Die Vierte Industrielle Revolution#
(Eine nächste Verkettung)#
Von Martin Krusche#
Der Begriff ist nicht von der Geschichtsforschung eingeführt worden, sondern geht auf eine Hightech-Strategie der deutschen Bundesregierung zurück. Also lassen Sie mich kurz amtlich werden. Vom DIN, dem Deutsches Institut für Normung e. V., erfahren wir:
„Industrie 4.0 bedeutet die Vernetzung der realen mit der virtuellen Welt. Fertigungsprozesse verschmelzen mit Informationstechnologie. Disziplinen wie zum Beispiel Maschinenbau, Logistik und Dienstleistungen kommunizieren miteinander...“ Das Ziel eine „Smart Factory“.
Das hat seine auffallende Entsprechung im Privatleben vieler Menschen. Die „Vernetzung der realen mit der virtuellen Welt“ scheint mit einer breiten Popularität der Social Media verknüpft zu sein, wodurch sich in den letzten Jahren das soziale Verhalten von Legionen kommunikationsfreudiger Menschen markant verändert hat. (Keineswegs bloß vorteilhaft.)
Seitens der „Plattform Industrie 4.0“ heißt es: „Menschen, Maschinen und Produkte sind direkt miteinander vernetzt: die vierte industrielle Revolution hat begonnen.“ Wenn aber nun die Digitale Revolution der 1970er Jahre schon als Dritte Industrielle Revolution gilt, wenn die neue Ära nun ebenfalls auf EDV-Systeme gestützt ist, warum wird das jetzt als eigene Ära behandelt? Es gab einen bemerkenswerten Kategoriensprung.
Der Unterschied macht den Unterschied#
Die Literatur zum Thema ist überbordend. Ich beziehe aus all dem für meinen Alltag vor allem einmal zwei wichtige Hinweise, was radikale Neuerungen angeht:- Erstens: Dinge, unbelebte Gegenstände, kommunizieren inzwischen eigenständig miteinander. Ein „Internet der Dinge“ ist längst möglich. Leblose Gegenstände haben scheinbar eine Art von Geselligkeit entwickelt.
- Zweitens: Die Digitale Revolution war davon geprägt, daß Menschen Software schreiben, durch die Maschinensysteme gesteuert werden. Das macht auch heute noch einen Teil unserer Gerätschaften aus. Doch inzwischen lernen auch Maschinen von Maschinen.
Bei all dem muß aber gewarnt werden. Wir neigen dazu, menschliche Eigenschaften auf leblose Dinge zu projizieren. Das erleichtert vielen Leuten vielleicht den Umgang mit einer komplexen Technologie, aber es bringt uns in der Sache nicht weiter.
Wir kennen also inzwischen selbstlernende Systeme, die Lösungen erarbeiten, von denen wir vielfach keinen Tau haben, wie die Maschinen zu diesen Lösungen gekommen sind. Das ist völlig neu. Ich teile übrigens nicht die Ansicht, daß wir es hier mit „Künstlicher Intelligenz“ zu tun haben, die begrifflich den Anschein hat, als wäre menschliche Intelligenz auf Maschinen übertragen worden. Davon kann aber keine Rede sein.
Intelligenzfragen#
Erstens ist „Intelligenz“ - auf Menschen bezogen - ein nach wie vor schwammiger Begriff. Da komme ich eher weiter, wenn ich in Debatten einsteige, die dem menschlichen Geist und seinen Leistungen gewidmet sind. Ein deskriptiver Weg. Genau das, was Geist und Seele der Menschen bewirken können, trennt uns von Maschinen fundamental. Ich fände es daher angebracht, statt von „Künstlicher Intelligenz“ von „Maschinenintelligenz“ zu sprechen, was eine völlig andere Kategorie ist.Daran ändert sich nichts, wenn man zum Beispiel einer Software beibringt, etliche Laufmeter Literatur abzugrasen, Regeln und Stilelemente zu erfassen, um dann interessante Gedichte zu verfassen. Es bleibt der Rechenvorgang in einem Universalrechner. Von einem „Geist in der Maschine“ finde ich darin noch nichts.
Ich will gerne zugestehen, daß es schon vor Jahrhunderten sehr smarte Apparate gab. Wenn man dann die Zweite Industrielle Revolution beachtet, verdichtet sich das in Quantensprüngen. Sehr viel an menschlichem Know how wurde an Halbautomaten und Automaten abgegeben. Dadurch ist in vielen Bereichen Massenfertigung mit der Konsequenz enormer Preissenkungen der Güter möglich geworden. Fein! Ich verstehe aber Know how und Intelligenz nicht als synonym. Das bleiben verschiedene Kategorien.
Sollte sich allerdings etwas wie ein „Geist in der Maschine“ entwickeln, also Selbstwahrnehmung, Kognition und Schaffenskraft, wie Menschen sie kennen, bliebe sehr fraglich, ob solche Maschinen überhaupt einen guten Grund fänden, sich mit uns zu befassen oder gar zu verständigen, also sich für uns zu interessieren.
