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vom 02.02.2022, aktuelle Version,

Böhmischer Sprachenkonflikt

„Neuzeitliche Turniere in unserem alten Prag“ (Šipy, 1894) Antisemitische Karikatur des Kampfes um die Vorherrschaft zwischen der tschechischen und der deutsch-jüdischen Bevölkerung anhand der Bezeichnung für den prestigeträchtigen Prager Boulevard Na příkopě / Graben

Der Böhmische Sprachenkonflikt war die im 19. und 20. Jahrhundert geführte politische Auseinandersetzung um die Geltung der tschechischen Sprache und der deutschen Sprache in den Böhmischen Ländern Cisleithaniens, des westlichen Teils der Habsburgermonarchie. Er war eines der Konfliktfelder in den langen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Tschechen der Habsburgermonarchie um die Durchsetzung tatsächlicher Gleichberechtigung. Nach der Gründung der Tschechoslowakei im Herbst 1918 und der ambivalenten Geschichte der Ersten Tschechoslowakischen Republik mündete die sprachlich-kulturelle Entfremdung nach dem Zweiten Weltkrieg in der gewaltsamen Trennung beider Nationalitäten.

Hintergrund

Josef Danilowatz: Gottesfriede; Karikatur zum Silvester 1908

Die Niederlage im Deutschen Krieg brachte den Vielvölkerstaat Österreich in Bedrängnis; die Zentralgewalt war nun so geschwächt, dass die Forderungen der Nationalitäten nicht mehr ignoriert werden konnten. Der österreichisch-ungarische Ausgleich brachte dem Königreich Ungarn innenpolitische Selbstständigkeit. Hingegen war die tschechische Nationalbewegung enttäuscht, weil es zu keiner Gleichstellung der Slawen mit den Deutschen und den Ungarn der nunmehrigen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn kam.[1]

Zwei Ansichten prallten aufeinander:

„Die Herren in Wien mögen sich dessen bewusst sein, dass das tschechische Volk bescheiden eine lautere Gleichberechtigung in den eigenen Ländern mit deutscher Minderheit fordert. Wird es auch diesmal mit seinem gerechtesten Verlangen grimmig abgelehnt, so wird es anfangen, sein volles Recht zu fordern, das ihm in seinem ruhmvollen tschechischen Reich seit Jahrtausenden zukam.“

Die tschechischen Politiker forderten nach ungarischem Vorbild einen innenpolitisch autonomen böhmischen Staat mit einer Regierung in Prag.

„Wir Deutschen in Böhmen vermögen es nie und nimmer einzusehen, dass an den bestehenden Verhältnissen, welche den nationalen Ansprüchen der Tschechen mehr als genügen, gerüttelt werde und unter dem Scheine der Gleichberechtigung eine neue empfindliche Schädigung der Deutschen eintrete.“

Die Deutschen Böhmens und Mährens lehnten die tschechischen Forderungen ab, weil sie (als Angehörige des Volksstammes, der ihrer Meinung nach der führende der Monarchie zu bleiben hatte) in einer Prager Regierung nicht in die Rolle einer Minderheit geraten wollten.

Badeni-Krise

Badenis Katzenmusik ( Kladderadatsch, 1897)

Ein entscheidender Schritt zur sprachlichen Gleichberechtigung gelang den Tschechen vorübergehend im Jahr 1897. Der Ministerpräsident von Cisleithanien, der polnische Adelige Kasimir Felix Badeni, erließ am 5. April als k.k. Innenminister gemeinsam mit vier anderen Ministern die später so genannte Badenische Sprachenverordnung, die die zweisprachige Amtsführung in Böhmen und Mähren (auch in den überwiegend deutschsprachigen Gebieten) festlegte.

Amtliche Eingaben sollten von nun an nicht nur, wie schon seit 1880, in der Muttersprache des Absenders eingebracht werden können und auch in seiner Muttersprache beantwortet werden. Sie sollten vielmehr auch im inneren Dienst von Verwaltung und Justiz in der Muttersprache des Absenders, also auch auf Tschechisch, bearbeitet werden. Alle Beamten sollten vom 1. Juni 1901 an (also innerhalb von vier Jahren) beide Sprachen beherrschen und eine Sprachprüfung absolvieren. In den 77 deutschen von insgesamt 216 Gerichtsbezirken erhob sich ein Proteststurm; denn die deutschen Beamten konnten nur selten Tschechisch und hatten zu befürchten, auch in den rein deutschsprachigen Gebieten durch zweisprachige Tschechen ersetzt zu werden. Die Deutschen der Monarchie aus allen politischen Lagern reagierten mit Empörung. Demonstrationen, Ausschreitungen und Obstruktion von Parlamentssitzungen waren an der Tagesordnung (siehe Badeni-Krawalle).[1]

Aufgrund dieser Verordnung kam es auch zu Ausschreitungen im Parlament. Demonstrationen in Wien, Graz und Prag stürzten Österreich in eine Staatskrise.

