Notiz 016: Die Stunde mit Meister Thaler#
von Martin KruscheBei aller Nützlichkeit von Telekommunikation fürs Teleworking bleibt uns doch die reale soziale Begegnung unverzichtbar. So war ich eben mit Graphic Novelist Chris Scheuer auf dem Weg zu Altmeister Fredi Thaler. Der hatte vor seiner Werkstatt einen Tisch bereitgestellt, brachte uns stark gebrauten Kaffee und wir konnten darangehen, uns für ein kleines Vorhaben abzustimmen.
So wird „Mythos Puch“ in einzelnen Strophen weitererzählt. Wir repräsentieren drei grundverschiedene Metiers, die anlaßbezogene Schnittpunkte haben. Als Scheuer zwischendurch bemerkte, er besäße selbst kein Auto, meinte Thaler, der erfahrene Mechaniker: „Dann bist du wenigstens nicht voreingenommen.“ Wobei?
Es geht um ein Jubiläumsposter zum Thema 60 Jahre Steyr-Puch Haflinger. Es geht aber auch um diese durchgängigen Themenlinien, die sich finden lassen, wenn man über Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst nachdenkt. Das läßt sich über herkömmliche Positionen von Traditionsschützern kaum auf interessante Art erschließen.
Eben bot uns der Brand der Notre-Dame Gelegenheit, anschaulich zu erfahren, wie gerne und wie laut weite Kreise bildungsbeflissener Menschen die Kunst und die Kultur preisen, wenn der Anlaß dazu kanonisierte Werke sind, die gefälligst außer Diskussion zu stehen haben. Da wird plötzlich von allerhand Werten geraunt, für die sonst nur vergleichsweise wenige aus freien Stücken einen Groschen ausgeben würden.
Da riskiert selbst der letzte Schnösel gar nichts, wenn er herumtrompetet: „Unsere Kultur!“ Aber wo und vom wem wird darum gerungen, daß unsere Kultur mit all ihren unausweichlichen Brüchen Dauer und Reichweite behält?
Dazu paßt gerade, daß Rolande Barthes Ende der 1950er sein anregendes Buch über die „Mythen des Alltags“ publiziert hat. Auf Deutsch erschien es in den frühen 1960ern. Einer der Essays in dieser Sammlung hat den Titel „Der neue Citroën“ und ist der Deesse gewidmet.
Barthes: „Ich glaube, daß das Automobil heute die ziemlich genaue Entsprechung der großen gotischen Kathedralen ist. Soll heißen: eine große epochale Schöpfung, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern entworfen wurde und von deren Bild, wenn nicht von deren Gebrauch ein ganzes Volk zehrt, das sie sich als ein vollkommen magisches Objekt aneignet.“
Das ist ja keine Feststellung, die Jahrhunderte überdauern wird, sondern ein provokanter Denkanstoß. Wir drei, wie wir da vor Thalers Schuppen saßen und alte Archivalien durchsahen, um daraus Details für das Motiv zu ziehen, das Scheuer nun graphisch auf den Punkt bringen wird, wir drei sind etwas verschrobene Handwerker mit unbändigen Herzen.
Ich bin überzeugt, daß jeder von uns bei der Arbeit nicht an die Ewigkeit denkt, sondern an das Gelingen der Arbeit. Ich vermute, so ging es auch den meisten Handwerkern, die an gotischen Kathedralen gebaut haben. Sie dachten nicht an die Ewigkeit, sondern an das Gelingen der Arbeit.
Ich bin überzeugt, daß ein so oder so gestimmtes Bürgertum, plus all jene, die um sozialen Aufstieg ringen, solche Bemühungen dann ideologisch befrachten und für sich zu vereinnahmen suchen. Da trennen sich eben Wege und Positionen.
Ich denke: Was haben Hephaistos die Ambitionen der Götter und die Träume der Menschen geschert, wenn er in seiner Schmiede stand und mit einem kniffligen Werkstück befaßt war? Nichts!