Die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf#
Von Ernst Zentner
Aber was waren die Ursachen für die Errichtung der Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf? Ganz einfach. Die Menschen dort wollten, dass die Erinnerung der beide Männer, die das Stille-Nacht-Lied geschaffen hatten, nicht verblasst. Der Überlieferung nach wurde das Weihnachtslied in der Mitternachtsmette in der Pfarrkirche St. Nikolaus in Oberndorf erstmals 1818 gegeben. Zwei Männerstimmen mit Gitarrenbegleitung und wohl die Schlussverse vom hiesigen Chor dargebracht. Denn die Kirchenorgel war unspielbar gewesen. Und die Reparatur kostenintensiv und folglich damals nicht realisierbar. Zur Erinnerung. Die Auswirkungen der Napoleonischen Kriege und eine durch einen Vulkanausbruch (Supervulkan Tambora 1815! "Jahr ohne Sommer") verursachte weltweite schwere Klimaänderung belasteten die Bevölkerung zutiefst. Die durch den Wiener Kongress bewirkte Grenzziehung zwischen Salzburg und Bayern tat ihr übriges. Die alte Oberndorfer Pfarrkirche St. Nikolaus stammte aus dem späten Barock (um 1770). Ein mächtiges Langhaus mit einem romanische Westturm. Sie wurde 1903 geschlossen; bis vor ihren Abbruch 1906-10 prägte sie das Ortsbild von Oberndorf. Ein schweres Hochwasser der Salzach 1899 verursachte enorme Schäden. Eine ordentliche Sanierung und Überholung des Kirchengebäudes war aus wirtschaftlichen und architektonischen Ursachen nicht möglich. Nicht einmal für die Erhaltung des romanischen Kirchturms war Geld da. Kurz: ein kulturhistorisches bedeutendes Bauwerk wurde aufgegeben.[1] Das Ortszentrum wurde an eine höhere Stelle verlegt. Die Innenausstattung kam teilweise in die neue Nikolauskirche. Der große Krieg 1914 bis 1918 verursachte dazu eine Hungersnot und eine Errichtung einer Gedächtnisstätte für Mohr und Gruber waren lange Jahre Hürden gesetzt worden. Es war auch die Zeit der Ersten Republik Österreich (bis 1920 Deutschösterreich) mit ihren bekannten Krisen. Das alte Problem Geldmangel zog sich über die Jahre und endlich – mit Spendengeldern – 1924 konnte mit der Grundsteinlegung begonnen werden.Im August 1924 fand eine (dreitägige) Jahrhundertfeier des Weihnachtsliedes in Oberndorf statt. Sechs Jahre nach dem eigentlichen Termin, der noch im Weltkrieg lag. Die Oberndorfer wollten die Erinnerung an die Entstehungsgeschichte von Stille Nacht hochhalten. Bei den Feiern nahmen die beiden Enkelsöhne von Franz Xaver Gruber - Konzertmeister Felix und Domkapellmeister Franz Xaver - teil. Lokale Prominenz und der Salzburger Landeshauptmann Franz Rehrl waren anwesend. Jedenfalls wurde ein großes aufwendiges Spektakel mit theatralen Charakter gegeben. Geschmückte Schiffe auf der Salzach waren unterwegs. Farbenpracht und Musik waren angesagt. Alle Honoratioren aus Oberndorf und Umgebung waren eingetroffen. Während der Festivitäten herrschte teilweise unwirtliches Sommerwetter.
Zuerst fand in der neuen St. Nikolauskirche ein Requiem für Mohr und Gruber statt.
Zivilarchitekt Josef Dietzinger entwarf das Bauwerk. Diese Kapelle soll im Inneren ein entsprechendes Altarbild sowie zwei Skulpturen sollten die Namen Mohr und Gruber verewigen. Wie die Innengestaltung sein sollte, wussten die Verantwortlichen damals auch nicht so genau. Der Bildhauer R. Brandstätter schuf nach den Entwürfen ein Modell, das im Festzug mitgeführt wurde.
17. August 1924: Dietzinger leitete die Grundsteinlegung. Eine Urkunde und mit Beigabe kursierender Münzen wurde vermauert. Der symbolische Hammerschlag wurde von den Gruber-Enkelsöhnen begonnen.
Zwölf Jahre wird es dauern bis dieses kleine Gebäude, wie wir es heute kennen, fertig auf dem Hügel stehen wird.
