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vom 06.02.2022, aktuelle Version,

Rezeption des römischen Rechts

Die Rezeption des römischen Rechts bezeichnet einen kulturgeschichtlichen Vorgang, der gemeinhin als wissenschaftliche Durchdringung der kontinentaleuropäischen Gewohnheits- und Partikularrechte durch das römisch-kanonische Recht verstanden wird. Dieser Einwirkungsprozess des ius commune (Gemeines Recht) auf die iura patriae (Heimatrechte) verlief in Phasen wechselnder Intensität ab dem Hochmittelalter bis zu seinen pandektistischen Ausläufern im 19. Jahrhundert und nahm damit entscheidenden Einfluss auch auf geltendes Recht, etwa auf das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1896/1900.

Zu den Beiträgen der Rezeption für die europäische Rechtskultur zählen die Verwissenschaftlichung und Professionalisierung des Fachs hin zu einer wirklichen Jurisprudenz (Rechtsgelehrsamkeit) sowie darauf aufbauend die Systematisierung des Rechtsstoffes für die Bedürfnisse der forensischen Praxis.

In der Forschung wird vorwiegend die Auffassung vertreten, dass das römische Recht rezipiert wurde, weil es das Recht des imperium romanum war, das als Leitbild des karolingischen Reichs und seiner Folgestaaten fortwirkte und in der europäischen Kultur fortbestand. Erst in zweiter Linie resultierte der über viele Epochen verlaufende Rückgriff aus der hohen Qualität des Juristenrechts, welches vornehmlich in der Zeit der klassischen Kaiserzeit geschaffen worden war. Aufgrund der umfangreichen Kompilation der schon mit der Zeit des Zwölftafelgesetzes einsetzenden Rechtsmassen verfügte der spätantike Kaiser Justinian über eine Vielzahl von schriftlichen Quellen, die der Nachwelt über viele Epochen zur Ausdeutung und Übernahme in die jeweils aktuelle Rechtspraxis dienten.

Frührezeption

In Gang gesetzt wurde die Rechtsrezeption mit der Wiederauffindung einer handschriftlichen Hauptquelle des römischen Rechts, den justinianischen Digesten.[1] Diese Sammlung des klassischen Juristenrechts wurde an der Universität Bologna, u. a. bekannt als Keimzelle für die europäische Juristenausbildung (nutrix legum), ausgangs des 11. Jahrhunderts zu Katalysator und Quellengrundlage für das weltliche Rechtsstudium, die Legistik (abgeleitet von libri legales, dem Namen für die antiken Gesetzgebungswerke). Methodische Anleihen nahm der revitalisierte Wissenschaftszweig dabei aus der Scholastik, insbesondere das Streben nach logischer Widerspruchsfreiheit wurde zur Maxime der Quellenarbeit erhoben.

Die Rezeption des römischen Rechts wird in die Stadien der Früh- und der Spätrezeption eingeteilt. In der Frührezeption waren es vor allem die Klöster und geistlichen Gerichte, die Träger der Rezeption waren. Der Grund hierfür ist in den juristisch ausgebildeten Geistlichen zu sehen, die den Gerichten oder Klöstern vorstanden. Später besetzten in Italien ausgebildete Juristen immer häufiger Verwaltungs- und Rechtsprechungspositionen in den „ultramontanen“ (jenseits der Alpen liegenden) Territorien West- und Nordeuropas und konnten somit die dort anzufindenden juristischen Laien langsam ersetzen.

Ab dem 14. Jahrhundert können die neu gegründeten Universitäten als bedeutendster Träger der Spätrezeption angesehen werden. An diesen wurde nach der Gründungswelle Mitte des 14. Jahrhunderts sowohl das justinianische (römische) als auch das kanonische Recht gelehrt. Die Neugründung von Universitäten unterstützte die Ausbreitung des Rechtsunterrichts, so auch im Heiligen Römischen Reich: Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1386. Die hier ausgebildeten Juristen arbeiteten in den Verwaltungen des Reiches und der Territorien als Richter oder Rechtswissenschaftler. Wegen der Gleichartigkeit der Rechtsquellen kann von einer einheitlichen Juristenausbildung in Kontinentaleuropa gesprochen werden. Diese erste Phase der Rezeption wird mit der Begründung des Reichskammergerichtes 1495 als beendet angesehen.

