Öl- und Erdwachsschürfer#
Öl- und Erdwachsschürfer waren Kleinstunternehmer, die am nördlichen Rand der Karpaten, im einstigen österreichischen Kronland Galizien, seit Mitte des 19. Jahrhunderts nach Erdöl und Erdwachs (eine plastische Masse, die durch Oxydation von Erdöl entsteht und aus der Paraffin destilliert wurde) schürften. Die eigentliche Grab- und Förderarbeit wurde meist von täglich angeworbenen und miserabel bezahlten männlichen und weiblichen Arbeitern (zumeist Juden und ruthenische Bauern) unter entsetzlichen Bedingungen verrichtet. Drohobycz war das Zentrum des »galizischen Pennsylvanien«, im nahegelegenen Dorf Boryslaw befand sich die »galizische Hölle« – eine wahre Kraterlandschaft, mit Tausenden planlos in den Boden getriebenen engen Schächten, in denen sich das Rohöl am Grund sammelte, das dann wie aus einem Brunnen mit Kübeln über eine Haspel herausgeschöpft wurde. Ganz ähnlich waren die Erdwachsgruben angelegt, nur dass hier ein »Häuer«, mit einem Bein im Kübel stehend, in die Tiefe hinuntergelassen wurde, um das Erdwachs von den Schachtwänden abzustechen.
Ein Augenzeuge, der Bergingenieur Wilhelm Jicinsky, beschrieb in der Österreichischen Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen im Jahr 1865 die Zustände: »Man sieht ein zweites Kalifornien vor sich, ein reges Leben, wovon man ungesehen keinen Begriff hat. Es steht Haspel an Haspel, Mann an Mann, dazwischen sich drängende Käufer des eben geförderten Naphthas und Wachses, ein Schreien und Lärmen wie auf einem Jahrmarkte. Da sieht man das Faustrecht ausüben an einem unberufenen Störenfried, dort wird ein Naphthadieb verfolgt, hier kratzen Weiber mit ihren Händen aus dem Haldengestein die weggeworfenen Bergwachsabfälle, um selbe zu sammeln und noch zu verwerten.« Auf den winzigen Schachtterrains war oft kein Platz mehr für den Aushub zu finden, und so kam es nicht selten vor, dass man den unbewachten Schacht seines Nachbarn in der Nacht einfach mit den ausgehobenen Erdmassen zuschüttete, was stets zu wilden Kämpfen führte. Die Schächte selbst waren in einem elenden Zustand, und es verging in jener Zeit selten ein Tag, an dem sich nicht ein oder mehrere Unglücksfälle ereigneten. Alte, aufgelassene und unbedeckte Schächte wurden zur tödlichen Falle, herabstürzende Gesteinsmassen begruben die Menschen unter sich, giftige Grubengase führten zu Erstickungen oder explodierten. Gänse sollten vor diesen Gasen warnen; überlebten sie die Schachtfahrt bis zur Sohle und zurück, schien die Gefahr vorerst gebannt.
Begonnen hat das Ölfieber in Galizien, das ein Heer von Glücksrittern und Spekulanten aus allen Winkeln des Landes anlockte, mit dem Wunsch, das sich hier schon seit jeher in Bodenvertiefungen ansammelnde Erdöl besser zu destillieren und als Lampenöl zu nutzen. Ein findiger Apothekerprovisor in Lemberg, ein gewisser Ignacy Lukasiewicz, fand 1852 eine Methode, aus Erdöl Petroleum zu gewinnen. Nach seinen Anweisungen baute der Schlosser Bratkowski die erste Petroleumlampe, mit der Lukasiewicz das Schaufenster seiner Apotheke illuminierte. Bereits 1855 wurde im Lemberger Landesspital die erste Operation bei Petroleumlicht durchgeführt, und drei Jahre später entschloss man sich in Wien, den Nordbahnhof mit Petroleum aus Drohobycz zu beleuchten.
Jahrzehnte später hatten sich Großbanken im Ölgeschäft breitgemacht, und die kleinen Gruben und Raffinerien waren zu internationalen Konzernen mit klingenden Namen verschmolzen worden (um die Jahrhundertwende lag Galizien in der Welterdölproduktion hinter den Vereinigten Staaten, Rußland und Niederländisch-Indien an vierter Stelle). »Aus dem unerträglichen Wechsel von Hoffnung und Mutlosigkeit befreite den kleinen Grubenbesitzer erst die mächtige Hand des großen und der ›Gesellschaften‹. Sie konnten viele Terrains auf einmal kaufen und mit der relativen Gelassenheit, die eine männliche Tugend des Reichtums ist, die Launen des unterirdischen Elements belauern. Zwischen diesen Mächtigen, denen die Geduld gar nichts kostete und die schnell Millionen säen konnten, um langsam Milliarden zu ernten, schoben sich die mittelgroßen Terrain- und anderen Spekulanten, mit dem mittelmäßigen Kredit und der mittelmäßigen Risikotapferkeit, und verringerten noch die Chancen des kleinen Abenteurers«, berichtete Joseph Roth am 29. Juni 1928 in der Frankfurter Zeitung über die mittlerweile polnischen Erdölquellen in und um Boryslaw.
Quellen#
- Verschwundene Arbeit, R. Palla, Christian Brandstätter Verlag, 2010