Die Umbrüche#
Vorerst sind wir noch in einer Ära der Prothetik. Wir erweitern menschliche Möglichkeiten durch smarte Maschinen. Wir machen unsere Organe zu Werkzeugen. Wir spalten das ab und etablieren Systeme, in denen Maschinen mit Dingen vernetzt werden, im Rahmen von Regelwerken etwas wie „Eigenleben“ haben. Dabei ist „Leben“ eine Metapher. Es ist immer noch so, daß solche Maschinen Prozesse abarbeiten, für die es Protokolle gibt; ausgenommen jener neueren Typen, die ihre Protokolle selbst entwickeln,Ich greife zwei markante Ereignisse heraus, an denen der Unterschied anschaulich werden könnte. Als Tüftler daran gingen, ein Schachprogramm für einen Computer zu entwickeln, welches einen versierten Schachspieler schlagen könnte, war der Computer das Werkzeug der Menschen.
Menschliches Know how wurde per Software in die Maschine gepackt, deren Bearbeitungstempo (Rechenleistung) freilich menschliche Kapazität weit übertraf. (Stichwort „Prometheische Scham“.) Die Maschine brauchte eine große Menge an Informationen und einen smarten Algorithmus, um diesen Informationsstand schnell genug bearbeiten zu können. Dem mußte natürlich auch die Hardware gewachsen sein. Das gelang. Im Jahr 1996 schlug der IBM-Computer „Deep Blue“ Garri Kasparow. Der ist von 1985 bis 1993 offizieller Weltmeister des Weltschachbundes FIDE gewesen.
Go#
Das illustrierte: Wir sind in einer nächsten Ära angekommen. Die Dritte Industrielle Revolution bietet uns neue Werkzeuge. Damals hieß es, daß aber ein weit komplexeres Brettspiel, das rund zweieinhalb Jahrtausende alte chinesische Go, von einem Computerprogramm nicht zu bewältigen sei. Viel zu viele Möglichkeiten. („Go has a ridiculous number of possible moves and outcomes...“)Ende Jänner 2016 berichtete „Scientific American“: „Last October in London the DeepMind team invited the European Go champion, Fan Hui, to play against their program, AlphaGo. The match was private, witnessed by just a few spectators. Hui and AlphaGo played a full-size game on a 19 by 19 grid board.“
Ich kürze die Geschichte ab, Das Programm besiegte den Meister. Weitere Niederlagen von versierten Go-Spielern folgten. Der Unterschied: das Schachprogramm mit dem „Deep Blue“ war – wie erwähnt – die Umsetzung von menschlichem Know how in eine Form, die von diesem schnellen Rechner verarbeitet werden konnte. Dagegen ist AlphaGo ein Beispiel dafür, wie eine Maschine von Maschinen lernt. Das heißt, hier haben Softwarepakete an einer taugliche Lösung getüftelt und ein Ergebnis geliefert, das sich bewährte.
Amüsantes Detail#
Ich hab das Schreiben dieser Skizze nun eine Weile vor mir hergeschoben, weil mir andere Teilthemen vorrangig erschienen. Es blieb aber eine Lücke in „Die Mechanisierung der Welt“, welche ich nicht aus den Augen verlor. Was aber geschah inzwischen? Der Standard titelte vor wenigen Tagen (20. Februar 2023): „Rückschlag für Maschinenherrschaft: Mann bezwang eine der weltbesten Go-KIs“. Das ist freilich etwas reißerisch rausposaunt, aber die „Herrschaft der Maschinen“ bleibt ein populärer Topos in Romanen und Filmen. Das interessante Detail an diesem Ereignis: „Kellin Pelrine nutzte eine per Software ermittelte Schwachstelle, um sich klar gegen KataGo durchzusetzen“.Im Text heißt es etwas moderater: „Sie chatten fast wie Menschen, sie generieren Bilder auf Kommando, sie finden kleine Krebstumore zuverlässiger als Ärzte, und sie schlagen uns in immer mehr Spielen. Manchmal, so scheint es, ist die Herrschaft der Maschinen ein unausweichliches Szenario.“
Aber die Headline verrät ja: „Kellin Pelrine nutzte eine per Software ermittelte Schwachstelle“. Pelrine hat also mit EDV-Unterstützung gesiegt. Das macht anschaulich, worum es nun seit Jahrzehnten geht; daß wir nämlich EDV-gestützte Assistenzsysteme haben, die uns helfen, komplexe Aufgaben besser zu bewältigen. Das hat auch viele ganz banale Spielarten. Medizinische Diagnostik, Navigation auf den Straßen, die Steuerung einer Heizung oder eines Kühlsystems etc.
Es kann dann auch bedeuten, ich überlebe die Testfahrt mit einem 2,5 Tonnen schweren, 500 PS starken Porsche Cayenne, weil mir die Assistenzsysteme des Autos helfen, diverse Fahrfehler auszugleichen. Mit der Natur kann man nämlich nicht verhandeln und die Newton'sche Physik ist unerbittlich. So eine schwere Fuhre mit derart viel Kraft verlockt nämlich zu Fahrmanövern, von denen etliche total schiefgingen, wenn Durchschnittspiloten so ein Gefährt ohne EDV-Unterstützung im Griff behalten sollten.
Aber der Alltag zeigt uns harmlosere Beispiele für praktische Maschinenintelligenz. Etwa einen Logistikroboter in meiner Apotheke, der mit zwei separaten Armen aus einem Warenlager ausgibt, was geordert wird. Wie die Maschine alle Medikamente im Lagerraum ordnet, ist den Angestellten nicht geläufig, denn das bestimmt die Software eigenständig. Auf meinem Postamt gibt es eine eigene Automatenstation und so fort...
- Die Mechanisierung der Welt (Übersicht)
- Neudau (Das Projekt, Phase II)