Unterricht und Erziehung#
Zur Zeit der römischen Herrschaft (15 v.-476 n. Chr.) war die Alphabetisierung der Bevölkerung im heutigen Österreich so weit fortgeschritten, dass ein systematischer Unterricht angenommen werden kann. In dieser familialen Phase von Unterricht und Erziehung hatten Lehrer (meist Sklaven oder Freigelassene) und Schule nur eine begrenzte, unterstützende Funktion, die Kinder wurden meist zu Hause unterrichtet, der Unterricht hatte nur geringes Ansehen. In der Zeit der (germanischen) Völkerwanderung (375-568) ging die Kenntnis der Schrift und der lateinischen Sprache wieder weitgehend verloren. Erst die Missionierung und Christianisierung seit dem 7. Jahrhundert leiteten eine Wende ein; die als Stützpunkte für die Seelsorgearbeit errichteten Klöster schufen schulische Einrichtungen (mittelalterliches Schulwesen). Schule entwickelte sich in dieser monastischen Phase von Unterricht und Erziehung (8.-13. Jahrhundert) zu einer Art Subsystem der kirchlichen Sozialgebilde (Bistümer, Klöster, Pfarren), ihr Lehrprogramm war weitgehend auf die Heranbildung zu geistlichen Berufen abgestimmt. Salzburg wurde für den österreichischen Raum zum maßgeblichen und einflussreichen Bildungs- und Kulturzentrum.Im Spätmittelalter (13.-15. Jahrhundert) beeinflussten die Bildungsansprüche der Bürger in den Städten und größeren Märkten die Schulentwicklung. In dieser urbanen Phase von Unterricht und Erziehung wurde die kirchliche Ausrichtung institutionellen Lernens zugunsten weltlicher Interessen verschoben und ein eigener Schultyp mit deutscher Unterrichtssprache (Deutsche Schule) geschaffen. Wien rückte in den Mittelpunkt der österreichischen Bildungslandschaft. Am Ende des Mittelalters verfügte der österreichische Raum bereits über ein differenziertes Bildungssystem, das vom Elementarbereich bis zu einer Universität (Wien) reichte.
Der Einfall der Osmanen in das ostösterreichische Gebiet und vor allem das rasche Vordringen der Reformation Luthers, die bei der bislang personell und finanziell zum Großteil für Schule und Unterricht aufkommenden katholischen Kirche zu Auflösungserscheinungen führten, hatten nach 1521 innerhalb weniger Jahrzehnte einen katastrophalen Niedergang des Schulwesens zur Folge. Der Ausfall höherer schulischer Ausbildungsstätten war aber für beide christlichen Konfessionen auf Dauer nicht tragbar, sie setzten sich für eine Reorganisation des Bildungswesens ein und wurden im 16. und 17. Jahrhundert zu seinen richtungweisenden Trägern. In dieser konfessionellen Phase von Unterricht und Erziehung trat ein grundlegender Wandel im schulischen Lernen ein: hatte der Unterricht im Mittelalter vorwiegend zu Berufen herangebildet, sollte fortan vor allem zu Haltungen erzogen werden; die Schule war um religiöse Disziplinierung bemüht, Religion wurde zum Hauptfach in den humanistisch orientierten Lehrplänen. Insgesamt erfolgte eine Niveauanhebung durch die neu geschaffenen Bildungseinrichtungen: in den nur vorübergehend bestehenden Landschaftsschulen des protestantischen Adels spiegelten sich die pädagogischen Fortschritte in Mittel- und Süddeutschland, die moderne jesuitische Erziehungs- und Unterrichtsorganisation prägte die schulische Weiterentwicklung entscheidend. In jedem der heutigen Bundesländer wurde qualitätvoller höherer Unterricht angeboten, akademische Grade konnten fortan auch an den neu gegründeten Universitäten Graz (1585), Salzburg (1622) und Innsbruck (1669) erworben werden. Die Bildungschancen für Mädchen verschlechterten sich allerdings, weil viele Frauenklöster mit ihren schulischen Einrichtungen verschwanden.
Im 18. Jahrhundert wurde die Schule zu einer öffentlichen Angelegenheit; der beherrschende Einfluss der Jesuiten wurde gebrochen, die Machtfülle der katholischen Amtskirche eingeschränkt. Schule sollte sozial disziplinieren: durch die vermittelten und eingeübten Verhaltensweisen wollte der Staat seine Machtstrukturen legitimieren und absichern. Um alle jungen Menschen schulisch erfassen zu können, wurden die Unterrichtspflicht eingeführt (Allgemeine Schulordnung, 1774) und das Bildungswesen an Gesetze und Verordnungen gebunden (Maria-theresianische Neuordnung des Bildungswesens). In dieser staatlich-obrigkeitlichen Phase von Unterricht und Erziehung wurde die Studienhofkommission, die Vorläuferin des Unterrichtsministeriums, zu einer zentralen Planungs-, Lenkungs- und Verwaltungsinstitution ausgebaut; ihr Ziel war die schrittweise Einführung eines laizistischen Schulsystems. Die Alphabetisierung Österreichs machte, auch mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen, rasch Fortschritte.
Ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die Bürger die Entscheidungsgewalt in Bildungsfragen inne. Der Demokratisierungsprozess schritt zwar nur langsam voran, die sich bildenden politischen Parteien nahmen aber bald auch Stellung zu Unterricht und Erziehung und legten ihre Ziele in Programmen fest. In dieser bis heute andauernden staatlich-parteipolitischen Phase wurde die Bildungspolitik zum Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden Parteien, wobei vor allem gesellschaftspolitische Zielsetzungen im Mittelpunkt des Interesses stehen. Am erfolgreichsten erwiesen sich die Deutschliberalen, die zur Zeit der Umgestaltung der Habsburgermonarchie in einen Verfassungsstaat tonangebend waren: sie schufen ein leistungsorientiertes Schulsystem (L. Hasner von Artha, Reichsvolksschulgesetz 1869, Gymnasium, Realschule) und schalteten den Einfluss aller Religionsgemeinschaften aus. Fast ein Jahrhundert lang wurden Umplanungsversuche der konservativen christlichsozialen Gruppierung jeweils vom sozialdemokratischen und nationalen Lager verhindert, umgekehrt traf dasselbe für Versuche der Sozialdemokraten (O. Glöckel) zu. Erst 1962 kam es zu einer umfassenden Neuordnung (Schulgesetzwerk, H. Drimmel): viele liberale Elemente wurden weiterverwendet, der erreichte Kompromiss zwischen den bildungspolitischen Vorstellungen von ÖVP und SPÖ wurde weitgehend gegen Veränderungen abgesichert (Notwendigkeit einer 2-Drittel-Mehrheit für Schulgesetze). Ein wichtiges Element in der Entwicklung des Unterrichts in den letzten 150 Jahren ist der Ausbau des berufsbildenden Schulwesens, der zunächst meist von Privaten initiiert und finanziert, bald vom Staat subventioniert und an Richtnormen gebunden (A.Dumreicher) und erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts einheitlich gegliedert wurde (F. Cech). Die Zahl von BHS-Absolventen ist heute höher als die der AHS-Absolventen. Die Diskriminierung der Mädchen im höheren Schulwesen und an den Universitäten wurde beseitigt (Frauenstudium, Athenäum, Rechtsakademie für Frauen). Die rasch an Zahl zunehmenden Mädchenschulen (frauenberufliche Lehranstalten) wurden bis 1938 ebenfalls von privaten Schulerhaltern geführt und vom Staat nur subventioniert. Heute besuchen mehr Mädchen als Knaben die AHS, an den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen besteht ein ausgeglichenes Verhältnis, an den Hochschulen und Universität machen die Hörerinnen etwa 45 % (bei den Studienanfängern bereits 50 %) aller Studenten aus. Auffallend ist die immer stärkere Differenzierung des österreichischen Bildungswesens, um unterschiedliche Interessen und Begabungen gerecht werden zu können, obwohl immer wieder Vereinheitlichungen versucht werden (zum Beispiel Einheitsschule). Der finanzielle Aufwand des Staats im Bildungsbereich ist vor allem seit 1945 beträchtlich (Schulbau, personelle Ausstattung, Sachaufwand usw.). Österreich verfügt heute über ein dichtes Netz von schulischen Einrichtungen und ein vielfältiges Angebot für individuelle Bildungslaufbahnen mit Brücken und Übergängen, soziale und geschlechtsspezifische Hindernisse sind beseitigt; bei entsprechender Begabung und Lernwillen ist jedem der Zugang zu höchsten Qualifikationen möglich.
Kurt Schuschnigg über Aufgaben des Freiwilligen Arbeitsdiensts, um 1933 (Video Album)
Historische Bilder zu Unterricht und Erziehung (IMAGNO)
Literatur#
- H. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Band 1-5, 1982-88
- derselbe, Bemerkungen zur Periodisierung der österreichischen Bildungsgeschichte, in: Zur Geschichte des österreichischen Bildungswesens, herausgegeben von E. Lechner und anderen, 1992
- derselbe, Erziehung und Unterricht im Bild, 1995
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