Seite - 219 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
Bild der Seite - 219 -
Text der Seite - 219 -
teilungsregel des §415 Abs.2 S.2 HGB eingeführt, nach der ein Anspruch
des Frachtführers nach Kündigung durch den Absender ausgeschlossen ist,
wenn die Ursache der Kündigung im Risikobereich des Frachtführers
liegt. Da mit §415 Abs.2 S.2 HGB Elemente des allgemeinen Leistungs-
störungsrechts in die Kündigungsregel aufgenommen worden seien, kön-
ne an der in der Regierungsbegründung geäußerten Auffassung zur paral-
lelen Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts nicht mehr
festgehalten werden.27 Anders sieht dies zum Beispiel Reuschle, der mit
Verweis auf die Regierungsbegründung von einer parallelen Anwendung
des allgemeinen Leistungsstörungsrechts ausgeht.28 Dieser Streit hat sich
mit der Einführung des §648 BGB insbesondere für diejenigen Fälle ent-
schärft, in denen der Werkvertrag und damit also auch der Frachtvertrag
aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, wenn die Voraussetzungen
der Norm vorliegen.29 Voraussetzung dieser Norm ist allerdings, dass der
Werkvertrag bereits in Vollzug gesetzt ist. Es verbleiben als problematische
Fälle also nur solche, bei denen das Leistungshindernis und damit ein po-
tentieller Kündigungsgrund des Absenders zu einem Zeitpunkt eintreten,
in dem der Frachtvertrag noch nicht in Vollzug gesetzt war. Für solche Fäl-
le wirft die Corona-Krise ein neues Licht auf die Frage der Risikovertei-
lung. Denn vor dem Hintergrund, dass Leistungshindernisse aufgrund der
Corona-Krise regelmäßig keiner der Risikosphären der Vertragsparteien
des Frachtvertrags zugeordnet werden können, wird deutlich, dass die Risi-
koverteilung des §415 HGB allein zu unbilligen Ergebnissen führt und ein
Rückgriff auf das allgemeine Leistungsstörungsrecht erforderlich ist. So
muss davon ausgegangen werden, dass in Fällen, in denen vor Übernahme
des Guts durch den Frachtführer bereits ein Leistungshindernis vorgelegen
hat, eine Berufung des Absenders auf Unmöglichkeit möglich ist.30
27 K.-H.Thume, in: Münchener Kommentar zum HGB, München 2020, §415 Rn.35.
Von einer „grundsätzlichen Subsidiarität“ des allgemeinen Leistungsstörungs-
rechts geht auch P. Schmidt, in: Staub HGB, §415, Rn.42 aus.
28 F. Reuschle, in: in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.), Handelsgesetzbuch,
§415 Rn.23ff.; etwas differenzierter, aber grundsätzlich in ähnlicher Richtung
Koller, Transportrecht, 9.Aufl. §415 Rn.3ff., der vorliegende „Überschneidun-
gen“ mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht differenziert aufzulösen ver-
sucht.
29 K.-H. Thume, in: MüKoHGB, §415 Rn.37.
30 In diese Richtung auch Koller, Transportrecht, §415, Rn.6. Ebenso trotz grund-
sätzlicher Bedenken in Bezug auf die Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungs-
störungsrechts K.-H. Thume, in: MüKoHGB, §415 Rn.35.
Transportrecht in der Corona-Krise
219
https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
zurück zum
Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
- Niemand zahlt mehr Miete!? ‑ Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die Pflicht zur Mietzahlung 147
- Aktuelle Probleme im Reiserecht durch die Corona-Krise 175
- Transportrecht in der Corona-Krise 205
- Das Arbeitsvertragsrecht in der Coronakrise 223
- Vertragsrecht in der Corona-KriseCOVInsAG: Auswirkungen auf die Insolvenzantragspflicht und die Haftung der Organe 245