Der Bauplatz war der etwas erhöhte anliegende Schuttkegel auf dem sich die ursprüngliche Nikolauskirche befunden hatte. Der Zivilarchitekt Josef Dietzinger entwarf einen achteckigen Baukörper mit Glockenturm und Laterne; am Portal darüber liegt ein abgewalmtes Vordach. Rundbogige Glasfenster von 1935 ermöglichen einen Lichteinfall. 1936 war das kleine Gebäude vollendet und am Maria Himmelfahrtstag 1937 wurde die Einweihung durch den Salzburger Weihbischof Johannes Filzer vollzogen. Komponist und Chordirigent Viktor Keldorfer hielt die Festrede. Er sah Salzburg als "Heimat der innigsten aller Weihnachtsweisen" und begründete den Erfolg mit der "ungewöhnlichen Einprägsamkeit der biedermeierlichen, naturhaft-österreichischen Pastoralmelodie". Keldorfer nannte die Kapelle einen "Friedenstempel". Bundeskanzler Schuschnigg hielt die Ansprache und zitierte aus dem Johannes-Evangelium: "Im Anfang war das Wort." Ein Hinweis auf die weltweite Verbreitung des Stille-Nacht-Liedes. Danach schloss er seine Rede: "Möchte die Kapelle wirklich ein Salzburger Denkmal sein, auf österreichischem (!) Boden errichtet, ein Denkmal deutscher (!) Eintracht, deutschen Friedens, deutscher (!) Seele!" (Salzburger Volksblatt, 16.08.1937, Seite 2) Damals lagen die Februarkämpfe 1934 in Wien und Österreich nicht so lange zurück und von Berlin aus, wo ein Hitler diktatorisch agierte, drohte Gefahr. Das klerikale Österreich hatte immerhin einen neuen Merkpunkt in seiner Geschichte geschaffen, doch die innenpolitischen Probleme wurden sozusagen negiert. Am Abend gab Landeshauptmann Rehrl in der Salzburger Residenz einen Empfang an dem Bundepräsident Miklas und der Bundeskanzler teilnahmen. Ein halbes Jahr später wird in Österreich ein anderer politischer Wind wehen. Übrigens Dietzinger entwarf nach dem Anschluss das in nächster Nähe liegendes Schulgebäude (1939-42). Er war eher ein erfahrener Gebrauchsarchitekt mit ländlichen Stilempfinden, ein politisch tätiger Mensch, Er war Gemeinderat in Oberndorf, stockkonservativ und Monarchist und überwarf sich stets mit den Sozialdemokraten und glitt versehentlich in die Nähe der Großdeutschen hinab. Gemeinderat in Oberndorf, agierte autoritär. Als Konservativer stand im Widerstreit mit den Sozialdemokraten. Er war Gemeinderat und ein schwieriger Politiker. Seine Ehefrau Louise fungierte bei Wohltätigkeitsveranstaltungen (Finanzielle Unterstützung für Kriegsversehrte).
Wenn ich mir das Stille-Nacht-Kapellchen ansehe, ein großer Wurf ist es nicht. Für damalige Zeiten war es genügsam und handwerklich gediegen. Vielleicht ist es deswegen so sympathisch anzusehen. [Die frühbarocke Brigittakapelle in Wien ist origineller und kulturhistorisch kantiger.]]
Wir sind gewohnt, dass Kapellen im öffentlichen Raum eher quaderförmig wirken, versehen mit einem kleinen Glockenturm. Aber auf österreichischem Boden gibt es als Vergleichsbeispiel die Brigittakapelle in Wien, frühbarock und achteckig. Dietzinger wird sie gewiss gekannt haben ...
Eine "Josef-Dietzinger-Straße" in Oberndorf erinnert an den Architekten der Stille-Nacht-Kapelle.
Jahre zuvor schuf der Priester und akademische Bildhauer Josef Mühlbacher in Wien ein markantes Porträtreliefs von Gruber und Mohr (1912), das für die Wagrainer Marktkirche gedacht und nicht leistbar war. Der generöse bayerische Bildungsbeamtenverein in München brachte 1928 den abverlangten Betrag in Höhe von 6.000 Reichsmark auf. (Das entspräche wohl 1.764,71 Euro. Hört sich billig an, war aber damals vom höheren Wert.) Am 28. Dezember 1928 wurde das Hochrelief am Kirchplatz der neuen Nikolauskirche enthüllt.
Sehen wir uns die einfache Innenausstattung an. In ihr spiegeln sich die theologischen Ursprünge und Entstehungsgeschichte wieder:
Die farbigen Glasfenster wurden von der international angesehenen Tiroler Glasmalereianstalt 1935 in Innsbruck geschaffen; eines wurde vom Ostmärkischen Sängerbund und das andere vom Wiener Schubertbund gestiftet.
Der damalige künstlerische Leiter der Tiroler Glasmalereianstalt hieß Gottlieb Schuller (1879-1959), der sie mit seinem Team 1934 realisierte. Schuller inspirierte sich am Stil seines britischen Vorgängers Bernard Rice (Glasmaler, der in Österreich tätig war) und wagte eine eigene Formensprache aus romantischen Naturalismus und Expressionismus; aber auch klassische Moderne spricht aus den schlichten Glasbildern.
Linkes Glasfenster: Lehrer Franz Xaver Gruber mit Gitarre und seiner Pfarre Arnsdorf, wo er tätig war. Dort hatte er auch die Melodie geschrieben. Rechtes Glasfenster: Priester Joseph Mohr mit Feder und Papier, er soll den Liedtext in Oberndorf verfasst haben. Allerdings seit einigen Jahren gilt seine frühere Wirkungsstätte Mariapfarr als Abfassungsort.
