Notiz 086: Zeitfenster und Augenblicke#
(Zu einem transatlantischen Dialog)#
von Martin KruscheIch hab ein Faible für die Praxis des Kontrastes. So werden Nuancen besser sichtbar. Außerdem kenne ich auch Dissens als ein anregendes Ereignis. Wenn hier nun der transatlantische Dialog mit Ida Kreutzer ansetzt, beruht das auf einer grundlegenden Konsenstauglichkeit und auf der Tatsache, daß wir vor Jahren schon in einigen Kunstprojekten zusammengearbeitet haben.
Nun haben wir Übereinkunft, was die Headline betrifft. „Two Lane“ erweist sich als üppige Metapher, die vieles faßt, was wirksam wird, wenn ich mit Ida zu tun hab. Die Anregung dazu kam eben aus einer kleinen Erörterung von Kinomomenten. „Two Lane Blacktop“ (Monte Hellman, 1971) ist nach meinem Geschmack einer der einprägsamsten Road Movies aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.
Basics#
Ida und ich waren in völlig verschiedenen Zeitfenstern Teenager, was bedeutet, unser subkulturellen Erfahrungen haben ganz andere Farben. Aber es gibt diesen größeren Zusammenhang der Popkultur, in dem wir viele Schnittpunkte finden.Ida ist versierte Künstlerin, allerdings auch eine penible Handwerkerin, während ich als Handwerke für nichts zu gebrauchen bin. Als ich vor über vierzig Jahren hier aus allem raus mußte, weg, wurde es Hamburg und zum Abschluß meines Exilbedürfnisses Berlin. Als Ida vor einigen Jahren hier rausmußte, wurde es New York, wie sie auch heute lebt.
Ich bin ein Boomer, Abteilung „Alter weißer Mann“. Sie zählt zu jenen energischen jungen Frauen, in deren Rücken eine Mutter und eine Großmutter wirksam waren, die ebenfalls der Abteilung „Energische Frauen“ zuzurechnen sind. Wie Sie sehen, es mangelt nicht an Kontrasten zwischen uns.
Lowbrow Art#
Als Automobil-Paparazzo habe ich in Ida eine wache Kollegin. Wir scannen laufend unsere Umgebung und wenn ein interessantes Fahrzeug sichtbar wird… Foto! Das hat in einer Metropole wie New York naturgemäß andere Dimensionen und Möglichkeiten als in der Oststeiermark. Aber es läßt sich auch in meiner Gegend immer wo ein Yank Tank erwischen, manchmal kreuzt ein Custom Car meinen Weg. Vieles wird greifbar. Stets machen sich an all den Besonderheiten Geschichten fest, die in Summe etwas ergeben, wofür wir bei uns keine Begriffe haben.Was in Europa von der Ethnologie als eine „Volkskultur in der technischen Welt“ beschrieben wurde, wird bei uns allgemein nicht dem Genre Volkskultur zugerechnet. Was an ästhetischen Leistungen aus einer Szene von Schraubern und Sammlern hervorgeht, könnte man dem Begriff Kunsthandwerk zuordnen. Aber dieses Segment ist von Formen und Varianten des alten Handwerks dominiert.
Customizing, das Umbauen und Umgestalten von Fahrzeugen, deuten wir einfach als Subkultur. Für uns ist der Begriff Popkultur groß genug, um das alles zu bündeln. In den USA können Sie dazu den Begriff Lowbrow Art Movement finden. In der Welt von Hot Rods, Custom Cars und Muscle Cars sind das bezüglich der ästhetischen und handwerklichen Normen zwangsläufig hochkarätige Ausdrucksformen. Schlechte Arbeiten würden bei Shows und Conventions gnadenlos beiseite geschoben werden.
Dazu kommt, daß Exponate dieser verschiedenen Genres überwiegend auch technisch auf hohem Niveau aufgestellt sein müssen. Wenn Sie etwa ein 500 PS-Triebwerk auf einen Leiterrahmen packen und diese Motorkraft ins Heck auf eine Starrachse leiten, beginnt selbst bei einem kleinen Aktionsradius sofort der Ernst des Lebens. (Dazu später mehr!)
Pinball Wizards#
Ein anderer Aspekt unseres transatlantischen Dialoges wird sich auf ein popkulturelles Feld beziehen, zu dem ich ohne nennenswerte Kompetenzen bin. Aber Ida! Pinball Machines. Flipperautomaten. Die sind technisch raffiniert und erzählen auf ihren Scheiben wie auf ihren Spielflächen gleichermaßen vielfältige Stories. („He stands like a statue / Becomes part of the machine / Feeling all the bumpers / Always playing clean…“, Pete Townshend, „The Pinball Wizard“, 1979)Die Technik der Automaten, die Geschichten und die ästhetischen Konzepte haben ihre Epochen. Ida ist in diesem Genre Praktikerin, spielt regelmäßig bei Turnieren. Derartige Geräte haben übrigens eine viel weitreichendere Vorgeschichte, als die meisten Leute annehmen würden. Da meine ich nun Jahrhunderte. (Ich werde in dem Zusammenhang später auch das japanische Karakuri ningyō zum Thema machen.)
Nimmt man nun zu all dem, daß Ida als Designerin auf viele Jahre Praxis zurückblickt, was handwerkliche Expertise einschließt, daß sie ebenso mit Text und Musik umzugehen versteht, ist das nun eine sehr vielversprechende Situation, die wir prozeßhaft entfalten wollen. Schauen wir also, wohin das trägt…
Jungleland#
Ida wird hier beizeiten selbst erzählen, wovon ihre Zugänge handeln und wie es zu diesem oder jenem Schwerpunkt kam. Bei mir ist es ein Song von Bruce Springsteen, der sehr treffend zusammenfaßt wovon diese Dinge handeln. Ein Lied, das alles wesentliche anklingen läßt, bis hin zum Blutzoll, den ich auf dieser Reise auch bezahlt hab: „Jungleland“. Hier ein Ausschnitt:…
The midnight gang's assembled
And picked a rendezvous for the night
They'll meet 'neath that giant Exxon sign
That brings this fair city light
Man, there's an opera out on the Turnpike
There's a ballet being fought out in the alley
Until the local cops, Cherry-Tops, rips this holy night
The street's alive as secret debts are paid
Contacts made, they flash unseen
Kids flash guitars just like switchblades
Hustling for the record machine
The hungry and the hunted
Explode into rock 'n' roll bands
That face off against each other out in the street
Down in Jungleland
…
Hintergundfolie#
- Donnergrollen als Vergnügen (Customizing und Hot Rodding)
- Lackierte Kampfhunde (Jagdgeschwader in Bodennähe und ihre Dekors)
- Die Ehre des Handwerks (Eine Erkundung im 21. Jahrhundert)