Kirtag#
Der Begriff Kirtag weist auf die Verbindung mit der Kirche und der dort gehaltenen Messe. Am Weihetag (Kirchweihmarkt) oder Tag des Kirchenpatrons gesellte sich zur heiligen die profane Messe, der Jahrmarkt. Bis heute ist der Standelmarkt - mit Gegenständen des täglichen Bedarfs und Süßigkeiten, wie großen, verzierten Herzen aus Lebkuchen
, Schaumrollen oder Zuckerwatte, Teil des traditionellen Kirtags. Weil man eine Kirche möglichst am Tag ihres Patrons weihte, verteilen sich die Termine und die damit verbundenen Märkte auf das ganze Jahr. Die Besucher kamen von weit her zu den oft mehrtägigen Festen.
Üppiges Essen und Trinken, Musik, Tanz, Geselligkeit und Brautschau waren für die ländlichen Kirtage charakteristisch, die meist von den örtlichen Burschenschaften organisiert wurden. Dabei taten sich die jungen Männer aus dem Weinviertel (Niederösterreich) hervor, wo sich eine eigene Kirtagkultur entwickelte. Professionelle Kirtagbäckerinnen sorgten für Kekse und andere Köstlichkeiten. Bei den Zuckerbäckern gab es Weinbeerkipferl, Krapfen mit bunter Spritzglasur, Schnürkrapfen und Schneeballen. Aus Germteig formten sie s-förmige Kirtagsschlangerln.
Seit dem Spätmittelalter wurden Missstände am Kirtag beklagt, doch dauerte es bis ins 18. Jh., dass sich die weltliche Obrigkeit für einen einheitlichen Termin aussprach. Kaiser Josef II. (1741-1790) verfügte 1786 statt der vielen Kirchweihfeste ein allgemeines am 23. Oktober. Es soll aber vorgekommen sein, dass die Leute in den Dörfern sowohl an ihrem traditionellen Tag als auch am Kaiserkirtag feierten. Der Aufklärer Josef Richter, bekannt als Eipeldauer, notierte: "Kirchweih ist der Fasching der Bauern. Die Zeremonie wird mit einer Predigt und einem Hochamte angefangen und mit Tanzen und einem derben Rausch geschlossen. Die Stadtleute, die sich das ganze Jahr weder um den Bauern noch um seine Kirche kümmern, lassen sich an diesem Tag zu ihm herab - und verderben ihm öfters seinen Spaß."
Zwischen 1775 und 1848 war der Brigittakirtag "die" große Volksbelustigung. Zehntausende Menschen kamen zu dem Fest, das in Malerei, Musik und Literatur seinen Niederschlag fand. So beginnt Franz Grillparzers Novelle "Der arme Spielmann": " In Wien ist der Sonntag nach dem Vollmonde im Monat Juli jedes Jahres samt dem darauffolgenden Tage ein eigentliches Volksfest, wenn je ein Fest diesen Namen verdient hat. … An diesem Tage feiert die mit dem Augarten, der Leopoldstadt, dem Prater in ununterbrochener Lustreihe zusammenhängende Brigittenau ihre Kirchweihe. Von Brigittenkirchtag zu Brigittenkirchtag zählt seine guten Tage das arbeitende Volk." Der heutige 20. Wiener Gemeindebezirk war eine beim Augarten gelegene Donauau, die als Weide diente. Man nannte sie Schottenau, Wolfsau oder Taborau. Brigittenau heißt sie seit dem Bau der, Birgitta von Schweden geweihten, Kapelle (1650). In der Nähe befand sich ein kaiserlicher Fasangarten, den Joseph II. gleichzeitig mit dem Augarten 1775 der Öffentlichkeit zugänglich machte. Bald siedelten sich Gasthäuser und Vergnügungsstätten an, welche die Wiener Bevölkerung gerne besuchte.
Der Dornbacher Annenkirtag, Wien 17, feierte im Juli 2013 sein 300-Jahr-Jubiläum. Er erlebte in der zweiten Häfte des 19. Jahrhunderts seine Blütezeit und begann am Vorabend mit dem Bürgerball in der durch das Schrammel-Quartett bekannten Restauration "Zur güldenen Waldschnepfe" (Wien 17). 1980 griff der Hernalser Kulturkreis die unterbrochene Tradition auf und veranstaltete einige Male den Kirtag bei der Pfarrkirche auf dem Rupertusplatz.
