Was macht König Herodes im Stall von Bethlehem? Der vierte König?#
Von Ernst Zentner
Hieronymus Bosch - er lebte von 1450 bis 1516 in 's-Hertogenbosh (Noord-Brabant) in den Niederlanden - malte skurrile Gemäldewerke, etwa das Wiener Weltgerichtstriptychon ("Das jüngste Gericht", um 1485-1505; Gemäldegalerie, Akademie der bildenden Künste, Wien) oder "Garten der Lüste" (um 1490-1500; Prado). Aber interessanterweise schuf er u. a. auch ein Sakralbild "Anbetung der Könige", das sich im Prado (Madrid) befindet. Das mittlere Bild misst 133 mal 71 cm, beide Seitenflügel 135 mal 33 cm und wurde mit Ölfarben auf Eichenbrettern gemalt. Eine exakte zeitliche Einordnung ist wie bei den anderen Werken des Genies trotz modernster Untersuchungstechnologien nicht möglich. Möglicherweise, so vermuten Kunstexperten, wurde es um 1494 gemalt. Signiert ist es obendrein: Jheronimus bosch.
Was bietet das Bild? Es ist eine der üblichen Krippenandachtsszenen der frühen Neuzeit. Die heilige Familie wird von den drei fürstlichen Sterndeutern aus dem Morgenland besucht. Sie stehen auch für die damals bekannten Erdteile. Ebenso auch für die Lebensalter. Und die verschiedenen Völker.
Allerdings das Vorhandensein eines farbigen Königs (Afrika - neben Asien und Europa) beruhte auf einem Interpretationsfehler, den Bosch ebenfalls aufgegriffen hatte. Im Neuen Testament sind sie nur als Magier (griechisch: magoi) bekannt. Auch die Anzahl ist nicht überliefert. Die Anzahl der drei Gaben ist bekannt: Gold, Weihrauch und Myrrhe ... In der Auslegung der Menschenalter gab es drei, den Jüngling ohne Bart, den im Mannesalter stehenden Bartträger und dem Greisenbart. Das Schwarz des Mannesbartes wurde zur Hautfarbe umgedeutet.
Jedoch im Hintergrund blickt eine Personengruppe in den Stall von Bethlehem. Die erste teilweise entblößte Figur mag den Anschein eines vierten Königs erwecken. Kunsthistoriker mit theologischen Kenntnissen vermuteten in ihm den jüdischen Herrscher Herodes. Dieser soll den bethlehemitischen Kindermord zu verantworten haben, weil er sich durch eine alte Weissagung in seiner königlichen Machtstellung bedroht gefühlt hatte. Sein Sohn Herodes II. ließ den Wanderprediger Johannes den Täufer enthaupten, nur um der jungen Salome bei einem erotischen Tanz zuzusehen.
Vielleicht der Antichrist? Allerdings trägt der vermeintliche König die Krone des zweiten aus dem Morgenland in seiner Hand? Sie erinnert eher an eine vereinfachte Tiara … Steht da anstatt Herodes der Pontifex maximus? In der Epoche Hieronymus Boschs lag das geistig-geistliche Leben der Weltkirche im Argen. Erst 1517 bot Martin Luther mit seinen Thesen, den Ansporn zu einer Verbesserung der Kirche überhaupt. Das Resultat ist bekannt und füllt Weltgeschichtsbücher.
Eine weitere Möglichkeit in der Interpretation anzugehen, wäre Jesus von Nazareth darin zu erblicken. An seiner Seite seine Häscher, die ihn bald foltern und an das Kreuz schlagen werden …
Als Basis für die Symbole dienten Begebenheiten, die im Alten und im Neuen Testament angedeutet wurden sowie theologisch-philosophische Interpretationen damaliger Zeitgenossen. Bosch war ein eigenwilliger Denker und Künstler seiner Epoche. Er hatte gewiss eigene Intentionen in Farbe visuell umgesetzt. (Nur ein Beispiel am Rand: Wir sehen in der Eule das Sinnbild der Weisheit. Für Bosch ein in der Nacht tätiger Raubvogel und somit die Deutung des Negativen … Immer finden sich in seinen Werken Andeutungen menschlicher Laster und Widersprüche. Fast satirische Umdeutungen des menschlichen Tuns. Erstaunlich, dass Surrealisten des 20. Jahrhunderts - von Dali bis Fuchs - ihn als "Vorbild" sahen. Nur Dali distanzierte sich von Bosch Denkweise und suchte neue Wege das nicht Vorstellbare so richtig sichtbar zu machen.)
In Hieronymus Bosch Werk gibt es noch immer offene Fragen, um das Kunsthistoriker, Theologen und Philosophen vergebens um Antworten ringen.
Der Stall an einem völlig verfallenden und sogar deformierten Bauwerk. Die Hirten mit ihren aschfahlen Gesichtern fast zudringlich in den Dachsparren lauernd, einer klettert sogar einen Baum hoch. Weit im Hintergrund eine beinahe futuristische Stadt, eher niederländisch und wohl Bethlehem oder Nazareth gemeint. Davor geradezu surreal eine holländische Windmühle. Vor einem Bauerngehöft Joseph und Maria, um eine Bleibe suchend. Kaum sichtbar in nächster Nähe ein Mann auf einer Säule - ein Beobachter? Ein Prophet, einer der Evangelisten? Zwei Heere, die aufeinander zu streben. Theologische Ansichten, die aufeinander zugehen ohne eins zu werden. Ganz oben als kleine goldgelbe Scheibe, der Stern von Bethlehem.
Die hier anwesenden Könige haben an ihren Kostümen Hinweise zu biblischen Ereignissen.
Im Matthäus-Evangelium werden sie als Sterndeuter erwähnt.
Die hier versammelten drei Könige sind das Ergebnis einer seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert einsetzenden Legendenbildung (Namen, Alter und Herkunft).
Im Stall daselbst im Dunkeln der Esel - offenbar hinter ihm der Ochse - als Sinnbilder der Unbeweglichkeit und des Starrsinnes. (Erinnern wir uns: Das Christentum war in seinen Anfängen erst eine religiöse Bewegung innerhalb des Judentums.)
Sind wir mit dem vierten König doch selbst gemeint, mit unseren Problemen und Lastern? Er sieht auf das Jesuskind - keineswegs auf die Könige …
Copyright Ernst Zentner 2008/2016/2020
Quelle
- Bosch. The 5th Centenary Exhibition. Edited by Pilar Silva Maroto. Madrid, Museo Nacional del Prado 2016 (Ausstellungskatalog), vor allem Seite 195-207, Nr. 10 (Maroto)
Allgemeine Quellen
Siehe auch
Ergänzendes
Hieronymus Boschs Symbolsprache bleibt doch irgendwie rätselhaft …