Chemische Fotografie am Ende#
von Hermann MaurerIm Mai 1989 schrieb ich einen Essay im Buch "Sklaverei in Österreich" oder "Obst in die Parks" (Fric Verlag, Wien), dass die chemische Fotografie wohl die Jahrtausendwende nicht überleben würde. Genau 21 Jahre später berichtete die Wiener Zeitung dass Kodachrome das letzte Werk für Filme geschlossen hat. Im Folgenden bringe ich zunächst eine wortwörtliche Fassung meines Aufsatzes (die sich -zugegeben- schon sehr veraltet liest), und dann mit freundlicher Genehmigung den Beitrag aus der Wiener Zeitung über Kodachrome.
Chemische Fotografie am Ende?#
von H. Maurer17.5.89
Bis vor zehn Jahren wurden von Amateurfilmern ausschließlich Filmkameras mit chemischem Filmmaterial verwendet: eine Packung "Super 8" Farbfilm (die gebräuchlichste Sorte) für ca. 4 Minuten Film kostete um OS 100,— (also € 8.-)
Als Amateurfilmer zeichnete man auf so einem Film ca. 20-30 "Szenen" von etwa 10 Sekunden Länge auf, sandte dann den Film zur Entwicklung ein, konnte nach ca. einer Woche das Produkt begutachten und durch geeigneten Schnitt, Einbau von Titeln und eventuelle Vertonung ein ganz nettes Ergebnis erzielen. Innerhalb von nicht ganz zehn Jahren ist diese Technologie im Amateurbereich fast vollständig verschwunden: Man verwendet heute Videokameras, die auf Magnetkassetten elektronisch aufzeichnen und gegenüber dem seinerzeitigen Schmalfilm verfahren viele Vorteile bieten: die Kassetten sind wieder verwendbar und haben eine Kapazität von 30 oder mehr Minuten Spielzeit, wodurch das Erstellen längerer Vilme (= Video Filme) sehr viel billiger ist, als wenn man Filmmaterial verwenden würde; das Ergebnis ist sofort sichtbar; eine "verhaute" Szene kann sofort überspielt werden (was den Nachbearbeitungsaufwand verringert); zum Vorführen braucht man keinen eigenen Filmprojektor mit Leinwand, sondern verwendet den Fernseher mit Videorecorder; die Lichtempfindlichkeit ist um vieles höher als bei Filmmaterial (so dass man ohne Zusatzlicht fast alle Situationen bewältigen kann); die Bildqualität ist der von Schmalfilmen durchaus vergleichbar . .. und moderne "Camcorders" mit exzellenten Zoom-Objektiven und Toneinheit wiegen nicht mehr viel mehr, als seinerzeit gute Schmalfilmkameras gewogen haben.
Da sich beim Filmen (jedenfalls im Amateurbereich) die elektronische gegenüber der photochemischen Aufzeichnung voll durchgesetzt hat, ist es eigentlich verwunderlich, dass etwas Ähnliches nicht im Bereich Photographie auch schon geschehen ist.
Diese Revolution steht uns aber gerade ins Haus: seit etwa einem halben Jahr gibt es die ersten elektronischen EinzelbildKameras (EEBK) (z.B. Casio 101 und Sony 81). Auf einer wieder verwendbaren Diskette (bei dem weniger als US$ 1000,— kostenden Gerät Sony 81 ist sie ca. 5 Zoll groß) können bis zu 50 Bilder herkömmlicher Fernsehqualität aufgezeichnet, am Fernseher vorgeführt und (auf Spezialdruckern) ausgedruckt werden. Steht damit eine Revolution der Photographie bevor, wie Sony-Chef Akio Morita schon 1981 bei der Vorstellung der ersten solchen noch sehr teuren EEBK meinte?
Noch nicht ganz! So angenehm es sein mag, ohne Filmkauf Bilder aufzuzeichnen und ohne Wartezeit anzusehen, ist doch die Marktnische zwischen Sofortbildern (Polaroid) und hochwertigen Photos (die viele Labors inzwischen auch in einer Stunde fertig stellen) solange klein, bis die auf Diskette gespeicherten Bilder (a) mit gängigen Computer weiterverarbeitet werden können und (b) Photoqualität erreichen. Beides gleichzeitig ist zurzeit noch nicht möglich. Die Auflösung von EEBK liegt zur Zeit z.B. bei "nur" ca. 300.000 Bildpunkten (Pixels), was zwar Fernsehqualität entspricht, aber an die 30-40 Millionen Pixels eines Farbdias nicht herankommt. Überdies sind gegenwärtige EEBK- Bilder mit normalen Computern nicht weiterverarbeitbar. (Ein im April 89 von Kodak angekündigter Chip liefert allerdings bereits 4 Millionen Pixels, d.h. eine Auflösung von 2000 x 2000 Punkten.)
Tatsächlich ist die gegenwärtige Situation diese: Entweder man ist mit Farbbildern minderer Qualität zufrieden (z.B. sogenannte ega-Qualität bei PC), dann wäre eine digitale Aufzeichnung von 10—20 Bildern pro Diskette, eine Bearbeitung mit entsprechender Software und ein Ausdruck mit (den seltenen) Farbdruckern möglich. Dabei ist aber der Qualitätsverlust gegenüber Photos sehr beachtlich. Bei einer Steigerung in die Nähe von Photoqualität werden andererseits die Grenzen gegenwärtiger PCs noch gesprengt.
