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Notiz 007: Unsere Werkzeuge#

von Martin Krusche

Wenn ich heute nach Schnittstellen zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst frage, dann berührt das auch die Berührungspunkte zwischen Kunst und Technik. Das meint die Unterscheidung zwischen Kunst und Kunstfertigkeit. In der Antike war von artes liberales die Rede, die im Kontrast zu den artes mechanicae standen. In manchen Sprachregelungen wird das mit freie Künste und knechtische Künste übersetzt, was eine Hierarchie behauptet.

Die Nike von Samothrake. (Foto: Lyokoï, CC BY-SA 4.0)
Die Nike von Samothrake. (Foto: Lyokoï, CC BY-SA 4.0)

Das hat seine Verwandtschaft zur Unterscheidung von Grundlagenarbeit und angewandten Formen. Wo freilich Materie beherrscht werden muß, ohne daß Maschinen benutzt würden, um ein gewünschtes Ergebnis hervorzubringen, scheint sich ein Grundmotiv nicht seit Jahrtausenden, sondern seit Jahrmillionen zu bestätigen. Die Hände müssen geübt werden. Das verlangt mentale Stärke und physische Kraft.

Als ich kürzlich in der Werkstatt von Tom Kada stand, kam das zur Sprache. Kada hat ein Faible für historische Lastwagen. Um alte Fahrzeuge restaurieren zu können, nutzt er nicht bloß seine Ausbildung zum Tischler, er lernte auch die Metallbearbeitung. Das hat seine gemeinsamen Momente mit dem Bewältigen von Stein, was ich an meinem Großvater Richard sehen konnte. Der war Steinmetz, ein guter Zimmermann, ging aber generell an jede anfallende Arbeit handwerklicher Natur. (Bei ihm hatte ich auch erstmals einen Glasschneider in der Hand, mit dem ich nicht zustande brachte.)

Kada schilderte einen Kernbereich der Ausbildung so: „Du kriegst ein Flacheisen, darfst ein Stück herunterscheiden. Mit dem verbringst du dann ein halbes Jahr.“ Das Schneiden und Feilen von Stahl, die Einübung in jene Mühe, durch die irgendwann dem Metall klare Kanten, präzise Winkel und ebene Flächen beigebracht werden, falls man durchhält. Kada: „Das erste halbe Jahr, diese Feilerei, ich habe es verflucht. Aber hinterher, wenn du einmal ein fehlendes Teil nicht bekommst, mußt du ein paar Nachtschichten einlegen und das haut hin.“

Tom Kada (links) und Ferdinand Micha Lanner in der Holzwerkstatt. (Foto: Martin Krusche)
Tom Kada (links) und Ferdinand Micha Lanner in der Holzwerkstatt. (Foto: Martin Krusche)

Ich vermute, daß schon im ersten Ast oder Stein, welcher als nützlich aufgegriffen wurde, die Grenze zwischen Werkzeug und Waffe nur ein Hauch war. Ich mag die Vorstellung, daß Klauen zu Händen wurden, worauf das Maul zum Mund werden konnte. Wir haben für die Sprachfähigkeit unsere Körperwaffen aufgegeben, dabei einen Verstand entwickelt, der uns Werkzeuge und Waffen erfinden läßt.

Das scheint mir alles derart eng miteinander verwoben zu sein, da komme ich in Fragen nach der Kunst am Handwerk nicht vorbei. Ich möchte zwar, wie eingangs erwähnt, Kunst und Kunstfertigkeit voneinander unterschieden wissen, aber ich sehe die Wechselwirkungen.

Vom Stein zum Stahl#

Bei all dem komme ich nicht ohne weitreichende Rückblicke aus. Ich finde an den frühen Menschenwerkzeugen eine eigenartige Schönheit, wo geübte Hände zur Wirkung kamen. Form, Funktion, Bearbeitungsspuren. Dazu ein Gedankenspiel: Versuchen Sie es, finden Sie einen handlichen Stein, zusätzlich einen noch härteren. Schlagen Sie den einen so auf den anderen Stein, daß entweder eine schöne Mulde entsteht, die womöglich eine Klingen andeutet, oder die Basis für einen Mikrolith, eine winzige Steinklinge, absplittert. Trauen Sie sich das zu?
Ein Geröllgerät vom Oldowan-Typ, wie sie als die ältesten bekannten Steinwerkzeug-Arten gedeutet werden. (Foto: José-Manuel Benito Álvarez, Public Domain)
Ein Geröllgerät vom Oldowan-Typ, wie sie als die ältesten bekannten Steinwerkzeug-Arten gedeutet werden. (Foto: José-Manuel Benito Álvarez, Public Domain)

Warum ich das bloß als Gedankenspiel vorschlage, hat einen simplen Grund. Es braucht Wißbegier, Zeit und Ausdauer, um an Steinen auch bloß irgend etwas gezielt zu erreichen. Das ist schon mit Hammer und Meißel annähernd unmöglich, falls man ohne praktische Erfahrung ist. Nun stellen Sie sich aber vor, Sie hätten nur Steine als Werkzeuge, um Steine zu bearbeiten. Das fordert eine Zielstrebigkeit und Hingabe, die fast schwindelerregend ist.

Die einfachste Version dessen ist das sogenannte Geröllgerät. Darunter versteht man einen handlichen Stein, dem durch einen anderen Stein wenigstens ein Abschlag beigebracht wurde, um so zum Beispiel eine simple, einseitig ausgeprägte Klinge zu erhalten. Das ergibt einen sogenannten Chopper.

