Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen#
Der Christbaum ist der schönste Baum, den wir auf Erden kennen[1]#
Eckpunkte einer kleinen Kulturgeschichte des Weihnachtsbaums#
Von Ernst Zentner
1494 erwähnte Sebastian Brant in seiner Satire "Das Narrenschiff" grünen Tannenreisig als Schmuck im Haus um die Weihnachtszeit. Erst im 19. Jahrhundert setzte sich der Christbaum durch.Wenn nach der Entstehungsgeschichte des Christbaums gefragt wird, dann könnten die "Ursprünge" im französisch-deutschen Grenzgebiet (Rhein) liegen. Schon 1492 wurden vom Straßburger (Elsass) Liebfrauenwerk um zwei Gulden Tannenbäume für neun Gotteshäuser erworben. Mit diesen Tannen wurden "Kichspill" (theatrale Krippenspiele usw.) versehen.

"Und wer nit ettwas nuwes hat / Vnd vmb das nuw jor syngen gat / Und gryen tann riß steckt in syn huß / Der meynt er leb das jor nit vß / Als die Egyptier hieltten vor / Des glichen zu dem nuwen jor ..."
(Freie Übertragung ins moderne Deutsch:
"Und wer nicht etwas neues hat / Und um das neue Jahr singen tat / Und grünen Tannenreisig steckt in sein Haus / Der meint er lebe das Jahr nicht aus / Als [auch] die Ägypter hielten [das für] wahr / Desgleichen, zu dem neuen Jahr...")[2]
Jedenfalls verbreitete sich der Brauch des geschmückten Christbaums vom deutschen Raum her.
Schon im 16. Jahrhundert existierten geschmückte Nadelbäume. Erst 1604 wurden in einer elsässischen Reisebeschreibung über Straßburg einige deutliche Hinweise auf einen "Dannenbäum" gemacht. Damals war dieser noch ohne Kerzenlichter. Dafür behängte man ihn mit Äpfeln, dünnes Backwerk, Zischgold, Zucker und vielfarbige Papierrosen. (Diese reflektierten einst das Weihnachtslied "Es ist ein Ros' entsprungen".) Während des Dreißigjährigen Krieges verlor dieser Familienbaum an Wichtigkeit. 1708 berichtete die schreibgewandte Schwägerin Ludwigs XIV., nämlich Liselotte von der Pfalz in einem Brief an ihre Tochter vom "Christkindel"-Fest ihrer Kindheit in Hannover um 1662. Dort stellte man Buchsbäume mit Wachskerzen auf dem Gabentisch. Oftmals artete die Gestaltung der schönsten Christbäume zu einem Wettstreit europäischer Adeliger aus und fand ihre Fortsetzung in der großbürgerlichen Kultur.
Dieser Weihnachtsbrauch beeindruckte sogar Dichterfürst Goethe, welcher in seinem 1774 veröffentlichten "Werther"-Brief-Tagebuch-Roman einen aufgeputzten Baum mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln erwähnte.
... es war der Sonntag vor Weihnachten, kam er [Werther] Abends zu Lotten, und fand sie allein. Sie beschäftigte sich, einige Spielwerke in Ordnung zu bringen, die sie ihren kleinen Geschwistern zum Christgeschenke zurecht gemacht hatte. Er redete von dem Vergnügen, das die Kleinen haben würden, und von den Zeiten, da einen die unerwartete Oeffnung der Thüre, und die Erscheinung eines aufgepuzten Baums mit Wachslichtern, Zukkerwerk und Aepfeln, in paradisische Entzükkung sezte... (J. W. Goethe: Die Leiden des jungen Werthers. Zweites Buch. Leipzig 1774, Seite 181)
Viele feinfühlige Dichter dieser Epoche wie Schiller, Claudius oder Storm und andere trugen zur Verbreitung dieser Zierbaumsitte im gehobenen Bildungsbürgertum bei. Schiller freute sich auf das Fest unter dem Baum. Brieflich meinte er an Charlotte Buff (Lotte, Goethe's Freundin), dass bei seinem geplanten Weihnachtsbesuch in Weimar 1798: "Ihr werdet mir hoffentlich einen grünen Baum im Zimmer aufrichten."
