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Arbeiten von Carolina Sales Teixeira
Arbeiten von Carolina Sales Teixeira

Running Code#

(Work in Progress)#

Von Martin Krusche#

Ein helles Atelier im Zentrum von Gleisdorf, wenige Schritte von unserem „Zeit.Raum“ entfernt. Somit zwei Positionen in der Stadt, die man als ein Portal deuten könnte, durch das achtsam zu schreiten wäre. In der Welt des symbolischen Denkens sind die gemauerten Monumente nicht zwingend. Auch immaterielle, also gedankliche Objekte haben Relevanz.

Ich erwähne hier das Atelier von Carolina Sales Teixeira. Der Name läßt erahnen, dies handelt von einer komplexeren Geschichte. Ihre Muttersprache ist Portugiesisch. Als Künstlerin tendiert sie zu einer sehr präzisen Arbeit bei einem deutlichen Hang zur Abstraktion. Das korrespondiert mit den Intentionen von Mathias Petermann, welcher in seiner Fotografie derzeit immer energischer vom Gegenständlichen abrückt.

Petermann fragt natürlich implizit „Was ist Realität?“ Ein großes Thema, das im Alltagsleben gerne mit Geringschätzung überschüttet wird. Diese spießbürgerliche Marotte, künstlerische Praxis lieber als ein „Orchideenfach“ zu deuten, dabei latente Unterstellungen, es sei das alles letztlich Dekoration. Es gilt bezüglich der konzeptuellen Grundlagen hier wie auch in der Wissenschaft: wer von der Grundlagenarbeit Alltagstauglichkeit erwartet, hat am ganzen Thema etwas nicht verstanden.

Komplexe Verläufe#

Wir haben uns im Atelier getroffen, um einige kulturpolitische Zusammenhänge zu erörtern. Dieses Wir handelt auch von Monika Lafer, die als Malerin in der Kunstpraxis steht, die zugleich als Kunsthistorikern auf der Metaebene tätig ist. Lafer ist meine Kooperationspartnerin im eingangs erwähnten „Zeit.Raum“, der auf einer Struktur beruht, die uns von Unternehmerin Barbara Lukas zur Verfügung gestellt wurde.

Wir – Lafer und ich - sind uns einig, diese Innenstadtstruktur – den „Zeit.Raum“ - für prozeßhafte Arbeit zu nutzen, dort laufende Erzählungen zu entfalten. Das ist wiederum ein Modus, den Sales Teixeira und Petermann interessant finden. (Unser „Zeit.Raum“ ist das derzeit einzige autonome Kunstprojekt der Stadt Gleisdorf, inzwischen ein Jahr alt und permanent in Arbeit.)

Sales Teixeira ist ebenfalls in prozeßhafte Arbeit verwoben. Das äußert sich, soweit ich sehe, als Reflexion der gesamten Lebensspanne einer Frau. Sie fächert diese Arbeit in einzelnen Episoden auf. Da waren bisher Stationen mit den Titeln „Über die Vergänglichkeit des Seins“, „Unvermeidlicher Zusammenbruch“ und jüngst „Die ersten Blumen“. Für Juni 2022 ist das Kapitel „Erweitert“ in Arbeit, schließlich wird es noch „Erinnerung“, oder auf portuguiesisch "Memória", geben.

Mögliche Synergien#

Da war nun ein gemeinsames Nachdenken, was die vier verschiedenen Positionen am Tisch für Schnittpunkte haben könnten. (Übrigens ein Tisch im Foyer der CIB-Sprachschule, also ein Ort grundlegenden kulturellen Geschehens.) Vier Personen in der Kunst, die drei verschiedene Generationen repräsentieren.

Ich mag dieses In-die-Schwebe-kommen sehr. Diese Art von „Running Code“, wenn etwas läuft und wir nicht mehr grübeln müssen, wie wir es laufend machen, sondern aufs Geschehen konzentriert sind. Work in Progress über Resonanz, nicht über eine vorliegenden Plan. Was nun klar scheint: Sales Teixeira und Petermann greifen diese Option einer laufenden Erzählung auf; im Kontrast etwa zu meiner Position. Genauer: im Sinn eines Generationenkontrastes.

