Flocke: Alter Mann V#
(Decrescendo der Unzerstörbarkeit)#
von Martin KruscheAuf dem Weg in mein 70. Jahr hätte ich natürlich achtsamer sein können, was meine körperlichen Befindlichkeiten angeht. Doch weshalb hätte ich sollen? Es lief ja prima in diesem Gefühl quasi unzerstörbar zu sein. Egal was kam, ich hab es ausgehalten. Freilich wirkt das auch für mich im Rückblick ziemlich töricht. Aber es war eine sehr angenehme Art in der Welt zu sein und ist mit populären Role Models extrem kompatibel gewesen.
Daß ich es bis zur bitteren Neige kennengelernt habe, hat mir zwar manch tiefen Schrecken verpaßt, aber auch das wird in unserer vorherrschenden Männerkultur mit Lorbeerkränzen verziert. Ich konnte mich den Zumutungen meiner Kindheitstage entziehen. Die Natur hat mich breit und wuchtig angelegt, was in meinen Teenagertagen zur Entfaltung kam.
Mein diesbezügliche Lieblingsphantasie geht so. In der steirischen Spielzeugabteilung der Evolution saßen sie beieinander, grinsten, und einer sagte: „Den Kerl bauen wir als ziemlich belastbares Exemplar. Das wird lustig.“ Folglich konnte ich mich aus den gut gefüllten Regalen des Machismo hinreichend bedienen. Selbst als ich samt meinem Motorrad von einem LKW-Zug flach gemacht wurde, ließ sich die Pose halten… Nachdem ich die Intensivstation wieder verlassen durfte.
Es hatte sich zwar etwas Furchterregendes in mir eingenistet, um nie mehr zu weichen, aber trotz einiger irreversibler Läsionen konnte ich ein stabiles Körpergefühl zurückgewinnen. Das war nicht über Sportlichkeit zu machen, sondern im Kopf. Wie man im Haus des Henkers nicht vom Seil spricht, das empfiehlt der Volksmund, so spricht man im Haus des Kriegskrüppels nicht vom Sport. Das war Standard in meiner Kinderstube. (Bloß meine Mutter nervte gelegentlich mit der penetranten Forderung, ich solle mich mehr bewegen.)
Ich vermute sogar, daß mein Faible für motorisiertes Gerät mit all dem zusammenhängt, weil das Kraftfahrzeug zumindest die Phantasie nährt, dafür müsse man kein Athlet, körperlich nicht unbedingt intakt sein. (Daß erfolgreiche Motorsportler sehr wohl körperlich Leistungssportler sind, hab ich einfach ignoriert.)
Wozu nun diese Skizze? Im besten Fall darf sich ein Kerl in der Kerl-Nummer also die ersten rund 40 Jahre für unzerstörbar halten. (Menschen wurden über Jahrtausende hinweg mehrheitlich sowieso nicht älter.) Zwischen 40 und 50 habe ich geahnt: das wird so nicht bleiben. Zwischen 50 und 60 war klar: das ist vorbei. Zwischen 60 und 70 hat sich anlaßbezogen öfter eine quälende Frage verdichtet: Fühl ich mich grade körperlich so schwach, weil ich so alt bin? Oder war ich einfach zu bequem und hätte mich mehr anstrengen müssen? Wo, zur Hölle, ist die Unerschöpflichkeit meiner Kraft hin, mit der ich so lange so komfortabel leben durfte?
Ich hab heute immer noch keine Ahnung, woran ich in diesen Dingen Maß nehmen sollte, weiß wenigstens mit Sicherheit, daß Posieren diese Ratlosigkeit bloß verschlimmert. Es mangelt an Vorbildern alter Männer, die mir nichts vorgaukeln. Es wimmelt nur so von posierenden Kerlen. Das sind einige der Zusammenhänge, die mich zu dieser Frage geführt haben: „Was bedeutet es, ein alter Mann zu sein?“ Dieses euphemistische Senioren-Gequassel nützt mir dabei keinen Meter weit. (Fortsetzung)
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