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Adel, Kurt#

* 21. 05. 1920, Wien

† 19. 12. Wien, Ort

Literaturwissenschaftler
Kurt Adel wurde als einziges Kind des Postbeamten Emil Adel und seiner Frau Antonia (geb. Kühnl) und Enkel eines jüdischen Totengräbers am 21. Mai 1920 geboren. Er absolvierte das Gymnasium in der Rainergasse 39, das später auch seine Arbeitsstätte werden sollte. 1940 wurde er wegen der Nürnberger Rassegesetze von der Universität verwiesen und war auf ein Selbststudium aus Büchern angewiesen. So verfasste er neben Arbeits- und Erntediensten bzw. als Lohnverrechner des Bauunternehmens Porr zwangsverpflichtet in den Kriegsjahren selbständig seine Dissertation „Die isländische Saga und die deutsche Dichtung der Gegenwart“. Sobald es nach Kriegsende möglich war, absolvierte Adel innerhalb von vierzehn Tagen die Rigorosen und die Lehramtsstudien für Deutsch und Englisch.
Da es zu diesem Zeitpunkt keine ordentlichen Universitätsprofessoren für Germanistik in Wien gab, die nicht politisch belastet gewesen wären, brauchte es einer Sondererlaubnis, um bei einem Ordinarius eine Habilitationsschrift einreichen zu dürfen. Eine Arbeit über Johann Karl Wezel wurde allerdings mehrmals zurückgewiesen.

Adel, der die lateinische Sprache perfekt beherrschte und sich bei Gelegenheit auch in ihr unterhielt, bemühte sich um eine umfassende und genaue Kenntnis der Jesuitendramen, die großteils nur im Manuskript vorliegen; seine Arbeit über „Das Jesuitendrama in Österreich“ ist Frucht des akribischen Studiums der 42 Dramen von Johann Baptist Adolph, aber auch der Stücke von Nicolaus von Avancini, Jacob Balde, Jakob Bidermann, Crucius, Andreas Gryphius und Simon Rettenpacher. Die Beschäftigung mündete allerdings auch in die doppelt so umfangreiche Arbeit über „Das Wiener Jesuitentheater und die europäische Barockdramatik“ (1960); der noch 1957 erschienene Aufsatz „Ausklang und Nachwirkung des Barocks“ stellt eine Zusammenfassung von Vorlesungen an der „Wiener Katholischen Akademie“ dar.

Seine editorische und literarhistorische Arbeit erstreckte sich auch auf die Zeit des Humanismus und der Renaissance. Für den Stiasny-Verlag erstellte er Ausgaben von Conrad Celtis, Enea Silvio Piccolomini und Paracelsus, bei Teubner erschien 1966 eine Edition von Celtis' Wiener Arbeiten.

Schließlich beschäftigte sich Adel über viele Jahre intensiv mit dem Fauststoff; neben zwölf weiteren Arbeiten ist die umfangreichste und wichtigste die über die Faust-Dichtung in Österreich (Wien 1971).

Adel, dem es immer ein Anliegen war, eine Sonderstellung Österreichs innerhalb der deutschsprachigen Literaturen zu belegen, arbeitete sich, bereits über siebzigjährig, in das neue Medium des Computers ein, um mit mathematischer Statistik zu erweisen, dass sich das österreichische Deutsch nicht nur im Wortschatz, sondern auch in der Syntax vom Binnendeutschen unterscheidet; das ist der Gegenstand seiner 1994 erschienenen „Tiefenstrukturen der Sprache“.
An die Grenze des gerade noch Darstellbaren gelangte der Literarhistoriker mit seiner „Literatur Österreichs an der Jahrtausendwende“. Der Autor, der in der Stille seines Arbeitszimmers notfalls bis zu tausend Seiten am Tag aufmerksam lesend verarbeiten konnte, gibt mit dieser Zusammenfassung ein Zeugnis seines Fleißes und der Hingabe an sein Fach. Die erste österreichische Literaturgeschichte der Zweiten Republik, noch vor Schmidt-Denglers „Bruchlinien“, die Wurzeln einbeziehend, die er gründlich kennt, ist seine Einführung „Aufbruch und Tradition“, die die Verbindungslinien über die Katastrophe des Nazismus hinweg zieht. Über die Verkürzungen eines literarischen Kanons hinaus, die nur mehr die Großen zu Wort kommen lässt, ist es ein Aspekt von Adels Lebenswerk, auch die leiseren Stimmen der österreichischen Nationalliteratur wahrzunehmen und Respekt für sie einzufordern.
Kurt Adel war mit Marie Hilscher verheiratet und vierfacher Vater. Den Bergtod seines ältesten Sohnes 1976 hat er nur schwer verkraftet. ‒ Gefestigt vor allem durch die Erfahrungen, die er mit Menschenverachtung und Opportunismus während der Zeit des Nationalsozialismus machen musste, hatte er ein unbedingt sicheres Auftreten gegenüber Autoritäten. Im Wissenschafts- und Schulbetrieb, aber auch gegenüber der Kirche, der er als gläubiger Katholik angehörte, scheute er sich nicht Ungerechtigkeiten und Amtsmissbrauch zu bezeichnen und mit großer Zivilcourage gegen die Betroffenen vorzugehen. So führte er Beschwerde gegen den Regens des Wiener Priesterseminars, dessen Ablöse er durchsetzte, er erreichte auch die Entfernung eines Lehrerkollegen, der den Unterricht für nazistische Indoktrination missbrauchte. Ohne Präzedenzfall war die Rückgabe seines ihm verliehenen Ordens. Adel wurde am Wiener Zentralfriedhof bestattet.

