Notiz 020: Nachtfalken#
(Reden, reden, reden, bis wir einander kannten)#
von Martin KruscheEin Public House ist dazu da, seine Drinks nicht bloß auf dem eigenen Sofa zu genießen und überdies Menschen zu treffen, die man leiden kann, wahlweise neue Begegnungen zu haben. Stimmt das so? Du meine Güte! Es gibt keine Notwendigkeit, ein Wirtshaus sachlich zu begründen. Ein Pub, Beisl, eine Windn erklärt sich ja von selbst.
Also. Erstens war ich eine Stunde zu früh da, weil ich die Beginnzeit des Konzertes falsch abgespeichert hatte. Zweitens kann man in so stiller Stunde nicht dauernd der Barfrau in den Ohren liegen, denn die hat dort ja ihre Arbeit zu erledigen. Drittens kam zu meinem Glück beizeiten Hansi Grimm vorbei, denn ich hab kein Geschick, eine Stunde lang bloß in die Luft zu schauen.
Grimm ist vom Fach. Er war viele Jahre in Gleisdorf mein bevorzugter Barkeeper und der sorgsame Hüter einer „Verschwörung der Poeten“. Heute studiert er die weitere Entwicklung der Branche von der herüberen Seite der Theke aus.
Mittlerweile hatten die „Styrian Pumpkins“ mit ihrem Konzert begonnen, aber ich war in Gespräche vertieft. Neben Grimm, den ich letzthin schon im „Red Baron“ getroffen hatte, landete dort Künstler Mathias Petermann, mit dem unter anderen über den Philosophen Erwin Fiala zu reden war.
Kontinuitäten. Ich bin ein Anhänger prozeßhafter Arbeit. Grimm und Petermann kamen jüngst in dieser Notiz vor: „Public House“. Ich mag es derzeit sehr, aktuelle Fragen über mehrere Generationen hinweg zu erörtern. Ich mag die Kontraste der Lebenskonzepte und Standpunkte. Mir scheint, daß man nur in solchen Kontrasten klüger werden kann. Deshalb behaupte ich auch gerne, daß Dissens etwas Wertvolles sei.
Erfahrungsgemäß denken viele Menschen, es kämen Wahrheiten zutage, wenn man Widersprüche eliminiert. Das halte ich für Mumpitz. Diese Annahme verrät ihre Intention, trägt in sich, wohin sie führen möchte: eine Hierarchie. Mit solchen Hierarchien kann ich nichts anfangen.
Wie kam es dann, daß ich an der Theke blieb, statt in den Konzertbereich hinüber zu gehen? Da war auch noch mit Maler Gerhard Schalk und seinem Bruder, dem Jazzmusiker Wolfgang Schalk, zu reden. Doch mitten in diesen Verläufen entfaltete sich ein dichtes Gespräch mit einem zufälligen Sitznachbarn und seiner Frau.
Es ging um die Politik des Landes, aber auch Europas. Es ging um historische Hintergründe und um Fragen nach Zukunftsfähigkeit. Aus so einem Thema kann ich unmöglich raus. Nach einer Weile fragte ich den Mann: „Bist du hier im Gemeinderat?“ „Im Stadtrat“, erwiderte er. „Verflixt! Dann sollte ich wissen, wer du bist, denn ich wohne hier.“ Sie verstehen den wesentlichen Punkt? Momentan reden wieder einmal alle über Politik wie über schönes und schlechtes Wetter, da sollte man wenigstens wissen, wer zuhause im Rathaus oder im Gemeindeamt sitzt.
So hab ich Erwin Kohl kennengelernt, Sozialdemokrat, also derzeit nicht gerade fröhlich, was den Lauf der Dinge angeht. Aber da ist dieser spezielle Aspekt, den ich gerne noch eine Weile untersuchen möchte. Nehmen wir einmal an, wir haben gerade eine wunderbare wie auch höchst interessante Modernisierungskrise, denn die ganze Welt steckt in der Vierten Industriellen Revolution.
Das ist viel brisanter als manche denken. Nicht wegen der technischen Innovationen, sondern wegen des Tempos, denn wir hatten eben erst die Digitale Revolution in den 1970ern. Zwei industrielle Revolutionen innerhalb einer Lebensspanne, das gab es davor noch nie. Dazu werden bei uns Menschen in großer Zahl sehr viel älter, als das früher den meisten Leuten gelang. Eine Menge neuer Modi, für die wir offenbar noch keine hinreichenden Strategien haben.
Nehmen wir also an, diese radikale Transformationskrise hat unter anderem dazu geführt, daß alle Parteien, die uns vertraut sind, ebenso unausweichlich in einer Krise sein müssen, was sich in allerhand bekannten Unarten äußert. Nehmen wir weiter an, momentan stehen nur jene Formationen halbwegs gut da, denen einerseits die Gunst der Stunde kurz Vorteile bietet, die andrerseits genug Geld in eine effiziente Öffentlichkeitsarbeit schaufeln können. Das ist aber hauptsächlich Fassade und Kosmetik.
