Aus der Kraft der Gewässer#
(Koordinaten unseres Lebensraumes)#
Von Martin Krusche#
Ich hab mit einem Assoziationsgeflecht zu tun, das etwas entwirrt und geordnet werden muß. Hier sind schon Überlegungen notiert, daß die vormalige Textilfabrik Borckenstein in Neudau ausreichend alt ist, um für die gesamte Dampfmaschinenmoderne zu stehen, daß sie endgültig liquidiert wurde, als wir in der Vierten Industriellen Revolution angekommen sind. Wir erleben den Umbruch einer Ära von enormem Ausmaß.
Meine kleine Serie „Die Mechanisierung der Welt“ leuchtet jene rund 200 Jahre permanenter technischer Revolution und deren geschichtliche Hintergründe aus, von denen wir geprägt wurden. Vieles davon kommt gewissermaßen aus dem Wasser.
Das Terrain der Textilfabrik grenzt an den Fluß Lafnitz. Zu den Firmengründen gehören auch Bereiche der Lafnitz-Auen. Eine Au, das ist in der Regel ursprüngliches Überschwemmungsgebiet, oftmals von Menschenhand verändert, wo es mit den Interessen ansässiger Leute kollidiert.
Als wir uns am Fluß umsahen, war mir klar, daß darin ein große Thema liegt. Ich hab angefangen, das in „Wasserstand“ (Das regionale Netzwerk in ausgewählten Stationen) überschaubar zu machen.
Gleisdorf liegt an der Raab, welche von ihrem Ursprung im Raum Birkfeld ausgehend eine Nord-Süd-Route durch die Oststeiermark zeichnet, wo ich von Gleisdorf aus nach Feldbach blicke. Sehe ich dagegen nach Osten, habe ich Ilz und Fürstenfeld im Fokus, was auch bedeutet, ich denke an die Strata hungarica, die alte Ungarnstraße. Entlang dieser Route bestanden wichtige Poststationen, um die Strecke von Graz Richtung Ofen zu bewältigen, einem ungarischen Ort, der heute ein Teil von Budapest ist.
Fürstenfeld liegt an der Feistritz, was unter anderem auf die Energiewirtschaft verweist. Die Feistritzwerke haben ihre Firmenzentrale in Gleisdorf. Das geht aufs Jahr 1905 zurück, als in der Stubenbergklamm ein Kraftwerk in Gang kam und die Feistritzwerke gegründet wurden. Dieses Ereignis hat mit der Arbeit von Franz Pichler zu tun, dem „Elektrischen Franzl“, auf dessen Leistungen die Elektrifizierung der Oststeiermark zurückgeht; auch die Entstehung der Elin in Weiz, heute ein weltweit tätiger Konzern. (Ich assoziiere die Elin vor allem mit Generatoren, Trafos und Elektromotoren.)
Pichler war der Sohn eines Ehepaars, das eine Mühle betrieb. Die Nutzung von Wasserkraft für Mühlen, Hämmer, Sägewerke, schließlich Kraftwerke zur Stromerzeugung, hat einen engen technischen, wirtschaftlichen und lokalen Zusammenhang.
Dazu mag einem auch die Knill-Gruppe einfallen, ebenfalls längst weltweit tätig. Hochspannungstechnik, Schaltelemente, Isolatoren etc. Der Konzern geht auf die 1712 in Weiz gegründete Klingenschmiede Mosdorfer zurück. Eine Ensemble alten Zainhämmer aus diesem Betrieb, ein mit Wasserkraft angetriebenes Monster, das jemanden bei der Arbeit taub machen konnte („hammerterrisch“), steht heute noch in der Bezirkshauptstadt.
Die Lafnitz, die Raab und die Feistritz stehen symbolisch in einem vielfältigen thematischen Zusammenhang. Sie berühren Orte, die für unser Vorhaben inhaltliche Referenzpunkte ergeben. Manches davon ist exemplarisch, ist auf seine Art auch an anderen Orten zu finden.
Ich war kürzlich mit Fotograf Richard Mayr zu Besuch bei der Familie Schalk in Fürstenfeld. Deren Geschichte handelt von einem Mühlen- und Kraftwerksbetrieb. Ihr Anwesen liegt direkt an der Stadtmauer von Fürstenfeld, an der Außenseite des Festungswalls, nahe einer Bastei. Genau über den Schalks sieht man noch jenes Gebäude, in dem die 1776 gegründete Tabakfabrik eingerichtet war.
Dazu gehört eine eiserne Fußgängerbrücke, die einst von der k.k. priv. Maschinenfabrik und Eisengießerei J. Körösi aus Graz-Andritz geliefert wurde. Ich kannte diesen Betrieb in Kindertagen als Andritzer Maschinenfabrik, heute ein weltweit tätiger Konzern.
Die Geschichte des aus Ungarn stammenden Josef Körösi erinnert deutlich an jene des aus Slowenien stammenden Janez Puh, den wir als Johann Puch kennen. Geschickte Männer, die quasi aus dem Nichts kamen und bedeutende steirischen Unternehmen aufgebaut haben.
Altmeister Puch bezog übrigens etliche Maschinen und Anlagen von Franz Pichler. Durch die Dampfmaschinen waren Betriebe einst standortunabhängiger geworden, durch elektrische Anlagen waren praktischere Kraftquellen verfügbar. Allerdings liegt das Grazer Stammwerk von Puch direkt am Mühlgang und steht so in der Tradition einer ganzen Reihe von Betrieben, die je einen Mühlgang links und rechts der Mur als Kraftquelle genutzt haben.
Die Ableitungen zu diesen Mühlgängen liegen nördlich von Graz (im Bereich Weinzödl). Heute existiert nur mehr der rechtsseitige Mühlgang und in seinem Anfangsbereich kann man heute noch die Teste eines Betriebes des alten Grazer Mühlenkonsortiums finden.
Ich hab mich in der Zusammenschau all dieser Dinge auch nach der Geschichte von Sägen und von Mühlen ungesehen, nach der Historie unserer Stromversorgung sowieso. Das werde ich hier nach und nach aufblättern. Wenig überraschend, daß ich mir in dem Zusammenhang auch Brücken und deren Entwicklung näher ansehen muß.
Da all das zentral mit Fragen nach Regionalentwicklung und nach der Zukunfstfähigkeit eines Gemeinwesens zusammenhängt, war ich so frei, unser Vorhaben auch mit Überlegungen zur Kulturpolitik zu verknüpfen. Die Aspekte unserer Sozialgeschichte sind ohnehin an vielen Stellen mit all diesen den Themen verknüpft.
- Der milde Leviathan (Journal und Diskursraum)
- Fotos: Martin Krusche & Richard Mayr
Weiterfürende Links#
- Die Mechanisierung der Welt(Übersicht)
- Wasserstand (Das regionale Netzwerk in ausgewählten Stationen)
- Elektrizität (Eine Sammlung)
- Brücken und Stege (Eine Sammlung)
- Strata hungarica: Strecken und Orte (Die Landkarte der Bedeutungen im Detail)
- Kulturpolitik. Eine Debatte.