Glossatoren, Postglossatoren, Konsiliatoren

Die erste eingehende Beschäftigung mit dem römischen Recht wurde im 12. Jahrhundert von den Rechtsgelehrten in Bologna und Pavia in Form einer Kommentierung der Texte des Corpus Iuris Civilis erreicht. Hierbei wurden den ursprünglichen Texten Anmerkungen auf den entsprechenden Seiten hinzugefügt (Glossen). Man spricht daher auch von der Glossatorenzeit (gleiches gilt für die Bearbeitung des Decretum Gratiani oder Corpus Iuris Canonici). Irnerius, der bis 1125 als Jurist an der Rechtsschule von Bologna tätig war, begann wahrscheinlich als erster mit der Kommentierung des Corpus Iuris Civilis. Die Bedeutung dieser Glossatoren liegt vor allem in ihrer Vorarbeit zum ius commune. Aber auch rechtsschöpferisch waren sie tätig (beispielsweise im Delikts-, Sachen- und Schadensersatzrecht, außerdem entwickelten sie die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag und der ungerechtfertigten Bereicherung). Eine der umfangreichsten Glossen wurde von Accursius (1183–1260/63) in dem Sammelwerk Glossa ordinaria zusammengestellt.

In der nachfolgenden Zeit wurden die Glossen immer umfangreicher, so dass diese in separaten Büchern zu Kommentaren anwuchsen. Die in dieser Phase arbeitenden Juristen wandten sich außerdem immer mehr der Rechtspraxis in den Ländern Europas zu und beeinflussten diese durch die Anfertigung von Rechtsgutachten. Sie versuchten zum ersten Mal, Rechtsentscheidungen durch Abstraktion vom Einzelfall zu lösen und somit gemeinsame Grundsätze aus der Praxis zu entwickeln. Die Hinwendung zur Rechtspraxis machte eine ausführliche Untersuchung in den Rechtsgebieten des Handelsrechtes nötig.

Im 13. und 14. Jahrhundert war die Rezeption in Italien und den westeuropäischen Ländern Frankreich und Spanien in vollem Gang, nicht so in Deutschland. Dort entstanden allmählich ab Mitte des 14. Jahrhunderts Universitäten, die sich nicht lediglich mit kanonischem Recht auseinandersetzen. Nicht erwiesen ist, ob vor Mitte des 15. Jahrhunderts ständige Vorlesungen im römischen Recht abgehalten worden sind. Auch der Zustrom Deutscher zu den italienischen Universitäten setzte verhältnismäßig spät ein und erreichte seinen Höhepunkt erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.[2]

Praktische Verbreitung in der Neuzeit

Nach Einrichtung des Reichskammergerichts 1495 wurde diesem (und dem Reichshofrat) als oberstem Gericht im Heiligen Römischen Reich eine tragende Rolle bei der fortgeführten Rezeption des römischen Rechtes zugedacht. Obwohl dieses niemals offiziell zum Reichsrecht erhoben wurde und das Reichs-, Landes- und Gewohnheitsrecht (consuetudo) ihm offiziell vorgingen, war es die wichtigste begriffliche Quelle zur Einordnung von Rechtsfiguren in der Neuzeit. Daher wurde das römisch-kanonische Recht von den Richtern auch meist bevorzugt angewandt, da es hier eine klare schriftliche und systematische Fixierung gab.

Wichtig für das Fortschreiten der praktischen Rezeption war ferner die Popularisierung des rezipierten Rechts durch leicht verständliche, deutschsprachige Rechtsbücher römisch-rechtlichen Inhalts, so namentlich und zuerst den Klagspiegel des Conrad Heyden (um 1436), sowie im 16. Jahrhundert u. a. Ulrich Tenglers Laienspiegel und Justin Goblers Rechtenspiegel. Derartige Schriften förderten das Eindringen des römischen Rechts auch in die unteren Ebenen der Rechtspraxis, die zu dieser Zeit noch weitgehend von Nichtjuristen geprägt waren. Mittelbare Folge war eine verstärkte Verrechtlichung des Alltagslebens.