Am 28. November 1897 musste das Ministerium Badeni dem öffentlichen Druck weichen und Kaiser Franz Joseph I. den Rücktritt anbieten; am 30. November 1897 enthob der Monarch die Minister, nicht ohne Badeni für seine Tätigkeit auf das Wärmste zu danken.[1] Die k.k. Ministerpräsidenten wechselten nun in kurzer Folge (die vier Regierungschefs nach Badeni, unter anderem Ernest von Koerber, amtierten jeweils höchstens eineinhalb Jahre) und regierten mit Notverordnungen, wenn der Kaiser den Reichsrat auf ihren Vorschlag vertagt hatte. Über Prag wurde der Ausnahmezustand verhängt. Die Sprachenverordnungen veranlassten Österreichs Deutschnationale Bewegung um Georg Ritter von Schönerer, die Los-von-Rom-Bewegung zu proklamieren.

Badenis Nachfolger Paul Gautsch von Frankenthurn entschärfte die Sprachenverordnung zu Gunsten der Deutschböhmen und -mährer im Frühjahr 1898. Am 14. Oktober 1899 wurde sie von Manfred von Clary-Aldringen ganz aufgehoben. Ein österreichisch-böhmischer Ausgleich wurde zwar von Einigen weiterhin angestrebt, jedoch nie erreicht. In Mähren, wo die Exponenten beider Nationalitäten offenbar kompromissbereiter waren, kam es 1905 zum Mährischen Ausgleich.

Dieser und die anderen Nationalitätenkonflikte in Österreich-Ungarn konnten mit den staatsrechtlich zur Verfügung stehenden Instrumentarien und den handelnden Politikern nicht gelöst werden (ein Oktroy kam für den alt gewordenen Monarchen, der in seiner Jugend durchaus absolutistisch regiert hatte, nicht in Frage). Sie spitzten sich vielmehr zu und ließen Österreich-Ungarn als Donaumonarchie am Ende des Ersten Weltkriegs auseinanderbrechen.

Literatur

  • Peter Becher, Jozo Džambo, Alena Gomoll (Übersetzerin): Gleiche Bilder, gleiche Worte. Österreicher und Tschechen in der Karikatur (1848–1948). Adalbert-Stifter-Verein, München 1997, ISBN 3-9805378-2-X (Ausstellungskatalog: Stejné obrazy, stejná slova).
  • Hans Mommsen: 1897: Die Badeni-Krise als Wendepunkt in den deutsch-tschechischen Beziehungen. In: Detlef Brandes (Hg.): Wendepunkte in den Beziehungen zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken 1848–1989. Klartext, Essen 2007, ISBN 978-3-89861-572-3, S. 111–118.
  • Peter Becher, Jozo Džambo, Anna Knechtel: Prag – Provinz. Wechselwirkungen und Gegensätze in der deutschsprachigen Regionalliteratur Böhmens, Mährens und Sudetenschlesiens. Arco, Wuppertal 2014, ISBN 978-3-938375-53-2.

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 Radio Prag (23. September 2006)

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Karikatur auf die österreichische Sprachenverordnung von Kasimir Feliks Badeni : Graf Badeni der „curiöse Herr“, läßt die Erfindung des Katzenklaviers wieder aufleben und erzielt damit einen großen Erfolg. Zur Lösung des Nationalitätenproblems in Böhmen hatte er am 5. April 1897 für alle Beamten die Kenntnis und den Gebrauch von Deutsch und Tschechisch verordnet. Das rief nicht nur bei den Deutschen und Tschechen, sondern auch bei den anderen Nationalitäten in Österreich-Ungarn Reaktionen und Forderungen hervor, für den Karikaturisten Katzenjammermusik. Kladderadatsch, I (14. November 1897), Nr. 46, S. 188; abgedruckt in Peter Becher, Jozo Džambo: Gleiche Bilder, gleiche Worte. Österreicher und Tschechen in der Karikatur (1848–1948). München 1997, S. 147 Gustav Brandt (1861–1919)
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Datei:Badenis Katzenmusik (Gustav Brandt).jpg
Karikatur auf ein versöhnliches Besäufnis von Deutschen und Tschechen („Böhmen“) in einem böhmischen Wirtshaus zum Jahresende 1908, Bildunterschrift: „Her’n S’ auf mit blede pulitische Sachen! Silvester gibt e keine Deitsche nit und keine Behm – gibt e nur B’suffene.“ Die Muskete, VII (31. Dezember 1908), Nr. 170, S. 109; abgedruckt in Peter Becher, Jozo Džambo: Gleiche Bilder, gleiche Worte. Österreicher und Tschechen in der Karikatur (1848–1948). München 1997, S. 163. Josef Danilowatz
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Datei:Gottesfriede (Danilowitz).jpg
Karikatur auf den Sprachenstreit in Böhmen. Der Prager Gemeinderat beschloss am 11. November 1891, die deutschen Firmenschilder und Straßennamen zu entfernen, um den tschechischen Charakter der Stadt zu unterstreichen. – Als Kämpfer für die deutschen Straßennamen zeigt die Karikatur einen Juden (rechts) auf dem Pferd „Kasino“. Sogar der Kopf des Pferdes ist „jüdisch“; die Schabracke trägt einen Davidstern. Die Tschechen setzten Judentum und Deutschtum gleich. Im Hintergrund der Aussichtsturm Petřín . Šipy, VII, 12. Mai 1894, S. 21; abgedruckt in Peter Becher, Jozo Džambo: Gleiche Bilder, gleiche Worte. Österreicher und Tschechen in der Karikatur (1848–1948). München 1997, S. 211. Autor/-in unbekannt Unknown author
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