Weitere Entwicklungen vor allem bei den Speichermedien (z.B. wieder beschreibbare optische Platten) lassen aber gute Qualität bei gleichzeitiger Computerbearbeitbarkeit innerhalb der nächsten 10 Jahre erwarten: Wir werden dann ein elektronisches Archiv von 50 - 200 Bildern auf einer solchen optischen Platte anlegen und voll in Computerprogramme integrieren können: das Vergrößern, Verkleinern, Aufhellen, Retouchieren, Zusammenfügen von Bildteilen, usw. wird mit bequemen Softwarepaketen möglich sein, die Bilder werden sich auf hoch auflösenden Fernsehgeräten und Farbmonitors guter PCs anzeigen und mit entsprechenden Druckgeräten in guter Qualität zu Papier bringen lassen.
Noch ist die chemische Photographie nicht am Ende. Ich glaube aber nicht, das die chemische Amateurphotographie die Jahrtausendwende wird überleben können.
Kodachrome: Das Ende der Legende#
Von Michael Ossenkopp in der Wiener Zeitung am 15. April 2010
Der wohl beste Farbfilm aller Zeiten wird endgültig zu Grabe getragen – erfunden wurde er von zwei Musikern
1935 revolutionierte der Farbfilm Kodachrome die Fotografie. Entwickelt wurde er von zwei Laien mit großer Ambition. Nun stellte Kodak die Produktion wegen der Digitalfotografie ein.
Schon zu Highschool-Zeiten in
Los Angeles hatten Mannes und
Godowsky ihre gemeinsamen Interessen
auf den Gebieten Musik
und Fotografie entdeckt. Wahrscheinlich
war ihnen gar nicht
bewusst, wie viele renommierte
Wissenschafter bereits seit Jahrzehnten
erfolglos nach einem
praktikablen Verfahren für die
Farbfotografie geforscht hatten.
Der Durchbruch gelang schließlich
ab 1930 in den Kodak-Laboratorien.
Mit einem genialen Prinzip:
In Bleichbädern mit der sogenannten
kontrollierten Diffusion
drang der Wirkstoff nur in bestimmte
Filmschichten ein.
1917 hatten die beiden 17-jährigen
Schulfreunde ihre ersten
Experimenten begonnen. Auslöser
war ein Kinobesuch. Bei der
Vorführung des Streifens „Unsere
Navy in Prisma-Farbe“ fühlten
sich die Teenager von der miserablen
Qualität „betrogen“ und beschlossen,
etwas dagegen zu unternehmen.
Zunächst wurden Küche
und Badezimmer zu Fotolabor
und Dunkelkammer umfunktioniert
– sehr zum Leidwesen
der Eltern.
Trennen der Farben
Sie besorgten sich eine Filmkamera
samt Projektor und bedeckten
die Linsen mit roten, blauen
und gelben Filtern. Danach machten
sie drei Belichtungen in
Schwarz-Weiß und projizierten
diese zurück durch die Filter. Dieses
Verfahren ließ sich zwar noch
nicht gewerblich nutzen, bildete
aber die Grundidee für die spätere
Entwicklung des weltweit ersten
Dreischichten-Farbfilms Kodachrome.
Nach einem Geigenstudium an
der Universität von Los Angeles
schrieb sich Godowsky auch noch
für Chemie und Physik ein. Daneben
wurde er Solist und erster
Geiger beim örtlichen Sinfonieorchester
und spielte außerdem bei
San Francisco Symphony.
Zu Beginn
seiner Karriere trat er zeitweise
mit seinem Vater Leopold
auf, einem bekannten Pianisten
und Komponisten und engem
Freund von Albert Einstein. Der
Junior blieb auch bei der Wahl
der Partnerin der Kunstszene
treu, er heiratete Francis, die
Schwester von George Gershwin
(„Porgy and Bess“), die zu einer
geschätzten Malerin und Bildhauerin
avancierte.
Mannes besuchte die Harvard
University mit einem Pulitzer
Musik-Stipendium und wurde
Konzertpianist. Kaum vorstellbar,
aber neben dieser Karriere studierte
auch er noch Physik.
Obwohl
die beiden Freunde zwischen
Amerikas West- und Ostküste
4000 Kilometer voneinander
getrennt waren, verloren sie
den Kontakt zueinander nicht
und setzten in ihrer Freizeit die
gemeinsame Arbeit an der Verbesserung
der Farbfotografie fort.
Im Jahr 1922 gab Godowsky seine
Orchestertätigkeit in Kalifornien
auf und zog nach New York City,
wo er und Mannes weiterhin als
Musiker arbeiteten.