Martin G. Petrowsky:#

"Kurt Adel war für mich der Typ des alten Gelehrten, genau, unbestechlich, stets neue Ideen und Literaturfelder erschließend. Der Literatur Österreichs hat er viele Beiträge gewidmet, auch der Faust- und Wezel-Forschung neue Wege gewiesen. Das wird unvergessen bleiben.“
Prof. Dr. Hans Henning

Am 19.12.2009 ist Dr. Kurt Adel im Alter von 89 Jahren gestorben. Noch im letzten Heft des Zaunkönig war ein von ihm verfasster, vielbeachteter Artikel über Robert Hamerling erschienen, eine Arbeit, die er mir mit den rührenden Worten „mein letzter Beitrag ist Ihnen gewidmet“ überreichte. Kurt Adel, Träger des „Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse“, war jahrzehntelang als engagierter Mittelschullehrer tätig. Anlässlich der Verleihung einer hohen Wiener Auszeichnung erinnerte Univ.-Prof. Dr. Hubert Christian Ehalt an die widrigen Startbedingungen, die Kurt Adel eine wissenschaftliche Karriere erschwerten: „1940 wurde er wegen der Nürnberger Rassengesetze von der Universität verwiesen und war auf ein Selbststudium aus Büchern angewiesen.“
Dennoch hinterließ der Gelehrte ein umfangreiches literaturwissenschaftliches Werk, das sich insbesondere der zeitgenössischen österreichischen Dichtung widmete; Bücher wie Aufbruch und Tradition. Einführung in die österreichische Literatur seit 1945 (Wien: Braumüller 1982) und Die Literatur Österreichs an der Jahrtausendwende (Wien u. a.: Peter Lang 2001) gelten als Standardwerke. Anerkennend schrieb eine Rezensentin: „Dass Kurt Adel alle aufgeführten Werke tatsächlich gelesen hat, scheint bei der Fülle von Textbelegen, die er in seine Kurzdarstellungen einbaut, außer Frage.“
In unzähligen wissenschaftlichen Aufsätzen bewies Adel sein ungewöhnlich weitgefächertes Interesse: Er verfasste sprachwissenschaftliche Untersuchungen, Textinterpretationen (Konrad Celtis, Walter Sachs ...), Autorenporträts (Heinz Pototschnig, Adalbert Stifter ...) und, vor allem, grundlegende Untersuchungen wie seine Studie über die Faust-Dichtung in Österreich. Darüber hinaus fungierte er auch vielfach als Herausgeber von Auswahl- und Sammelbänden. Als ich auf Anregung von Prof. Franz Richter im Jahr 2005 an Kurt Adel herantrat, um ihn als Autor für den Zaunkönig zu gewinnen, bekam ich vorerst ein freundliches, aber dezidiertes Nein: Mit seinen 85 Jahren hätte er seine wissenschaftliche Arbeit beendet und wolle es gut sein lassen. In der Folge konnte er aber zum Glück doch nicht widerstehen – und er schrieb Aufsätze über Herbert Hinterleithner, Erika Mitterer, Christine Grän und zuletzt eben Robert Hamerling.
Kurt Adel hat mit seinen Beiträgen und seiner Ermutigung zweifellos viel zum Ansehen des Zaunkönig als Literaturund Kulturzeitschrift beigetragen. Für die eingebrachte Kompetenz und die in den persönlichen Begegnungen bewiesene freundschaftliche Sympathie sage ich aufrichtig: DANKE.

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