Wenn ich davon ausgehe, daß die Dinge sein dürfen, was sie sind, daß wir uns deshalb dem realen Zustand der Welt widmen dürfen, anstatt uns über effiziente PR-Arbeit zu vermarkten, entstehen ganz andere Aufgaben als jene Agenda, die mir durch Message Control und Schönrederei, wie ich sie momentan aus Österreich und Deutschland kenne, angedient werden.
An einer Stelle unseres Gesprächs meinte Kohl, er habe keine Klarheit, was derzeit gute Antworten seien. Bravo! Ich bin nämlich überzeugt, daß wir in dieser Phase des radikalen Umbruchs erst einmal drangehen sollten, untereinander zu klären, was gute Fragen (!) seien.
Aus der Kunstpraxis ist uns das völlig vertraut. Ich denke, Schalk und Schalk werden mit darin nicht widersprechen. Oft bedarf es größter Anstrengung, herauszuarbeiten, was im Moment eine gute, eine relevante Frage sei. Wer da schon mit Antworten hausiert, sollte Mißtrauen erwecken. Das verweist nun auch auf Fiala. Der Philosoph wird mir vermutlich bestätigen: alle Philosophie beginnt mit dem Staunen und dem Fragen.
Sie ahnen nun vielleicht, damit wäre das vorhin erwähnte Tempo von Entwicklungen erneut zu betonen. Wenn die Dinge in solcher Dynamik unser Leben verändern, haben wir keine Adaptionsphasen mehr. Während nun die Komplexität unserer Alltagswelten sprunghaft angestiegen ist, soll also politisches Personal immer schneller agieren. Da das aber menschenunmöglich ist, bietet es sich an, in die Simulation zu flüchten. Die Simulation von Sachkenntnis und Lösungskompetenz. Wie schlau ist das?
Nun ist es nicht mein Job, die Probleme politischer Formationen zu bearbeiten. Als Künstler muß ich mich einerseits auf die Autonomie der Kunst berufen. Kunst hat nicht die Aufgabe, gesellschaftliche Probleme zu reparieren. Andrerseits bin ich ein politisch anwesender Bürger dieses Gemeinwesens. Da suche und finde ich dann Gelegenheiten, im zivilgesellschaftlichen Zusammenhang einzusetzen, was mit die Kunstpraxis an Kompetenzen ermöglicht.
Das heißt, im Umgang mit Kunst nehme ich keine Zurufe entgegen und suche mir die Aufgaben selbst, würde jedem widersprechen, der mir mit solchen Floskeln kommt: „Die Aufgabe der Kunst ist dies, die Aufgabe des Künstlers ist das und überhaupt…“ Als Bürger handle ich im Gemeinwesen freilich nach anderen Grundsätzen.
Natürlich ist ein Pub ein guter Ort für all das. Eine soziokulturelle Schnittstelle für eine große Anzahl an Optionen. Eine feine Bühne für die Praxis des Kontrastes. Ergo: wir haben eine Situation! Das hat Konsequenzen…
Weiterführend I#
Der Untertitel dieses Textes paßt mir zur hier skizzierten Gleisdorfer Pub-Situation, ist aber ein Zitat aus einer ganz anderen Situation. Wir waren im Mai 2007 mit dem Projekt „next code: in between“ in Liechtenstein zugange. Zur Crew gehörte die türkische Künstlerin Deniz Gül.Im Jänner davor war in Istanbul der armenische Publizist Hrant Dink von einem Aggressor auf offener Straße ermordet worden. Der Täter gab als völlig substanzloses Motiv an, Hrant Dink habe das türkische Volk beleidigt, denn man kann ein Volk nicht beleidigen. Deniz erzählte uns vom Ermordeten, den sie gut gekannt hatte und dessen Wesen sie mit genau diesen Worten zusammenfaßte. So habe er die Begegnung und Verständigung, auch in Kontroversen, gesucht: „Reden, reden, reden, bis wir einander kannten“.
Weiterführend II#
Gitarrist Wolfgang Schalk ist gerade mit seinem neuen Album „Obsession“ da. Die erledigte Arbeit war wohl ein wesentlicher Grund, daß er Amerika für ein Weilchen hinter sich läßt und derzeit einige Wochen sehr entspannt in der Oststeiermark verbringt.Es gibt übrigens eine praktische Möglichkeit, das Album überall auf der Welt zu erhalten, wo ein Internet-Zugang funktioniert. Sie geben bei cdbaby „Wolfgang Schalk“ ein und finden da eine aktuelle Auswahl.
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