, so dass kein Anlass be-
steht, ihn von der Haftung für diesen zu befreien. Hiernach müsste die
Bundesrepublik sämtliche Forderungen der Reisenden in Geld ersetzen
und könnte im Gegenzug lediglich die Übereignung der ausgekehrten
Gutscheine verlangen.133 Darüber hinaus wäre ein Vertragsverletzungsver-
fahren durch die EU-Kommission vor dem EuGH gegen die Bundesrepu-
blik Deutschland denkbar (Art.258 AEUV).
Schluss
Das Reiserecht ist in der Corona-Krise besonders gefordert. Die hier aufge-
griffenen Beispiele erschöpfen die Fragen, die sich aktuell und in Zukunft
stellen, keineswegs und sollen lediglich einen Einblick in die Breite des
Gebiets geben. Angesichts der erheblichen Summen und der Vielzahl an
betroffenen Verträgen wird auf die Gerichte in den kommenden Monaten
und Jahren eine Flut an Verfahren zukommen, die zum Teil auch neue
Rechtsfragen aufwerfen werden. Diese müssen in Kooperation zwischen
Wissenschaft und Rechtspraxis einer adäquaten Lösung zugeführt werden.
F.
129 So auch C. Herresthal, Voraussetzungen und Grenzen der gemeinschaftsrechts-
konformen Rechtsfortbildung, EuZW 2007, 396 (400); ders., Die richtlinienkon-
forme und die verfassungskonforme Auslegung im Privatrecht, JuS 2014, 289
(292f.).
130 Siehe dazu auch: BGH, BKR 2020, 253 (254f.).
131 EuGH, Slg.1986, 723 Rn.48; Slg.1994, I-3325 Rn.20ff.; Slg.2005, I-3565 Rn.73.
132 Siehe bereits zu bisherigen Fällen der Staatshaftung bei fehlender Insolvenzsi-
cherung im Reiserecht: EuGH Slg.1996 I-4845; Slg.1999, I-3499; BeckRS 2014,
80245; NJW-RR 2019, 940 (941f.).
133 So auch zur parallelen Problematik der fehlerhaften Anlageberatung: BGHZ 79,
337 (346); 123, 106 (110); BGH NJW 2006, 2042 (2043).
Patrick Meier
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
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