Gauß, Karl Markus #
* 14. 5. 1954, Salzburg
Literaturkritiker, Schriftsteller, Essayist, Feuilletonist, Chronist, Kritiker und Herausgeber
Karl Markus Gauß wurde am 14. Mai 1954 in Salzburg geboren, studierte Germanistik und Geschichte (Mag. phil.) und lebt in Salzburg.
Er machte schon früh mit literarischen Essays auf sich aufmerksam, die er zunächst im "Wiener Tagebuch" veröffentlichte. Seit 1991 ist er Herausgeber und Chefredakteur der Literaturzeitschrift "Literatur und Kritik" im Otto Müller Verlag. Zudem schreibt Karl-Markus Gauß regelmäßig für deutschsprachige Tageszeitungen wie "Die Zeit", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Neue Zürcher Zeitung", "Salzburger Nachrichten" und "Die Presse".
Er hat mittlerweile über 20 Bücher geschrieben (von "Wann endet die Nacht. Über Albert Ehrenstein", 1986 bis "Lob der Sprache, Glück des Schreibens", 2014) und sich vor allem mit seinen Reise-Büchern einen Fixplatz in der österreichischen Literatur erarbeitet: Texte wie "Die Hundeesser von Svinia", "Die sterbenden Europäer" oder "Die versprengten Deutschen" gelten als exemplarisch für die Auseinandersetzung mit Minderheiten verschiedener Ethnien.
Als Literarhistoriker kommt Gauß das Verdienst zu, sich österreichischen Schriftstellern gewidmet zu haben, die zu Unrecht vergessen oder vertrieben wurden (z.B. der Lyriker Ernst Waldinger oder der aus dem Moskauer Exil zurückgekehrte Ernst Fischer).
Bedeutsam sind außerdem drei von Gauß herausgegebene Anthologien. Zwei davon tragen den Titel "Das Buch der Ränder". 1992 war es Prosa von 42 SchriftstellerInnen aus 15 Herkunftsländern Ost- und Südosteuropas, 1995 war es sich um Lyrik von 127 SchriftstellerInnen aus 18 Sprachen. Zwei Drittel der gesammelten Gedichte wurden zum ersten Mal in deutscher Übersetzung zugänglich gemacht.
Gauß widmet sich umfangreich dem Thema Europa in Vergangenheit und Gegenwart, seine Veränderungen durch die Europäische Union, die Frage, was mit der kulturellen und sprachlichen Vielfalt des Kontinents geschieht, über Probleme der Migration und über die Veränderungen der Vorstellungen von Heimat und Fremde.
Für sein literarisches Werk wurde ihm von der Universität Salzburg das Ehrendoktorat verliehen.
Auszeichnungen, Preise (Auswahl)#
- Internationaler Preis von Portoroz für Essayistik, 1987
- Staatsstipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, 1988
- Buchprämie des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, 1989 und 1994
- Literaturstipendium der Stadt Salzburg, 1992
- Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik, 1994
- Europäischer Essay-Preis "Charles Veillon", 1997
- Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch, 1998
- Ehrenpreis des österr. Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln, 2001
- René-Marcic-Preis Salzburg, 2004
- Manès-Sperber-Preis, 2005
- Georg-Dehio-Buchpreis des Deutschen Kulturforums östliches Europa, 2006
- Aufnahme als Mitglied in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, 2006
- Mitteleuropa-Preis des Forschungs- und Wissenschaftsministeriums, 2007
- Ehrendoktorat der Universität Salzburg, 2007
- Johann-Heinrich-Merck-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, 2010
- Österreichischer Kunstpreis für Literatur, 2013
- Internationaler Preis für Kunst und Kultur der Stadt Salzburg, 2013
Werke (Auswahl)#
- Wann endet die Nacht. Über Albert Ehrenstein. Ein Essay, 1986
- Marxismus. [Mit Ludwig Hartinger], 1988
- Tinte ist bitter. Literarische Porträts aus Barbaropa, 1988
- Der wohlwollende Despot. Über die Staats-Schattengewächse, 1989
- Die Vernichtung Mitteleuropas. Essays, 1991
- Das reiche Land der armen Leute. Literarische Wanderungen durch Galizien. [Mit Martin Pollack], 1992
- Tinte ist bitter. Die Vernichtung Mitteleuropas. Essays und Portraits. Zwei Bände, 1992
- Ritter, Tod und Teufel. Essay, 1994
- Herbert Breiter. Der Moment der Dauer, 1997
- Das Europäische Alphabet, 1997
- Ins unentdeckte Österreich. Nachrufe und Attacken, 1998
- Der Mann, der ins Gefrierfach wollte. Albumblätter, 1999
- Die sterbenden Europäer, 2001
- Mit mir, ohne mich. Ein Journal, 2002
- Ein Florilegium. [Mit Paul Flora], 2002
- Die unbekannten Europäer. [Mit Kurt Kaindl], 2002
- Von nah, von fern. Ein Jahresbuch, 2003
- Die Hundeesser von Svinia 2004
- Wirtshausgespräche in der Erweiterungszone, 2005
- Durch Österreich. Fotos: Inge Morath, 2005
- Die versprengten Deutschen. Unterwegs in Litauen, durch die Zips und am Schwarzen Meer, 2005
- Zu früh, zu spät. Zwei Jahre, 2007
- Die fröhlichen Untergeher von Roana. Unterwegs zu den Assyrern, Zimbern und Karaimen, 2009
- Die Donau hinab. Mit Zeichnungen von Christian Thanhäuser, 2009
- Im Wald der Metropolen, 2010
- Ruhm am Nachmittag, 2012
- Das Erste, was ich sah, 2013
- Lob der Sprache, Glück des Schreibens, 2014
Leseprobe#
aus Karl-Markus Gauß - "Zu früh, zu spät. Zwei Jahre."