Carolina Sales Teixeira
Carolina Sales Teixeira
Monika Lafer & Mathias Petermann
Monika Lafer & Mathias Petermann

Sie sind beide halb so alt wie ich, was bedeutet: ihre Wege diese Welt zu erkunden handeln von völlig anderen Prägungen und führen naturgemäß in Zustände dieser Welt, von denen ich nichts wissen kann und die ich nicht mehr kennenlernen werde.

Das korrespondiert mit Sales Teixeiras aktuellem Projekt in den oben erwähnten Kapiteln; mit deren Hintergrund. Zitat: „Eine Reflexion über das Leben und den Lauf der Zeit, ausgehend von der intimen Erfahrung, die letzten Tage im Leben meiner Mutter mitzuerleben…“ (Das bedeutet, ich stehe existentiell auf der Seite ihrer Mutter und diesem sich erschöpfenden Leben, wir begegnen uns hier in einer Art Transitions-Zone, in der die Jungen mich beizeiten zurücklassen werden.)

Das ist bloß ein Aspekt unseres Settings. Der andere Aspekt von Gewicht liegt in der simplen Tatsache: ein Frauenleben hat in unserer Kultur eine ganze Reihe von Implikationen, die in einem Männerleben überhaupt keine Rolle spielen.

Unser aktuelles Gespräch läßt mich annehmen, daß wir nun nicht an Fragen der Geschlechterdifferenz arbeiten werden, sondern erst einmal ganz grundsätzlich die Kontraste zwischen uns schätzen und erkunden. Aber welche Arbeit in welcher Wir-Konstellation? Dafür haben wir eine Differenzierung vorgenommen.

Aspekte einer Umsetzung#

Sales Teixeira und Petermann werden sich wenigstens noch je eine Person für das Kunstprojekt dazu holen, um ein Thema zu erarbeiten und dessen Umsetzung für Frühjahr 2023 zu erreichen. Bürgermeister Christoph Stark hat mir in einem Gespräch schon zugesagt, daß seine Tür für einen diesbezüglichen Vorschlag offensteht. Sales Teixeira und Petermann überlegen die Möglichkeiten, das ganze Rathaus mit einem künstlerischen Statement zu bespielen. Sie werden, wenn diese Idee konkreter ist, das mit Stark direkt erörtern.

Ich werde kein Teil dieses Abschnittes sein, sondern das tun, was ich mit Bürgermeister Stark vereinbart hab: Wenn sich ein „Spielfeld“ bereiten läßt, das die jungen Leute mit einem Vorhaben belegen, treten wir zur Seite und sorgen vom Spielfeldrand aus, dieses Vorhaben zu begleiten, zu verstärken.

Zitat aus der Notiz „Repolitisierung“ (zu meinen Gespräch mit Stark): „Das andere Thema in dieser Begegnung basiert auf einem Konsens. Der Hintergrund: Politik! In Europas Kultur gab es zuerst das Gemeinwesen = Polis, dann die Staatskunst = Politika. Politik ist also – gemäß unserer Ideengeschichte – seit jeher das, was sich aus einem Wechselspiel zwischen Gemeinwesen und Staatskunst ergibt. Heute würde man zeitgemäß sagen: zwischen Zivilgesellschaft und Funktionärswelt.“ (Quelle)

Bild 'prisma041d'
Bild 'prisma041e'

Das bedeutet nun im günstigsten Fall, Stark und ich agieren als Promotoren dieses Vorhabens, von Sales Teixeira und Petermann; und zwar in der Rollenklarheit einer Interaktion zwischen „Politika“ (Stark) und Polis (Krusche) auf einer Metaebene, die das primäre Geschehen auf der künstlerische Ebene flankiert.

Wie erwähnt: Staatskunst und Gemeinwesen im Austausch. Dazu kommt noch, daß wir Kulturreferent Karl Bauer bitten werden, sich einen Part für diesen Prozeß zu entwerfen, da er im Gemeinwesen diesem Ressort – Kultur - als politisch Verantwortlicher vorsteht.

