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Der freiwillige Bettler
Als Zarathustra den häßlichsten Menschen verlassen hatte, fror ihn, und er
fühlte sich einsam: es ging ihm nämlich vieles Kalte und Einsame durch die
Sinne, also, daß darob auch seine Glieder kälter wurden. Indem er aber weiter
und weiter stieg, hinauf, hinab, bald an grünen Weiden vorbei, aber auch über
wilde steinichte Lager, wo ehedem wohl eine ungeduldiger Bach sich zu Bett
gelegt hatte: da wurde ihm mit einem Male wieder wärmer und herzlicher zu
Sinne.
»Was geschah mir doch?« fragte er sich, »etwas Warmes und Lebendiges
erquickt mich, das muß in meiner Nähe sein.
Schon bin ich weniger allein; unbewußte Gefährten und Brüder schweifen
um mich, ihr warmer Atem rührt an meine Seele.«
Als er aber um sich spähte und nach den Tröstern seiner Einsamkeit suchte:
siehe, da waren es Kühe, welche auf einer Anhöhe beieinanderstanden; deren
Nähe und Geruch hatten sein Herz erwärmt. Diese Kühe aber schienen mit
Eifer einem Redenden zuzuhören und gaben nicht auf den acht, der herankam.
Wie aber Zarathustra ganz in ihrer Nähe war, hörte er deutlich, daß eine
Menschen-Stimme aus der Mitte der Kühe heraus redete; und ersichtlich
hatten sie alle samt ihre Köpfe dem Redenden zugedreht.
Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte die Tiere auseinander,
denn er fürchtete, daß hier jemandem ein Leids geschehn sei, welchem
schwerlich das Mitleid von Kühen abhelfen mochte. Aber darin hatte er sich
getäuscht; denn siehe, da saß ein Mensch auf der Erde und schien den Tieren
zuzureden, daß sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein friedfertiger
Mensch und Berg-Prediger, aus dessen Augen die Güte selber predigte. »Was
suchst du hier?« rief Zarathustra mit Befremden.
»Was ich hier suche?« antwortete er: »dasselbe, was du suchst, du
Störenfried! nämlich das Glück auf Erden.
Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen. Denn, weißt du wohl,
einen halben Morgen schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir
Bescheid geben. Warum doch störst du sie?
So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in
das Himmelreich. Wir sollten ihnen nämlich eins ablernen: das Wiederkäuen.
Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewönne und lernte
das eine nicht, das Wiederkäuen: was hülfe es! Er würde nicht seine Trübsal
los.
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Buch Also sprach Zarathustra"
Also sprach Zarathustra
- Titel
- Also sprach Zarathustra
- Autor
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Datum
- 1885
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 354
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den Lehrstühlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glückseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berühmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom Vorübergehen 170
- Von den Abtrünnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der großen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- Außer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die Begrüßung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352