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Das Arbeitsvertragsrecht als Korridor interessengerechter Krisenbewältigung
Obwohl dem deutschen Arbeitsvertragsrecht der Begriff einer Pandemie
fremd ist, zeigt die Analyse der vertraglichen Risikoverteilung, dass es für
die mit der Coronakrise verbundenen Leistungsstörungen angemessene
und interessengerechte Regelungen bereithält. Trotz der Neuartigkeit kri-
senbedingter Problemlagen wie dem Fehlen einer öffentlichen Kinderbe-
treuungsinfrastruktur und präventiven Betriebsschließungen bieten ausle-
gungsfähige Tatbestände hinreichend Spielraum für die Berücksichtigung
der gegenwärtigen Situation bei der vertraglichen Risikoverteilung. Beste-
hende Regelungslücken wie das Problem des Verdienstausfalls bei Erfül-
lung von Betreuungspflichten hat der Gesetzgeber dabei zügig geschlossen.
Insgesamt muss sich das Arbeitsrecht ohnehin nicht an der Zielvorgabe
messen lassen, eine abstrakte Best-Practice für sämtliche Arbeitsverhältnis-
se im Pandemiefall vorzuhalten, was in Anbetracht der Diversität von Be-
schäftigungsverhältnissen eine Herkulesaufgabe darstellte. Seine Aufgabe
besteht vielmehr darin, den Arbeitsvertragsparteien einen Handlungskorri-
dor vorzugeben, innerhalb dessen sie anhand ihrer individuellen Bedürf-
nisse und der Eigenarten der Tätigkeit angemessene Lösung finden kön-
nen, ohne dass eine Partei ihre Interessen einseitig auf Kosten der anderen
durchzusetzen vermag.
Dabei wird es besonders wichtig sein, bei der Auslegung des Arbeits-
rechts die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit der Arbeitsvertrags-
parteien in ihrer gewerblichen Wertschöpfung hinreichend zu berücksich-
tigen. Das Risiko einer betrieblichen Existenzgefährdung schwebt in der
Pandemie wie ein Damoklesschwert nicht nur über dem Kopf des Arbeit-
gebers, sondern auch der gesamten Belegschaft, werden die Arbeitnehmer
in aller Regel von ihrem Arbeitsverhältnis als zentrale Quelle ihres Lebens-
unterhaltes abhängig sein. Beide Parteien verfolgen daher das gemeinsame
Interesse, die Krise möglichst ohne größere wirtschaftliche Schieflage des
Betriebes zu überstehen, um das Arbeitsverhältnis mit Blick auf die Zu-
kunft normal weiterführen zu können. Vor diesem Hintergrund wird es in
der Praxis geboten sein, individuelle Lösungen auf Basis von Kompromis-
sen zu schaffen, anstatt auf dem Streitweg die Grenzen des Arbeitsvertrags-
rechts gerichtlich ermitteln zu lassen.59 Unterstützt werden die Vertrags-
parteien dabei durch den Gesetzgeber, welcher das wirtschaftliche Pande-
I.
59 In diesem Sinne auch A. Sagan/M. Brockfeld, NJW 2020, 1112, 1117 unter Verweis
auf die Bundeskanzlerin, die in ihren Ansprachen während der Coronakrise regel-
mäßig zu gemeinsamen solidarischen Handeln aufruft.
Stephan Klawitter
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Buch Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Titel
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Autor
- Daniel Effer-Uhe
- Herausgeber
- Alica Mohnert
- Ort
- Baden-Baden
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 258
- Kategorien
- Coronavirus
- Recht und Politik
Inhaltsverzeichnis
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
- Niemand zahlt mehr Miete!? ‑ Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die Pflicht zur Mietzahlung 147
- Aktuelle Probleme im Reiserecht durch die Corona-Krise 175
- Transportrecht in der Corona-Krise 205
- Das Arbeitsvertragsrecht in der Coronakrise 223
- Vertragsrecht in der Corona-KriseCOVInsAG: Auswirkungen auf die Insolvenzantragspflicht und die Haftung der Organe 245