Das hieße idealtypisch, wir begleiten die primären Kräfte, also Sales Teixeira und Petermann, zuzüglich der Kreativen, welche sie für diesen Prozeß noch beiziehen werden. Monika Lafer hat sich für eine andere Rolle entschieden. Sie betreut die Metaebene im diskursiven Bereich. Lafer begleitet das Vorhaben als Kunsthistorikern und wird zum kommenden Gesamtwerk einen Essay verfassen.

Modus und Medien#

Ferner haben sich Sales Teixeira und Petermann vorgenommen, mit ihren Leuten in der Umsetzung ab Juli 2022 regelmäßige Arbeitstreffen abzuhalten, um dem Work in Progress ein stabiles Arbeitsfundament zu schaffen. Das könnte wiederum Content generieren, der – nebst Lafers Essay – Stoff für eine Publikation ergibt.

Diese wäre dann ebenfalls Gegenstand in der Nutzung jener neuen NID-Technologie (Net Interactive Documents) von Wissenschafter Hermann Maurer, in die wir uns am Tag davor, also vor dem Meeting mit Sales Teixeira und Petermann, von Maurer einführen ließen. Siehe dazu: „Ebenenwechsel“ (Den Rahmen öffnen)!

Kunst Ost ist ja derzeit die überhaupt erste Kulturinitiative, die sich mit dieser neuen Technologieform vertraut macht, was unterm Strich zu einer nächsten Variante unseres „Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft“ führt, wie wir das bei Kunst Ost schon viele Jahre im Auge haben.

Wie Sie sehen können, zielt das hier skizzierte Vorhaben darauf ab, einen künstlerischen Akt im Sinn einer kollektiven Wissens- und Kulturarbeit zu entfalten, wobei sich auf kommunaler Ebene zugleich ein ungewöhnlicher kulturpolitischer Akt entfalten möge, den wir hinterher unbedingt evaluieren sollten.

Gleisdorfs Bürgermeister Christoph Stark ist geneigt, einen interessanten kulturpolitischen Schritt zu setzen.
Gleisdorfs Bürgermeister Christoph Stark ist geneigt, einen interessanten kulturpolitischen Schritt zu setzen.

Zusammengefaßt#

Der künstlerische Bereich ist für sich autonom, wird von zwei jungen Kräften bestimmt, gestaltet. Die Kunsthistorikerin verbindet das mit der Metaebene, so werden Aktion und Reflexion zusammengeführt. Politik und Zivilgesellschaft haben am „Spielfeldrand“ Positionen, um den größeren kommunalen Zusammenhang des Projektes zu bearbeiten.

Als Work in Progress wird das gesamte Geschehen dokumentiert, kann demnach hinterher evaluiert werden und vielleicht zur Vernissage im Frühjahr 2023 schon eine kleine Publikation erhalten, um dem Publikum die Zugänge zu ebnen.

Die Komplexität des Vorhabens sollte durch Rollenklarheit für alle formell Beteiligten gut handhabbar sein, wobei die Umsetzung dadurch Stabilität erhält, daß von Beginn an eine Verständigung wie auch Kooperation von Sach- und Machtpromotoren gesichert ist. Der entsprechende Zeitvorlauf soll sicherstellen, daß das gut umgesetzt werden kann.

Postskriptum#

Ich hatte vor Jahren mit Petermann schon einen gemeinsamen Schritt erwogen, der dann durch den Corona-Lockdown entfallen ist. Dazu gibt es eine Notiz vom Dezember 2019, also rund ein Quartal vor Ausbruch der Seuche: „Public House“ (Nachtschicht zum eigenen Vergnügen). Das Pub, in dem diese Session stattfand, hat übrigens die Seuche ökonomisch nicht überstand und wurde inzwischen geschlossen.

Ein Zitat aus dieser Notiz: „Facebook hin, WhatsApp her, ohne die reale Begegnung von Menschen wären Gemeinschaften verloren. Das Internet bewährt sich ohne Frage schon lange als kühles Extrazimmer, in dem sich über die Jahre immer mehr soziales Leben ereignet. Auch der Handel hat dort Terrain gewonnen und die Politik hat sich etabliert. Aber der gemeinsame Tisch, an den man kommt, oder die Theke, an die man sich setzt, bleiben wichtig.“ (Quelle)