Ehest mit deutschen Protestanten gelangte der Christbaum um 1700 nach Nordamerika. Offiziell wurde er erst 1830 erwähnt. Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert fand der weihnachtliche Baum den Weg in eine Bürgerstube in Zürich. Bis zur Zeit des Zweiten Weltkrieges kannten ihn alle Schweizer. Am Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Weihnachtsbaum unauffällig in Großbritannien eingeführt. Fast zeitgleich in Österreich. Beliebtheit erlangte der Lichterbaum in Polen, in den Niederlanden und zuletzt in China und Japan mittels missionarischen Eifers. Seit 1939 kam der Weihnachtsbaum in Süd- und Mittelamerika auf und durch amerikanische Besatzungssoldaten kam er auch nach Italien.
Die Tradition des Christbaumaufstellens wurde jedenfalls von außen nach Österreich hineingebracht.

Derweil war der Christbaum fixer Bestandteil bei Feiern im bürgerlichen Mittelstand, wohingegen in den ärmeren Schichten der Bevölkerung diese Sitte bis ins endende 19. Jahrhundert völlig unbekannt. Jedenfalls war das Christbaumaufstellen in dieser Zeit üblich und seither auf der gesamten Welt verbreitet.
Peter Rosegger erwähnte in seinen Erzählungen, wie er, vermutlich um 1862, den ersten kerzenerhellten Christbaum, übrigens eine – steirische – Fichte, an den elterlichen Hof in der Waldheimat mitbrachte.[7] Kennengelernt hatte er den Brauch wohl in einen der Salons in Graz.
Aber lassen wir Rosegger selbst erzählen: ... Da sollen sie ein Fichtenbäumchen, ein wirkliches Bäumlein aus dem Walde auf den Tisch stellen, an seinen Zweigen Kerzlein befestigen, sie anzünden, darunter sogar Geschenke für die Kinder hinlegen und sagen, das Christkind hätte es gebracht. Auch abgebildet hatte ich solche Christbäume schon gesehen. Und nun hatte ich vor, meinem kleinen Bruder, dem Nickerl, einen Christbaum zu errichten. Aber alles im geheimen, das gehört dazu ... Ich zündete die Kerzen an und versteckte mich hinter den Ofen. Noch war es still. Ich betrachtete vom Versteck aus das lichte Wunder, wie in dieser Stube nie ein ähnliches gesehen worden. Die Lichtlein auf dem Baum brannten so still und feierlich – als schwiegen sie mir himmlische Geheimnisse zu ... »Was ist denn das?!« sagte der Vater mit leiser, langgezogener Stimme. Der Kleine starrte sprachlos drein. In seinen großen runden Augen spiegelten sich wie Sterne die Christbaumlichter. – Der Vater schritt langsam zur Küchentür und flüsterte hinaus: »Mutter! – Mutter! Komm ein wenig herein.« ... Da erachtete ich es an der Zeit, aus dem Ofenwinkel hervorzutreten. Den kleinen Nickerl, der immer noch sprachlos und unbeweglich war, nahm ich an dem kühlen Händchen und führte ihn vor den Tisch. Fast sträubte er sich. Aber ich sagte – selber feierlich gestimmt – zu ihm: »Tu dich nicht fürchten, Brüderl. Schau; das lieb' Christkindl hat dir einen Christbaum gebracht. Der ist dein.« Und da hub der Kleine an zu wiehern vor Freude und Rührung, und die Hände hielt er gefaltet wie in der Kirche. (Peter Rosegger: Der erste Christbaum in der Waldheimat - Waldheimat. Erzählungen aus der Jugendzeit. 4. Band)
Steht der Nadelbaum endlich weihevoll gewandet da, egal ob dieser echt natur oder künstlich, mit glänzenden Zierrat, im günstigsten Fall Harzduft verströmend und sterngleichen Lichtern, erblicken wir Feiernden ein uraltes Symbol des ewigen Lebens. Die Völker des Nahen Osten - dort kam Jesus zur Welt - und Asiens griffen auf immergrüne Bäume und Pflanzen zurück, flochten Kränze und Girlanden. Galt Grün nicht von jeher als Farbe der Hoffnung, der Macht? Denken wir doch an den Weltenbaum aus der altgermanischen Mythologie, der nachmals in das christliche Gedankengut transformiert wurde, zum Kreuz Christi. Irgendwie verschmolz der fünftausend Jahre alte Baumkult der Bronzezeit mit der Lichterbaumsitte der Gegenwart zu einer zeitungebundenen Idee. Man hatte schon immer Zweige dekorativ zu kultischen Zwecken aufgehängt. Im alten Rom waren es Lorbeerzweige ... Im Mittelalter gab es die Gepflogenheit, Tannenreisig in der Stube aufzuhängen, um in der dunkelsten Jahreszeit böse Geister fernzuhalten. Diese dichten Zweige wandelten sich später zum Bäumchen, das liebevoll dekoriert, auch von der Decke herabhängen konnte. Im niederösterreichischen Waldviertel gibt es in älteren Bauwerken noch entsprechende Haken an der Decke.