Die ältesten uns bekannten Steinwerkzeuge werden der Oldowan-Kultur zugerechnet, einer Ära vor rund 2,6 bis 1,5 Millionen Jahren. Eine enorme Zeitspanne trennt größere Arbeiten von diesen Anfängen.

Im 10. Jahrtausend vor Christus, also in einem Zeitraum von 10000 v. Chr. bis 9000 v. Chr., war die Kunstfertigkeit im Behauen und Behandeln von Stein so weit gediehen, daß die Tempelanlage von Göbekli Tepe entstehen konnte. Ein imposantes Bauwerk, dessen Reste in der heutigen Türkei zu finden sind.

Dieses älteste Werk menschlicher Baukunst war nicht der Wohnraumbeschaffung gewidmet, sondern hatte eine kultische Widmung. Es ist zugleich ein Monument früher Seßhaftigkeit und, wie vermutet werden darf, einer zunehmenden Arbeitsteilung, einer Spezialisierung von Fachkräften.

Der Faustkeil ist weit komplexer, wie diese zweischneidige Handaxt aus der Eiszeit erkennen läßt. (Foto: Discott, CC BY-SA 3.0)
Der Faustkeil ist weit komplexer, wie diese zweischneidige Handaxt aus der Eiszeit erkennen läßt. (Foto: Discott, CC BY-SA 3.0)

Abertausende von Jahren, damit wir vom Stein zum Stahl kommen und erleben, daß die Werkzeuge, die wir erschaffen, uns verändern, sobald wir sie benutzen.

Grenzgänge#

Es geht demnach um Millionen Jahre menschlicher Übung, sich Stein als Werkzeug, Waffe und auch Schmuck nutzbar zu machen. Danach brauchte es bloß noch ein paar tausend Jahre, um die Exzellenz griechischer Plastik herauszuformen.

Leider sind davon kaum Originale erhalten. Am meisten wissen wir darüber durch erhaltene Kopien und Beschreibungen. Aber wer genauer wissen möchte, welches Niveau Handwerker in der Antike erreicht hatten, muß sich bloß die Nike von Samothrake näher ansehen, die mutmaßlich 190 v. Chr. entstanden ist.

Allein der Faltenwurf des Gewandes gibt eine vage Vorstellung, wozu die Handwerker mittlerweile in der Lage waren. Und die Metallurgie! Im Kontrast zu den Statuen und Bauwerken gibt es ein kleines Wunderwerk der Feinmechanik, von dem man bis heute nicht weiß, wie verbreitet solche Apparate waren und weshalb sie damals nicht zu einer technischen Revolution geführt haben. Ich meine den Mechanismus von Antikythera.

Er wurde erst 1900 vor der Insel Andikythira gefunden und es dauerte Jahrzehnte, bis die Funktionen der Fragmente hinreichend erschlossen waren. Aus diesem Gebiet Griechenlands stammt übrigens auch eine beeindruckende Bronzestatue, der sogenannte Jüngling von Antikythera. (Paris? Perseus?)

Heute finden wir Bronze in den hochkarätigen Lagern, die dafür sorgen, daß etwa die Kurbelwelle eines Motors an Lebensdauer gewinnt. Fahrzeuge, wie sie Tom Kada restauriert, stammen aus jener Nachkriegszeit, in der Österreichs Volksmotorisierung mit Automobilen in Schwung kam. Da sind vorzügliche Motorkomponenten und Oberflächenverdelungen von Verschleißteilen plötzlich nicht mehr bloß in den Kraftfahrzeugen sehr reicher Leute vorgekommen.

Unter Mikrolithen versteht man sehr kleine steinzeitliche Klingen oder Spitzen mit bis zu drei Zentimetern Größe. (Foto: José-Manuel Benito Álvarez, CC BY-SA 2.5)
Unter Mikrolithen versteht man sehr kleine steinzeitliche Klingen oder Spitzen mit bis zu drei Zentimetern Größe. (Foto: José-Manuel Benito Álvarez, CC BY-SA 2.5)

Doch wo inzwischen Dinge mit Dingen kommunizieren, sich ein Internet der Dinge zu verbreiten beginnt, wo Maschinen von Maschinen lernen und sich viele Produktionsweisen fundamental verändern, wirft das interessante Fragen auf, wie denn heute und für die nahe Zukunft unsere menschliche Koexistenz mit Maschinen gestaltet sein soll.

Des Menschen handwerkliche Fähigkeiten sind vielfach nicht mehr nötig, um Gebrauchsgüter zu produzieren. Aber das war schon vor Jahrtausenden nicht der alleinige Grund, solche Fähigkeiten zu entwickeln. Menschen fanden dazu kultische Gründe, die ganz offensichtlich in spirituellen und kulturellen Bedürfnissen wurzeln.

Mindestens deshalb sollten wir uns hüten, auf körperliche Arbeit herabzublicken und das Handwerk in seiner Tragweite zu unterschätzen. Auch wenn wir Handwerk von Kunst zu unterscheiden wissen, die Grenzen zwischen dem grundlegenden und dem Angewandten sind höchst durchlässig geblieben.

Post Scriptum#

Dieser Text entstand nach einer kleinen Reise mit Ferdinand Micha Lanner, bei der wir unter andrem Tom Kada besucht haben, um danach in einer Konferenz in Albersdorf mit anderen inspirierten Menschen einschlägige Fragen zu erörtern.

Das ist die Phase, in der ich die Arbeit an einer kleinen Kulturgeschichte des Steyr-Puch Haflinger abschließen konnte und über das Projekt Tesserakt nun nach nächsten Klarheiten suche.