Epoche des Usus modernus pandectarum

Wissenschaftlich wurde die Rezeption in der Epoche des Usus modernus pandectarum im Heiligen Römischen Reich wieder vorangetrieben. Auf Grund der Tatsache, dass das römisch-kanonische Recht nicht als Reichsrecht formell eingesetzt worden war, wurden die aufgestellten Rechtssätze in der Zeit des Heiligen Römischen Reiches fortlaufend der kritischen Prüfung unterzogen.

Besonders intensiv gelang diese Auseinandersetzung im Usus modernus pandectarum, der nicht nur eine weitere Epoche in der Rezeption des römisch-kanonischen Rechtes darstellt, sondern dessen Verdienst es ist, dass aus der Rechtspraxis heraus eine einheitliche Rechtsordnung (für das Privatrecht) im Heiligen Römischen Reich gebildet werden konnte. In dieser Epoche, die in ihrer Entwicklung gesamteuropäisch zu sehen ist (mos gallicus, mos italicus), wurden das bereits bestehende partikulare Recht, die Rechtspraxis und das gelehrte römische Recht an die bestehenden Verhältnisse im Heiligen Römischen Reich angepasst, so dass eine einheitliche Rechtsordnung zu entstehen begann. Die Autoren hinterfragten, im Geiste des Humanismus, die Quellen des Corpus Iuris Civilis und des Corpus Iuris Canonici und verglichen diese mit antiken rechtswissenschaftlichen Texten. Außerdem wurde versucht, das Partikularrecht und das gelehrte Recht zu vereinheitlichen. Das gesamte rezipierte römische Recht wurde kritisch neu bewertet. Auch die fallbezogene Literatur nahm in dieser Zeit zu.

Am Ende der Epoche wurde der Usus modernus schon von der beginnenden Aufklärung und der damit stattfindenden Auseinandersetzung mit dem Naturrecht durchsetzt.

Pandektenwissenschaft unter dem Einfluss der Historischen Rechtsschule

Die letzten Auswirkungen der Rezeption äußerten sich in Deutschland in jener Entwicklung, die letztendlich zur Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuchs führten, nämlich die im 19. Jahrhundert auf Anregung Friedrich Carl von Savignys stattfindende historische Erneuerung, die eine Neubefassung mit den römischen Rechtsquellen forderte, auf deren Grundlage ein allgemeines deutsches bürgerliches Recht entstehen sollte, Gegenstand der Pandektenwissenschaft.

Diese verstand sich als geschichtliche, auf der Kultur eines Volkes beruhende Rechtswissenschaft, weshalb sie die überpositive Zeitlosigkeit des Rechts, die dem am Naturrecht orientierten Vernunftrecht innenwohnen, ablehnte.[3] Gefordert wurde die Nutzung gestalterischer Spielräume, rechtschöpferisches Tätigwerden für die Praxis. In Deutschland erfolgte die Rezeption dieser Zeit daher eher über die Doktrin der italienischen Kommentatoren, als über das Corpus Iuris selbst.[2] Über die Rezeption in Deutschland existiert insoweit eine große Menge an Literatur.[4]

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Der kaum beweisbare Fund der sogenannten Littera Florentina (das maßgebliche Digesten-Manuskript) und ihr vermeintlicher Weg von Amalfi über Pisa nach Florenz erhält eine dokumentarische Stütze in einer toskanischen Urkunde aus dem Jahre 1076. Darin berufen sich Rechtskundige erstmals in nachantiker Zeit wieder auf eine Digestenstelle.
  2. 1 2 Paul Koschaker: Europa und das Römische Recht. 4. Auflage, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung. München, Berlin 1966, S. 66 ff. und S. 141 ff.
  3. Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008 (Grundrisse des Rechts), ISBN 978-3-406-57405-4, § 3 Rnr. 9 ff. (S. 32–35).
  4. Eine Übersicht verschafft Georg von Below: Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland. Historische Bibliothek, herausgegeben von der Redaktion der Historischen Zeitschrift XIX, 1905. S. 3 f., 52 f.