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Notiz 061: Die Praxisverläufe#

(Zeit.Raum: Kontext ist immer da)#

von Martin Krusche

Es waren bloß einige Handgriffe nötig, um die Intrada für meinen Slot im Gleisdorfer „Zeit.Raum“ vorzubereiten. Glas reinigen kam immer schon an erster Stelle, damit die Scheiben trocknen konnten, während ich den Postkartenkarton zuschnitt. Ausmessen. Die Bilder fixieren. Dann das ganze Sandwich in den Wechselrahmen. Solche Abläufe sind das. Plus das Herrichten von Artefakten und Info-Texten.

Joachim Karner in seiner Ausstellung. (Foto: Martin Krusche)
Joachim Karner in seiner Ausstellung. (Foto: Martin Krusche)

Ich habe mich etliche Jahre nicht mehr mit dem Gestalten und Aufbauen von Ausstellungen befaßt. So war ich nun entsprechend überrascht, daß diese kleine Session mich derart sentimental gemacht hat. Das traf zufällig mit einem anderen Moment zusammen, als ich die Tage davor gelesen hatte, was bei Maler Radenko Milak gerade läuft.

Radenkos Arbeiten werden kommenden September (2021) in „The Armory Show“ zu sehen sein: (Link) Das sagt nicht allen etwas, aber mich hat es elektrisiert, denn dieser Kontext hat Wucht: „On December 14, 1911 an early meeting of what would become the Association of American Painters and Sculptors (AAPS) was organized at Madison Gallery in New York. Four artists met to discuss the contemporary art scene in the United States, and the possibilities of organizing exhibitions of progressive artworks by living American and foreign artists, favoring works ignored or rejected by current exhibitions.“ (Quelle)

Das berührt Fragen nach der Gegenwartskunst. Das berührt eine Session in Gleisdorf. Das mischt meine Reminiszenzen mit dem Auftakt für den „Zeit.Raum“, denn ich hatte mit Monika Lafer vereinbart, daß wir unsere Arbeit am 8. Mai 2021 beginnen, nachdem wir uns die Ausstellung von Joachim Karner angesehen haben: Architekturzeichnungen.

Karner hat eine klassische Architekturausbildung absolviert, was Bildhauerei und Aktzeichnen einschloß. Material. Körper. Raum. Solides Zeichnen mit versierten Händen. Folglich kann man mit ihm auch über die Renaissance und über die Zentralperspektive reden, Fragen der Kunst erörtern, Annahmen debattieren, wie Europa sehen gelernt hat.

Ich brauche solchen Gesprächsraum, in dem von Sachkenntnis ausgegangen wird. (Das esoterische Gerede von Hobbymalern mit ihren selbstreferentiellen Werken interessiert mich nicht.) Mit Karner werden wir folglich im Gespräch bleiben. Aber kurz zurück zu Milak. Ich hatte schon zu unserem 2013er Kunstsymposion Leute aus Bosnien und Serbien eingeladen, weil mich interessierte: wie gehen denn nun die südslawischen Menschen auf das Jahr 2014 zu, auf dieses Zeitfenster 1914-2014?

Mirjana Peitler-Selakov und Radenko Milak. (Foto: Martin Krusche) (Zum Vergrößern anklicken!)
Mirjana Peitler-Selakov und Radenko Milak. (Foto: Martin Krusche) (Zum Vergrößern anklicken!)
Aviso zur Armory Show. (Archiv Radenko Milak)
Aviso zur Armory Show. (Archiv Radenko Milak)

Im Folgejahr dann unter anderem eine fulminante Ausstellung („Beyond Memory“) mit Aquarellen von Radenko Milak. Dazu mein Foto, das Milak und Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov vor dem Gleisdorfer Rathaus zeigt. In ihren Händen Portraits von Gavrilo Princip und Charlie Chaplin. Der exponierte Attentäter und der Darsteller des großen Diktators. Symbolische Angelpunkte des 20. Jahrhunderts. (Bedenken Sie, es ist mein Beruf, mit Symbolen zu arbeiten.)

