Trail, Protokoll #11: Der Handwerker#
(Archipel Gleisdorf)#
von Martin KruscheEs ist eigentlich nicht überraschend, aber es erstaunt mich doch stets neu, welche Unterschiede sich zwischen Innen- und Außenansichten auftun, wenn man genauer nachfragt. Ich befasse mich seit Jahrzehnten mit unserer Sozialgeschichte und mit dem Thema Handwerk.
Daraus beziehe ich Annahmen über den Stand der Dinge und über die möglichen Richtungen der aktuellen Entwicklung. Dann spreche ich mit einem Mann, der Jahrzehnte handwerklicher Praxis hinter sich hat. Heute macht Franz Lukas der Broterwerb kein Kopfzerbrechen mehr, er kann sich ganz den Fragen und Aufgaben widmen, die ihn fachlich interessieren.
Der Betrieb, den Lukas mit seiner Frau Wiltraud in Gleisdorf hatte, ist längst in den Händen ihrer Kinder (Manufaktur Csamay) und hat sich in der aktuellen Marktlage gründlich verändert. Seine private Werkstatt, in der ich schon einige nützliche Erfahrungen machen durfte, ist auf hohem Niveau ausgestattet. Wozu?
Weil er weiter an handwerklichen Themen und Problemen arbeitet. Das hat zum Beispiel solche Aspekte: „Ich beschäftige mich heute teilweise mit Lösungen, für die ich vor dreißig Jahren einfach keine Zeit gehabt hab.“ Ich sehe das bei allen alten Meistern, die ich näher kenne.
Jeder hat seine Werkstatt, in der er sich weiter Aufgaben wählt, an denen getüftelt und gearbeitet wird. Bei unserem jüngsten Gespräch mit Fotograf Richard Mayr waren wir uns völlig einig: Es ist eigentlich unfaßbar, mit welchem Tempo innerhalb unserer Lebenszeit technische Innovationen durchgesetzt wurden und den Lauf der Dinge verändert haben.
Der Unterschied macht den Unterschied#
Ich habe eingangs einen markanten Unterschied erwähnt, was die Innen- und Außenansicht des Themas betrifft. Unser Gespräch hat mir deutlich gemacht, wie sehr meine Einschätzung (als interessierter Zaungast) sich von dem unterscheidet, was der praktisch erfahrene Handwerker über Gegenwart und Zukunft seines Metiers zu sagen hat.Der gelernte Büchsenmacher, dem daran lag, sich auch einen zweiten Beruf anzueignen, nämlich Spengler, sieht ganz nüchtern, in welchem Ausmaß inhaltliche Kompetenzen und Handfertigkeit an Maschinen abgegeben werden. Das hat in der Digitalmoderne mit ihren selbstlernenden Systemen eine ganz neue Dimension erlangt.
Unter anderem auch, so betont Lukas aus seiner heutigen Erfahrung mit Werkstoffen und Maschinen, weil eine nächste Stufe an Präzision möglich wurde, die mit herkömmlichen Techniken unmöglich machbar war, was meint: sowas konnten Menschen nicht herstellen.
Lukas hat keinen Zweifel, daß weit mehr an Handwerklichem in Richtung Maschinen verschoben werden wird, als ich mir vorstellen mag; was mich persönlich freilich nicht betrifft. Das bedeutet aber auch: was wir für die Conditio humana halten, ändert sich dabei fundamental. Das betrifft mich allerdings!
Die Poiesis als das Machen im Sinn eines planenden Erzeugens, das Tun als ein Produzieren, in dem man die Werkstoffe kennt, die Regeln, nach denen sie verarbeitet werden können, aber auch die Funktionen dessen, was man herstellt, diese „Poesie im Mechanischen“, wird noch weitreichender an Maschinensysteme übergeben werden. So tut sich allerhand an Fragen auf, was es für uns Menschen bedeutet, die wir einerseits von solchen Aufgaben entbunden werden, aber andrerseits die Kompetenzen verlieren, die damit verknüpft sind. Das sind soziale und kulturelle Fragen, denen wir uns widmen sollten.
Um ein anschauliches Beispiel zu wählen, in der Schalk-Mühle (Kalsdorf bei Ilz) läuft eine Francis-Turbine, die aus der Wasserkraft der Feistritz elektrischen Strom bezieht. Parallel dazu ist die alte Anlage aus dem Jahr 1915 auch noch erhalten und funktionsfähig.
Selbst für Laien ohne spezielle technische Kenntnisse entsteht da ein passabler Eindruck, wie radikal die Veränderungsschübe quer durch das 20. Jahrhundert gewesen sind. Sogar die Adressen der Mühle drücken das aus. Zwar wird bei Schalk heute kein Sägewerk mehr betrieben, aber das Anwesen liegt an der Kreuzung von Mühlweg und Sägewerkweg, wobei das eine Brücke über die Feistritz einschließt.
Zweite Gründerzeit Gleisdorfs#
Über Jahrtausende waren in Europa Mühlen ein hauptsächlicher Anlaß, die Maschinenkunst zu entwickeln. Mit eben dieser Technologie konnten schließlich Sägewerke betrieben werden, ab dem 19. Jahrhundert Kraftwerke. So wurde die aus der Wasserkraft gewonnene Energie weiträumiger nutzbar.Für den Raum Gleisdorf begann die Elektrifizierung im Jahr 1905, als das Kraftwerk in der Stubenbergklamm gebaut wurde. Gleisdorf selbst hatte sich erst einmal in der Phase zwischen 1820 und 1920 (Stadterhebung) grundlegende verändert, dann aber erneut in den hundert Jahren danach.
Da waren es ganz wesentlich Geschäftsleute wie Franz und Wiltraud Lukas, von denen das, was ich vorzugsweise die „Zweite Gründerzeit Gleisdorfs“ nenne, realisiert wurde. Da wir nun aber durch die „Vierte industrielle Revolution“ in der Digital-Moderne angekommen sind, ändert sich vielleicht nicht alles, doch sehr vieles... (Fortsetzung)
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Postskriptum#
Bezüglich der neuen Herstellungsmethoden, die weit übertreffen, was Menschen bisher fertigen konnten, siehe auch „Unter Druck“ (Lithography-based Ceramic Manufacturing und etwas Kontext). Das ist ein Beitrag zum Thema Industriekeramik.Weiterführende Links#
- Das Sägen und Feilen (Ein stahlhartes Postskriptum)
- Der Betrieb: Manufaktur Csamay
- Schalk-Mühle an Mühlweg und Sägewerkweg
- Die Vierte Industrielle Revolution (Eine nächste Verkettung)