Karl Zellhofer und Martin Zellhofer: Verschwundene Kinos im Weinviertel#
Karl Zellhofer und Martin Zellhofer: Verschwundene Kinos im Weinviertel. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach 2019. 120 S., ill., € 21,90
Schulrat Karl Zellhofer und der Historiker Mag. Martin Zellhofer haben sich mit ihrem Bild-Text-Bänden einen Namen als Lost-Places-Entdecker im Weinviertel einen Namen gemacht. So publizierten Vater und Sohn in der Edition Winkler-Hermaden heuer Verschwundenes Marchfeld, im Vorjahr über Verschwundene Eisenbahnen im Weinviertel. 2016 erschien Verschwundenes Weinviertel. Jetzt behandeln sie ein weiteres emotionales Thema, die ehemaligen Dorfkinos. Viele persönliche Erinnerungen sind mit den Lichtspieltheatern verknüpft. So schreibt Martin Zellhofer: "Am Eingang gab es ein Buffet mit vielen Süßigkeiten.Wir sahen Zeichentrickilme, der dunkle Saal war mir unheimlich und erschien mir unermesslich groß. … Die älteren Dorfkinder durften oder trauten sich bereits allein ins Kino gehen, das hat mir imponiert." Lange konnte sich der Autor nicht an diesem Kino erfreuen. Es wurde gesperrt, als er neun Jahre alt war, und später abgerissen. Die "Lichtspiele Leobendorf" sind eines der am besten dokumentierten Beispiele von 18 verschwundenen Kinos im Weinviertel, die das Buch in Wort und Bild vorstellt. So sind Plakate und Eintrittskarten, Ansichten des Gebäudes von außen und innen, darunter das beliebte Bufett, und ein "liebevoller Nachruf der Bezirkspresse" zu sehen. 1974 sorgte ein, auf der im Ortsgebiet gelegenen Burg Kreuzenstein gedrehter, "komödiantischer Sexfilm" für ausverkaufte Vorstellungen. Zahlreiche Statisten aus der Marktgemeinde erfuhren erst dabei, bei welcher Art von Film sie unbewußt mitgewirkt hatten.
Die Autoren haben rund 90 Weinviertler Orte ausfindig gemacht, in denen es (zumindest) ein Kino gab. Sie haben Chroniken und Archive durchforstet und mit älteren Menschen gesprochen. Besonders viel konnte der 83-jährige Josef Pauker erzählen. Er war "Operateur" im Großkruter Kino, das von 1951 bis 1987 bestand und - noch völlig eingerichtet - verfallend mitten im Ort steht. Der Dienst ließ sich gut mit seiner Hauptbeschätigung im Lagerhaus vereinbaren. Nur zwei Mal wöchentlich gab es Vorführungen um 20 Uhr, an Sonn- und Feiertagen auch um 15 und 18 Uhr. Die Vorstellungen begannen mit Werbedias, nach der Wochenschau folgte der Hauptfilm, wobei Heimatfilme und Western besonders gefragt waren. Die Verleiher schickten diese per Bahn, wo sie der Vorführer abholen und wieder abliefern musste. Auch viele Zuschauer aus der Umgebung kamen mit dem Zug. Zählten früher Jugendliche zum Stammpublikum - wobei man das Jugendverbot nicht allzu ernst nahm - so begann der Besucherschwund mit dem Aufkommen der Mopeds. zum Besucherschwund. Das Fernsehen tat ein übriges, letztlich spielte man oft nur noch für einen Besucher.
"Die meisten Kinos sind bereits verschwunden. Sie wurden abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Andere Kinos wiederum dienen nach Umbauten als Lagerhalle, Wohnung, Wirtshaussaal oder Veranstaltungshalle," schreiben Karl und Martin Zellhofer über ihre "melancholische Mission". Dennoch wurden sie bei der Recherche fündig. An vergilbten Schauspielerportraits der Sascha-Film erlebten sie, wie die Zeit stehen geblieben scheint. Auf Programmheften, Plakaten und Werbedias weckte die Retro-Typografie Erinnerungen. In Seefeld-Kadolz prangt noch der Schriftzug "Tonkino" über dem Eingang. "Das Gebäude ist bewohnt und dementsprechend gepflegt" , konnten sie erfreut feststellen und nostalgische Fotos vom vollständig erhaltenen Kinosaal und dem eingerichteten Vorführraum machen. Manche ehemalige Lichtspieltheater haben wieder eine passende Verwendung gefunden. In Großweikersdorf wurde der Kinosaal zum Gasthaus, in Zistersdorf ist ein Theater eingezogen, in Stillfried hat sich das alte Kino zum Museumskino gewandelt. Das Eggenburger Lichtspielhaus, ein frühes Werk des Architekten Clemens Holzmeister, steht unter Denkmalschutz. Es dient dem Krahuletz-Museum als Depot. Andere Kinos, wie in Drösing, Hadres, Ladendorf wirken ruinös.
Die Autoren haben nicht nur die Geschicke der Weinviertler Lichtspieltheater erforscht, sie geben einleitend auch Einblicke in die Geschichte des Kinos allgemein. Ende des Jahres 1895 zeigten die Brüder Skladanowsky in einem Berliner Varieté, und die Brüder Lumière in einem Pariser Kaffeehaus erstmals "laufende Bilder". Schon 1896 gab es in der Wiener Innenstadt öffentliche Filmvorführungen. Als Pionier erwies sich der Panoptikum-Besitzer Louis Velteé, der einen Saal als Kino adaptierte. (Seine Tochter Louise Kolm-Velteé wurde zur ersten Regisseurin Österreichs, aus ihrer Firma entwickelten sich die weltberühmten Rosenhügel-Studios). Um die Jahrhundertwende entstanden in Wien zahlreiche Lichtspieltheater sowie Wanderkinos, die auch in Niederösterreich spielten. Die ersten richtigen Kinos des Bundeslandes eröffneten 1910 in Deutsch-Wagram und 1911 in Retz - beide sind noch in Betrieb. Damals bestanden in der ganzen Monarchie rund 400 Kinobetriebe. 1932 zählte man in Österreich 909 Kinos, 2017 waren es 139, davon 25 in Niederösterreich. Heute existieren im Weinviertel (Stockerau, Retz, Mistelbach, Laa an der Thaya und Deutsch-Wagram) fünf.