Irgendwann war der öffentliche Christbaum modern. Es gibt im Advent und in der eigentlichen Weihnachtszeit keinen Platz, wo nicht ein mehr oder weniger großer Nadelbaum, geschmückt mit Lichterketten (früher normale Glühlampen heute stromsparende LED) aufgestellt ist. Beispielsweise am Wiener Rathausplatz, wo ein entsprechendes nadeliges Gewächs den Christkindlmarkt bewacht. Oder vor dem Schloss Schönbrunn gleichermaßen.
Der Petersplatz im Vatikan birgt neben der monumentalen Krippe auch einen riesigen Christbaum - erstmals seit 1982.
Mit Recht erwuchs der Christbaum im Volksbrauch neben Krippe und Bescherung zum respektabelsten Sinnzeichen Weihnachtens ...
Anmerkung
[1] Zitate, die deutschsprachigen Weihnachtsliedern entlehnt sind. Vgl. Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen/Wikipedia und Der Christbaum ist der schönste Baum/Wikipedia
[2] Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Basel 1494 - Übersetzung: Das Narrenschiff/Literatur/www.zeno.org
[3] Fanny von Arnstein/geschichtewiki.wien
[4] Der erste Christbaum in Ried/Wissenssammlung/Historische Bilder (Abbildung des Gemäldes)
[5] Anton Dörrer: Die ersten Christbäume in Österreich [Innsbruck] 1946, Seite 4ff.
[6] Vermutung des Verfassers
[7] Ein Weihnachten 1983 im ORF-TV gezeigter Film „Der Waldbauernbub. Eine Weihnachtsgeschichte von Peter Rosegger“ (4. Abschnitt) - Pilotfilm der TV-Serie "Waldheimat" - schildert in der Schlussepisode diese nette Begebenheit. Siehe YouTube Der Waldbauernbub, Peter Rosegger Weihnacht in der Waldheimat4 zwischen 6 min 55 sec und 13 min 12 sec
[8] Im Namenstagkalender enthält der 24. Dezember "Adam und Eva"!
Aktuell (u. a. weiteres Bildmaterial)
- Wien: Christbaum auf Rathausplatz im Lichterglanz/wienorf.at/13. November 2021
- Wien-Hietzing: Baum und Krippe/Kultur- und Weihnachtsmarkt Schloß Schönbrunn 2021
- Rom: VATIKAN. Christbaum auf dem Petersplatz aufgestellt/religion.orf.at/stories/23. November 2021
Quellen (Auswahl)
- Christbaum/Wissenssammlung/ABC zur Volkskunde
- Christbaum/AEIOU
- Weihnachtsbaum/Wikipedia
- Christmas-Tree/britannica
- Christbaum in Österreich/Heimatlexikon
- Salzburger Kulturlexikon. Herausgegeben von Adolf Haslinger und Peter Mittermayr. 1987 Salzburg - Wien, Seite 94 (knapper Artikel)
- Christbaum/geschichtewiki.wien
- Eigene Recherchen und Betrachtungen
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