Auf dem Rückweg von Auftritten
in Europa Ende 1922 machte
Mannes die Zufallsbekanntschaft
eines Investmentunternehmers
und erwähnte dabei die Fortschritte
ihrer Experimente mit
der Farbfotografie. Bei einem späteren
Treffen war ein Abgesandter
des Investors von den Resultaten
schwer beeindruckt, seine
Firma öffnete den Geldhahn. Mit
dieser finanziellen Unterstützung
konnten Mannes und Godowsky
schließlich ein eigenes Laboratorium
aufbauen.
Kodak wird hellhörig
1930 war dann auch der Branchenriese
Eastman Kodak Company
auf die Wissenschafter aufmerksam
geworden. Kenneth
Mees, Gründer der Forschungsabteilung
bei Kodak, bot ihnen Jobs
in der Firmenzentrale in Rochester
im Staat New York an.
Sie erhielten
ein professionell ausgestattetes
Labor und eine Schar
von Mitarbeitern, um die Experimente
zu beschleunigen. Hier
entwickelten „Man and God“ –
der Mensch und Gott – , wie man
die beiden Erfinder scherzhaft
kurz nannte, bis 1935 den ersten
kommerziell erfolgreichen Kodachrome-
Farbfilm.
Der Film unterschied sich chemisch
von allen bis dahin bekannten
Bildträgern und war den
anderen vor allem in Schärfe und
Haltbarkeit überlegen. Die Filmschichten
besaßen keine Farbkuppler
und waren deshalb extrem
dünn, nur 0,135 Millimeter.
Drei separate Emulsionsschichten
wurden auf einen klaren Filmträger
aufgebracht – eine rotempfindliche
aus Silberhalogenidkristallen
sowie jeweils eine grünund
blauempfindliche.
Die Schichten wurden einzeln
entwickelt und passend Cyan,
Magenta und Gelb hinzugefügt.
Dann wurde das Silber ausgebleicht
und durch die entsprechende
Farbe ersetzt. Das Ergebnis
war ein vollfarbiges Positiv.
Einziger Nachteil: Der komplizierte
Entwicklungsprozess, er bestand
aus 27 Arbeitsschritten. So
konnten die Filme nicht mehr von
Fotografen selbst entwickelt werden,
nur noch in den Laboren von
Eastman Kodak.
Grundlage der fotochemischen
Experimente der US-Amerikaner
waren Patente des Deutschen Rudolf
Fischer. Dieser hatte um
1911 eine Theorie beschrieben,
einem Mehrschichtenfilm bei der
Fabrikation Farbkuppler beizufügen
und diese erst während des
Entwicklungsprozesses in die
Schichten gelangen zu lassen. Er
schaffte aber nie die praktische
Umsetzung.
Über allen Mitbewerbern
Nicht nur professionelle Anwender,
auch interessierte Hobbyfotografen
waren von dem Non-Plus-
Ultra des technischen Fortschritts
mit Kodachromefilmen begeistert.
In punkto Farbkontrast, Farbsättigung,
Transparenz und Feinkörnigkeit
übertrafen sie sämtliche
Mitbewerber und eroberten so
binnen weniger Jahre ein Massenpublikum.
Wenngleich die Filme
aus den Anfangsjahren nur eine
sehr geringe Lichtempfindlichkeit
aufwiesen.
In Europa produzierte Kodak
nach dem Krieg in Harrow bei
London und in Vincennes bei Paris.
Erst 1961 kam der Kodachrome
II mit höherer Lichtempfindlichkeit
auf den Markt. Der ab
1982 produzierte High-Speed-Kodachrome
übertraf die Vorgänger
nochmals und war daher auch für
Bewegungen und schlecht ausgeleuchtete
Motive einsetzbar.
Der Niedergang begann mit der
Jahrtausendwende und dem Vormarsch
der digitalen Fotografie,
die ohne Film auskommt, was die
Nachfrage nach Kodachrome dramatisch
sinken ließ. So wurde
auch die Herstellung des Kodachrome
64 als Letzter seiner Art
im vergangenen Jahr eingestellt.
Der Film erwirtschaftete nur noch
ein Prozent am Umsatz der Produktsparte
chemische Fotografie
bei Kodak. Wer noch Filme auf
Lager hat, kann diese bis Ende
2010 zur Entwicklung an Dwayne’s
Photo Service in Parsons,
Kansas, schicken. Dann ist endgültig
Schluss.
Und doch zurück zur Musik
Auch nach der Erfindung von Kodachrome
trafen sich die beiden
Fotopioniere zum gemeinsamen
Musizieren. Mannes kehrte zur
Musik zurück, trat als Pianist erfolgreich
auf und komponierte
verschiedene Partituren.
Godowsky
blieb weiter der Fotografie
verbunden und arbeitete bis in
die 50er Jahre in seinem eigenen
Labor in Westport/Connecticut.
Dennoch beteuerte er immer wieder, dass trotz der bahnbrechenden Erfindung des Farbfilms die Musik die größere Leidenschaft seines Lebens war. Leopold Mannes starb am 11. August 1964, Leopold Godowsky jun. am 18. Februar 1983.
- Zwei Ergänzungen von Peter Lechner:
1. Im Jänner 2012 hat Kodak Insolvenz angemeldet.
2. Ironie der Geschichte: Der Erfinder der Digitalkamera ist - Kodak!
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