Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Notiz 066: Hart am Wind#

Das Buch der Wendungen#

von Martin Krusche

Die Frage nach der eigenen Zukunftsfähigkeit ist ohne Rückblick nicht stichhaltig zu bearbeiten. Die eigene Konstitution im Zusammenhang mit dem Segment bevorzugter Ansichten macht erst anschaulich, wohin jemand aufbrechen könnte. Das gilt vermutlich für einzelne Personen ebenso wie für Gemeinschaften.

21. Mai 2021: Wissenschafter Hermann Maurer beim Arbeitsessen zur Projektbesprechung in der „Alten Mühle“ in Takern. (Foto: Martin Krusche)
21. Mai 2021: Wissenschafter Hermann Maurer beim Arbeitsessen zur Projektbesprechung in der „Alten Mühle“ in Takern. (Foto: Martin Krusche)

Ich finde beim Blick zurück überraschende Markierungen, die es im Kulturgeschehen der Steiermark erlauben, eine Ära zu beschreiben. Es ist weder möglich, noch nötig, diesen Abschnitt präzise einzugrenzen, aber ich kann mit einigen Jahreszahlen einen Zeitrahmen skizzieren, der etliche überraschend ausgewogen gruppierte Wegmarken hat.

Das geht anfangs Hand in Hand mit jenem Abschnitt, da meine Generation ins Erwachsenenleben loszog. Eine der nützlichen Hintergrundfolien für diese Erzählung. Dieser Ablösungsprozeß aus der Regierung der Eltern. Wie hat sich das weiter entwickelt? Nun entsteht eine Dokumentation.

Ich habe die Umsetzung dieses Vorhabens am 21. Mai 2021 mit dem Wissenschafter Herrmann Maurer erörtert, als wir die Lockdown-Lockerung nutzten und wieder einmal ein Arbeitsessen in der Oststeiermark absolvierten.

Das Thema läßt sich über eine bestimmte technische Applikation (NID-Books) faßbar machen. Das verbindet sich mit einem laufenden Dialog, den ich vor geraumer Zeit mit Musiker Oliver Mally dingfest gemacht habe, als wir unsere Verständigungsebene in den öffentlichen Diskurs erweiterten und dazu augenzwinkernd die „Origami Ninja Association“ formierten. Motto: Egal, wie oft uns das Leben zusammenfaltet, wir entfalten uns wieder.

Lebensläufe#

Was ich nun in Kooperation mit Maurer auf die Ebene einer interaktiven Dokumentation hieven werde, hat einen der Ansätze bei uns Origami Ninjas. Ein anderer Ansatz liegt im nahen Ende meines auf 20 Jahre angelegten Projektes „The Long Distance Howl“. Dieser fällige Abschluß einer Periode handelt von Rückschau und Reflexion, von Schlußfolgerungen und der Klärung nächster Schritte.
20. Mai 2021: Oliver Mally (rechts) und sein Musikerkollege Martin Moro geben erstmals seit Monaten wieder ein Konzert.
20. Mai 2021: Oliver Mally (rechts) und sein Musikerkollege Martin Moro geben erstmals seit Monaten wieder ein Konzert.

Das tun wir nun gemeinsam aus verschiedenen Positionen und mit den Erfahrungen verschiedener Generationen. Maurer ist 15 Jahre älter als ich, Mally ist zehn Jahre jünger als ich.

Wir decken also mit unseren individuellen Lebenserfahrungen und Berufswegen ein erhebliches Spektrum des Geschehens ab. Dieses Ensemble an erworbenem Wissen wird zu einem späteren Zeitpunkt um das Know how anderer Kräfte ergänzt werden.

Informatiker Hermann Maurer, Jahrgang 1941, hat jüngst viel von dem, was seinen Weg ausmacht, in einem Buch gebündelt: “Um die Welt mit Zwischenfällen und mehr.“ (Stücke einer Biographie. Er ist ein hochkarätiger Akteur und Zeitzeuge der Digitalen Revolution.

Oliver Mally repräsentiert jenen Typ des Künstlers, der Jahre nach mir loszog, um mit größtmöglicher Selbstbestimmung in der Kunst zu leben. Das schließt ein Etablieren im Mainstream aus. Diese spezielle Auffassung von Autonomie teilen wir, haben aber – bei allen Schnittpunkten - bezüglich Genre und Rahmenbedingungen unterschiedliche Erfahrungen gemacht.

Die Ära permanenter Beschleunigung#

Zu meiner Position: mit meinem Geburtsjahr 1956 gehöre ich einer Alterskohorte an, die eine in der Menschheitsgeschichte einmalige Bevorzugung erlebt hat. Nie zu vor durfte ein vergleichbar großer Teil menschlicher Gemeinschaft in dieser Dichte und Tiefe von Sicherheit, Freiheit und Wohlstand aufwachsen, wie das in unserem Teil Europas möglich war.

Wir standen zwar unter dem Einfluß der Traumata aus dem Zweiten Weltkrieg, auch unter der Bedrohung durch den Kalten Krieg, aber die Raketen sind nicht gekommen und 1989 fiel die Berliner Mauer, der Warschauer Pakt wurde aufgelöst, dieses bipolare Kräftespiel der damaligen Supermächte gekippt.