(S. 59f)
Der Krieg begann in der Nacht auf den 20. März, pünktlich um drei Uhr 36. Der erste Soldat der amerikanischen Streitkräfte, der fiel, hieß José Antonio Gutierrez und stammte aus Guatemala. Er versprach sich von seinem Einsatz die amerikanische Staatsbürgerschaft, die er posthum auch erhielt.
Die erste Soldatin, die fiel, hieß Lori Piestewa, war eine Hopi-Indianerin und glaubte, nach ihrer Rückkehr einen Stipendienplatz an einem College zu erhalten.
Amerika ist eine europäische Erfindung, die Neue Welt wurde aus dem Baustoff europäischer Träume errichtet, dem Traum vom freien Menschen in einem freien Land, dessen Menschenrechte durch Fürstenwillkür und Tyrannei nicht angefochten werden. 300 Jahre lang waren aus Europa gerade die Mutigsten übers Meer gefahren, weil sie religiöse Unterdrückung, politische Despotie oder wirtschaftliche Not nicht mehr dulden wollten. Aber auch der staatsbegründende Sündenfall, mit dem der Kontinent in Besitz genommen wurde, der Völkermord an der indianischen Urbevölkerung und die Versklavung der ins Land verfrachteten Afrikaner, geschah gewissermaßen noch aus europäischem Geist: waren die Europäer doch überzeugt, daß es gottgefällig sei, sich die Welt untertan zu machen und jeden zu beseitigen, der ihnen dabei im Wege stand.
(Wer der erste Iraker war, der fiel?)
In der Nacht, bevor der Krieg begann, wurde in einem Gefängnis bei Terre Haute ein 53jähriger Mörder namens Louis Jones vom Leben zum Tode verbracht. Er hatte im ersten Golfkrieg tapfer im Irak gekämpft und in Friedenszeiten in den Staaten mit dem Töten nicht aufgehört. Die Kernspintomographie, die erweisen sollte, ob sein Gehirn geschädigt und er infolge des "Golfkriegssyndroms" nur vermindert schuldfähig sei, wurde vom Justizministerium aus
Amerika wurde von den Europäern zu dem gemacht, was es heute ist, aber auf dem Wege dorthin begannen die Ausgewanderten sich irgendwann nicht mehr als Europäer zu fühlen, sondern ihre Welt als spezifisch amerikanische zu begreifen. In den Europäern, die zu Hause geblieben waren, reiften unterdessen ambivalente Gefühle, die aus Bewunderung und Verachtung gemischt waren. Schon im 19. Jahrhundert war Amerika ein Vorbild und Schreckbild zugleich. Die einen identifizierten es mit dem Reichtum, zu dem es dort Europäer brachten, die in den statischen Gesellschaften der Alten Welt Armut und niedriger Stellung niemals hätten entrinnen können, und mit der Freiheit, die immerhin jedem garantiert war, der die europäische Hautfarbe hatte. Die anderen identifizierten es mit der seelenlosen Maschinerie des Kapitalismus, die in den USA ungleich effizienter ratterte als im feudal vermorschenden Europa, oder mit dem verwirrenden Durcheinander der Völker, aus dem Amerika entstand.
Vielen Europäern graute vor Amerika, weil dort Europäer - Iren und Engländer, Polen und Deutsche, Türken und Griechen - friedlich zusammenlebten, während sie in Europa noch vollends damit beschäftigt waren, sich periodisch aufeinander hetzen zu lassen und einander auf den Schlachtfeldern zu massakrieren. Was die Europäer des 19. Jahrhunderts vor allem störte, war also die Tatsache, daß es auf einem anderen Kontinent gelungen war, eine Art von europäischer Union zu bilden.
© 2007 Zsolnay Verlag, Wien.
LITERATURHAUS
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags
Weiterführendes#
Quellen#
- AEIOU
- Literaturhaus
- Hanser Verlage
- APA / OTS Presseaussendung
- Wiener Zeitung
Redaktion: I. Schinnerl