In Neustift am Walde, Wien 19, sehen sich die jungen Winzer verpflichtet, die Tradition weiterzuführen. Im November 2023 kamen 20.000 Personen "für die Menschlichkeit" zum "Meer der Hoffnung" auf den Heldenplatz.
Der Neustifter Kirtag geht auf die Maria-Theresianische Zeit zurück und entfiel nur im Zweiten Weltkrieg. Seit 2020 zählt der Umzug mit der Hauerkrone zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Wie die Chronik berichtet, zogen die Neustifter Winzer mit einer Bügelkrone aus vergoldeten Nüssen, die drehbar an einer Tragestange befestigt ist, zur Kaiserin. In einem Jahr schlechter Ernte wollten sie von ihr einen Steuernachlass erbitten. Dieser wurde ihnen gewährt und die Weinhauer versprachen, zur Erinnerung alljährlich einen Umzug mit der Hauerkrone abzuhalten. Das Fest findet am dritten August-Wochenende von Freitag bis Montag (bzw. Donnerstag bis Sonntag) statt. Zu den alten Elementen - Umzug von Weinhüter, Altbursch, Kronenträgern und Flasch’lbuam (neuerdings auch Mädchen), Aufstellen des Hüterbaums, Feldmesse und Standlmarkt - sind moderne Attraktionen gekommen. Alljährlich zählt man an die 100.000 Besucher, wobei es besonders für die jungen Gäste "in" ist, Dirndl bzw. Lederhose zu tragen. 2023 sah sich der veranstaltende Weinbauverein - wegen gestiegener Kosten und ausgestiegenen Sponsoren - in Schwierigkeiten.
In den 1970er- Jahren wurde in Wien eine Reihe von Kirtagen wiederbelebt. Erstmals 2002, zum 50. Jahrestag der Wiedereröffnung nach dem Dombrand im Zweiten Weltkrieg feierte man den Stefflkirtag. Zur Erinnerung an den Weihetag des Stephansdomes (23. April 1340) wird dieser ein Wochenende lang mit Gottesdiensten, Kirchenmusik, Spezialführungen und Standelmarkt begangen. Er fand von 10.bis 29. Mai 2023 mit 57 Ständen statt. Der Reinerlös kommt dem Dom zu Gute. Aufzeichnungen über den "Kirtag auf der Mauer" reichen bis 1709 zurück, vor etwa 40 Jahren haben ihn Ehrenamtliche des Lions Club St. Stephan revitalisiert. 2023 fand er nicht mehr statt.
In Kärnten feierte man 2018 den 75. Villacher Kirtag. "Österreichs größtes Brauchtumsfest" findet am ersten Augustsamstag in der Altstadt rund um den Hauptplatz statt. Zu den Highlights der 130 Veranstaltungen zählt der Trachtenfestzug mit 4000 Teilnehmern und mehr als zehn Mal so vielen Zuschauern. 1225 verlieh Friedrich II. der Stadt das Privileg, zwei Wochen vor und nach dem Fest ihres Kirchenpatrons Jakob (25. Juli) einen Jahrmarkt abzuhalten. 1936 griff die Fremdenverkehrskommission die Tradition auf, die sich seither ständig weiterentwickelt.
Quellen:
Werner Galler: Kirtag in Niederösterreich. St. Pölten 1984.
Helga Maria Wolf: Sehnsucht nach dem Alten Wien, Wien 2014. 216
Wörterbuch der deutschen Volkskunde. Stuttgart 1976. S. 449 f.
Villach
Mauer: "Kurier" 27.4.2023
"Kurier, 10.5.2023
Bilder:
Lichtentaler Kirtag, Wien 9, um 1950. Foto: Alfred Wolf
Stefflkirtag, Foto: Doris Wolf, 2013
Annen-Ehrung auf dem Dornbacher Kirtag, Foto: Doris Wolf, 2013
Siehe auch:
Essay Kirtag
Heimatlexikon
Kirtag in: Verschwundene BräucheDas Buch der untergegangenen RitualeHelga Maria WolfBrandstätter VerlagWien2015