Lokalaugenschein beim neu eingerichteten „Zeit.Raum“ in der Gleisdorfer Bürgergasse. (Foto: Martin Krusche)
Lokalaugenschein beim neu eingerichteten „Zeit.Raum“ in der Gleisdorfer Bürgergasse. (Foto: Martin Krusche)

Es tat sich eine merkwürdige Zone auf, wenn man rund ein Jahrzehnt nach Kriegsende geboren wurde und in jene Kultur hineinwuchs, die von Umbrüchen und Beschleunigung bewegt wurde, wie kaum eine Zeit davor in einem so überschaubaren Zeitfenster. Das überdies in einem Lebensraum, der seit wenigstens 200 Jahren von einer permanenten technischen Revolution bewegt wurde.

Für die Steiermark kann man den Beginn dieser Progression sehr gut datieren, als nämlich Erzherzog Johann von Österreich in den Jahren 1815/1816 die damals führende Industrienation der Welt bereiste. Er sah sich in England gründlich um, machte penible Aufzeichnungen, setzte so manchen Know how-Transfer in Gang. Das führte unter anderem zum Joanneum als Schau- und Lehrsammlung. Daraus erwuchs die Technische Universität Graz, deren Emeritus Maurer ist.

Ich hab ab 1975 den Lauf der damals aktuellen Dinge sehr eigenwillig begleitet. Für die Zeit zwischen 1975 und 1980 würde ich von einer freundlichen Rebellion sprechen, die altersgemäß und typisch war. Zwischen 1980 und 1985 haben Leute wie ich eine Art praktikablen Underground entfaltet, um in den fünf Jahren danach eine Praxis des Kontrastes zu entwickeln. Zwischen 1990 und 1995 läßt sich feststellen: der Cyberpunk wird erwachsen.

Nach dem Fall des Rundfunkmonopols wurde die „Meko 99“ mit der „Linzer Erklärung 1999“ zu einem markanten Ereignis in neuen Verhältnissen, welche alle Kulturfelder beeinflußten. (Stichworte: Neue Medien, Medienkonvergenz, Netzkultur etc.) Hier die daraus resultierende „Linzer Erklärung 1999“ (Medienkonferenz Linz 1999: „Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik“)

So läßt sich ganz wesentlich an Fünfjahresschritten darstellen, wie sich in der Steiermark eine soziokulturelle Innovation entwickelt und etabliert hat, durch die eine alte Dichotomie aufgebrochen wurde: das überkommene Genre-Duett „Volkskultur/Hochkultur“ ergab kein aussagekräftiges Modell mehr.

Technologieschub für die Dokumentation. (Foto: Martin Krusche)
Technologieschub für die Dokumentation. (Foto: Martin Krusche)

Die „Szene“?#

Was schließlich als „Freie Szene“ oder „Autonome Initiativenszene“ ins Gespräch kam, hat seine eigene Legendenbildung und ist heute stellenweise auf ein Funktionärstum gestützt, das aus unseren Reihen erwuchs und im Verhalten jenem gleicht, gegen das wir damals (in den 1970ern) losgezogen sind. Ich habe keinen Zweifel, daß hier insgesamt von einer Ära zu reden ist, die Mitte der 1970er Jahre begann, im Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020 endete.

Die 2020er Pandemie mit ihren Konsequenzen ist ein Zufallsereignis, das auf diesen Abschnitt wie ein Brennglas wirkte. Die Kontraste wurden härter, viele Details besser sichtbar. Neuorientierung wurde ohnehin zwingend und erschien in der Corona-Zeit weiterhin unausweichlich. Also tun wir, was jeder gut gemachte Job verlangt: eine Überprüfung des Status quo sowie die Frage nach der Deckung zwischen erklärten und erreichten Zielen.

Dazu werden auch wissenschaftliche Kräfte zu befragen sein, die mit ihren Mitteln und Werkzeugen von der Metaebene her auf diese Dinge blicken. Aber vor allen beschreiben einmal wir selbst, was es war und was es ist. Wir, die primären Kräfte, wie Mally als Musiker, Maurer als Wissenschafter und ich als Autor. Wir werden natürlich ebenso andere versierte Leute einladen, zu diesem Projekt etwas beizutragen.

Zur Umsetzung#

Mit „Hart am Wind“ (Das Buch der Wendungen) ist vorerst ein Arbeitstitel formuliert. Die Umsetzung wird mit der NID-Technologie erfolgen, was bedeutet, es entsteht ein Pilotprojekt, in dem die Möglichkeiten dieser Technologie ergründet, ausgelotet werden. NID ist die Abkürzung für Networked Interactive Digital Material. Details dazu finden Sie hier: „NID-Books“. Dazu meine augenblickliche Projektstruktur:
Hermann Maurer (links) und Martin Krusche. (Foto: Ursula Glaeser)
Hermann Maurer (links) und Martin Krusche. (Foto: Ursula Glaeser)

Bei dieser internetgestützten Anordnung sind natürlich Verzweigungen in den Realraum unverzichtbar. Neben meiner „Konferenz in Permanenz“, die unter Pandemie-Bedingungen vor allem als „Walking Conference“ stattfindet, bietet der Zeit.Raum im Zentrum von Gleisdorf einen analogen Ort mit Bezugspunkten. Auch Informatiker Hermann Maurer bestätigt aus Jahrzehnten seiner Berufspraxis: die reale soziale Begegnung ist durch Technologie nicht ersetzbar.

Technologiefragen#

Siehe zum Thema und zu Fragen der Literarität auch: Digitale Bücher stehen nicht nur in einer Bibliothek herum, ein Vortrag von Informatiker Hermann Maurer auf Youtube.

Kontakt#

Bild 'email'