Das drückt zugleich aus, auf welcher Ebene ich mich regional der Wissens- und Kulturarbeit widmen mag. Horizont. Kenntnisse. Intellektuelle Selbstachtung. Was die Hobby-Liga angeht, habe ich ja keine Einwände gegen deren Tun. Daß jemand künstlerische Mittel nutzt, um seine eigenen Befindlichkeiten zu bearbeiten und das dann im Freundeskreis mitzuteilen, ist naheliegend. Aber das sind eher soziale Agenda, was einen anderen Kontext betrifft als jenen der Gegenwartskunst. Verschiedene Felder.

Joachim Karner hat in unserem Gespräch zwischen seinen Zeichnungen klar gemacht: da ist diese Reflexionsarbeit im Kopf. Dann erschließt er sein Thema zum Teil mit zeichnerischen Mitteln. Dabei macht ihm auch das Ergebnis dieses Zeichnens einiges klar. Seine Annahmen über etwas, das noch nicht existiert, müssen mit der Bauherrschaft debattiert werden. Dann erst geht es ans Zeichnen von Plänen, die einen völlig anderen Teil des Gesamtprozesses betreffen als seine Architekturzeichnungen.

Monika Lafer bei bodennaher Freeclimb-Übung. (Foto: Martin Krusche)
Monika Lafer bei bodennaher Freeclimb-Übung. (Foto: Martin Krusche)

Von Aristoteles kennen wir das Begriffspaar Virtualität/Aktualität. Wir Menschen haben symbolisches Denken entwickelt, was bedeutet, wir können Dinge denken, die es nicht gibt. Das ist das Virtuelle, das Mögliche. Als ein planendes Denken kann es virtuelle Gegenstände dann aber in Aktualität überführen.

Das ist natürlich auch ein Kernbereich der Kunst, wobei Werke der Baukunst überwiegend praktischen Nutzen haben müssen, Kunstwerke in den meisten Fällen nicht. Wir bewegen uns da also auf einem gemeinsamen Terrain, wo manchmal aus den gleichen Quellen geschöpft wird.

Kunst und Kunstfertigkeit sind freilich zwei verschiedene Kategorien, weshalb nicht alles was „eine Kunst ist“, dann auch ein Kunstwerk ergibt. Aber diese Aspekte und Zusammenhänge wollen stets neu verhandelt und geklärt werden.

Das altgriechische Wort „Téchne“ hat einst gleichermaßen Kunst, Wissenschaft und Technik bezeichnet. Wenn wir diese Genres heute getrennt betrachten und bezeichnen, heißt das nicht, die Wechselbeziehungen zwischen ihnen seien aufgehoben. Es drückt bloß eine höhere semantische Komplexität aus.

Hinzu kommt eine Anregung, die wir einem bedeutenden Architekten, nämlich Richard Buckminster Fuller, verdanken. Er meinte sinngemäß: „Je fortgeschrittener die Kunst ist, desto mehr ist sie Wissenschaft. Je fortgeschrittener die Wissenschaft ist, desto mehr ist sie Kunst“.

Zwei Slots hinter den Scheiben, alle vier Wochen neue Inhalte. (Foto: Martin Krusche)
Zwei Slots hinter den Scheiben, alle vier Wochen neue Inhalte. (Foto: Martin Krusche)

Ich war 2009 in einem Gespräch mit Künstlerin Victoria Vesna auf dieses Statement gekommen, hab später nachgefragt, ob mein Verständnis dieses Punktes mit ihren Überlegungen zusammengehe. Sie bestätigte mir meine Erinnerung und schrieb mir ferner: „Below is the quote that you understood right. Best from Gdansk, V.“ Bucky von 1973 demnach: „The great aesthetic which will inaugurate the twenty-first century will be the utterly invisible quality of intellectual integrity; the integrity of the individual dealing with his scientific discoveries; the integrity of the individual in dealing with conceptual realization of comprehensive interrelatedness of all events; the integrity of the individual dealing with the only experimentally arrived at information regarding invisible phenomena; and finally integrity of all those who formulate invisibly within their respective minds and invisibly with the only mathematically dimensionable, advanced technologies, on the behalf of their fellow men“.

Staubsaugen. Fenster putzen. Die Dinge zurechtrücken. Die Sets aufbauen. Von der Straße her überprüfen, ob alles passend plaziert ist. Es ist Teil der Prozesse, in denen wir etwas auf die Ebene nächster Wahrnehmungserfahrungen rücken und so beitragen, einander die Welt zu erzählen.