Der Altar enthält das Hochrelief Geburt Christi und stammte von Hermann Hutter (1915). Eine Spende der Oberndorfer Brauereibesitzersfamilie Roppinger. Die Altarpredella enthält die Reliefs Anbetung der Könige, Kreuzigung, Flucht nach Ägypten; 1936 von Max Domenig (1886-1952) verfertigt. Dahinter soll sich der Schädel des Tonkünstlers verbergen.
Domenig schlug vor, die beiden Liedschöpfer als lebensgroße, freistehende Statuen links und rechts des Altars aufzustellen. Das Denkmalamt lehnte ab und befürwortete die Glasmalereien in den Rundbogenfenstern.
Eine überlieferte Liste der Spender wurde in der Salzburger Chronik (16.08.1937, Seite 5) veröffentlicht: "Beträchtliche Mittel wurden dem Festausschuß zugeführt durch die Gemeinde Oberndorf, die Vaterländische Front, die österreichisch und bayerische Lehrerschaft, die österreichische Autorengesellschaft, sowie durch die Ergebnisse von Kirchensammlungen (Insbesondere der Münchner Frauenkirche). Den Hauptanteil an dem Zustandekommen des Werkes aber hat die Sängerschaft. Eine durch den Salzburgischen Sängerbund bereits im Jahr 1928 geförderte Sammelaktion des Deutschen Sängerbundes lieferte ein hübsches Ergebnis ... Ostmärkischen Sängerbund und den ihm einverleibten Wiener Schubertbund ... Sängern helle Begeisterung und erfolgreichste Unterstützung ..."
Diese heute bekannte Stille-Nacht-Kapelle bekam in Minimundus am Wörthersee (Kärnten) eine Nachbildung im Maßstab 1 : 25. Im US-amerikanischen Frankenmuth, Michigan, wurde in Bronner’s Christmas Wonderland eine maßstabgetreue Kopie aufgestellt.
Die Oberndorfer liebreizende Stille-Nacht-Kapelle wurde zum Symbol für das Weltweihnachtslied und ist in zahlreichen Abbildungen und Dokumentationen dargelegt. Jedes Jahr am Heiligen Abend findet um 17 Uhr eine Gedenkfeier statt. Eine Webcam beobachtet das Geschehen.
Vom Mariä Empfängnis bis zum Heiligen Abend ermöglicht ein Sonderpostamt Gefälligkeitsstempelungen. Innerhalb der Stempeldarstellungen ist die Stille-Nacht-Kapelle als einfaches aber deutlich erkennbares Motiv zu erkennen. Meistens steht als Umschrift, hierzu ein aktuelles Beispiel: "STILLE NACHT FEIER 2020 - 5110 OBERNDORF b. SALZBURG 24. 12. 2020".
Oberndorf war und ist von Touristen in der Weihnachtszeit überlaufen – ausgenommen wegen der Pandemie 2020.)
(Ganz diskret: Mich erinnert das Gesamtbild an ein Grabmal für die alte demolierte Nikolauskirche …)
(Wenn ich beim Portal seitlich gucke, erblicke ich den hohen Wasserturm und der ist echt spätmittelalterlich…)
Fußnoten
[1] Österreichische Kunsttopographie X (II. Teil) 1913 (Wien), Seite 562-572
[2] https://www.pfarreoberndorf.at/pfarre/stille-nacht-kapelle/#.X-Y5CuWg_IU
Quellen
- Eigene Recherchen
- Die Jahrhundertfeier des Weihnachtsliedes in Oberndorf. In: Salzburger Chronik, Dienstag, 19. August 1924, Seite 4-5
- Josef Rosenstatter, Mohr-Gruber-Gedächtniskapelle in Oberndorf. Zur Einweihung am 15. August 1937. In: Salzburger Chronik. Tagblatt mit der illustrierten Beilage „österreichische Woche“, Samstag, 14. August 1937, Seite 3
- Die Gruber-Mohr Gedächtnisfeier in Oberndorf. In: Salzburger Chronik. Nr. 186, Montag, 16. August 1937 73. Jahrgang, Seite 4-5
- Dehio-Handbuch Salzburg. Wien 1986, Seite 290 (Stille-Nacht-Gedächtniskapelle)
- https://www.sn.at/wiki/Stille-Nacht-Kapelle
- https://www.stillenacht.at/orte/oberndorf
- Stille Nacht heilige Nacht/AEIOU
- Stille-Nacht-Kapelle/AustriaWiki
- STILLE NACHT... (Essay von Graupp I.-C.)
- Joseph Mohr. Ein Priester dichtete Stille Nacht (Essay von Zentner E.)
- Stille Nacht Heilige Nacht - Wie ein Abt die Entstehung des Weltweihnachtsliedes günstig beeinflusste (Essay von Lanz E.)
- In süßem Jubel – Musik zur Weihnacht einst und jetzt. Musik für Advent und Weihnacht (Essay von Lanz E.)
Link (u. a. Webcam)
Briefmarke (Motiv)
Video (YouTube)
Ernst Zentner 2020/2021