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Faszination Fußball#

Hanno Wisiak arbeitet für den KPÖ Gemeinderatsklub in Graz. Einen großen Teil seiner Freizeit verbringt er im Fußballstadion. Im Interview erzählt er unter anderem davon, was es für einen Fan bedeutet, wenn der eigene Verein verliert.#

Von

Katja Winkler (22. September 2013)


Ist es aufgrund der sozialen Schicht vorgegeben, für welchen Verein man die Daumen drückt? Bedingt. Früher war das sicher viel ausgeprägter. Grazer, die in der nobleren Gegend rund um den Hasnerplatz gewohnt haben, wo der GAK sein altes Stadion hatte, waren dort regional an den Verein gebunden. Während die Arbeiterklasse eigentlich eher in Jakomini und Gries gewohnt hat, und deshalb geografisch näher am SK Sturm oder am Grazer Sportklub war. Aber heutzutage ist das nicht mehr so.

Ist es aufgrund der politischen Einstellung vorgegeben, für welchen Verein man die Daumen drückt?

Eher auch aus einer geschichtlichen Tradition heraus. Ein aktuelles Beispiel: Rudi Edlinger – ehemaliger sozialdemokratischer Finanzminister – tritt bei Rapid als Präsident ab. Nachfolger ist jetzt ein ÖVPler. Das ist etwas, was aus der Tradition heraus vielleicht noch da ist, aber eigentlich verloren geht.

Im Stadion jubelt der Akademiker neben dem Arbeiter. Warum schafft Fußball es, soziale Barrieren zu überwinden?

Genau deshalb, weil der Sport im Mittelpunkt steht. Weil es um nichts anderes geht. In der Bar würde der Akademiker wahrscheinlich die Nase rümpfen, wenn er neben dem Arbeiter stehen würde. Aber am Sportplatz ist das nicht so, man sieht über Stände und Klassengrenzen hinweg. Fußball begeistert jeden gleichermaßen

Entweder man ist Hardcore-Fußball Fan, oder man interessiert sich überhaupt nicht für die Sportart - warum gibt es nichts dazwischen?

So eng würde ich das nicht sehen. Natürlich ist der Fußballsport wie Oliven – entweder man mag ihn oder man mag ihn nicht. Aber unter fußballaffinen Menschen gibt’s schon auch Abstufungen. Es gibt jene, die zu jedem Spiel, bei jedem Wetter, an jeden Ort pilgern und solche, die sich die Spiele halt im Fernsehen ansehen. Prinzipiell ist das Interesse wahrscheinlich milieu- und sozialisationsbedingt. Im Ennstal interessiert man sich oft mehr für den Skisport, weil der dort viel präsenter ist.

Wie lässt sich die Gruppendynamik der Fans erklären?

Man geht ja schon in der Erwartung hin, nicht einfach nur zuzusehen als wäre es eine TV-Übertragung, sondern will Freunde treffen, soziale Kontakte pflegen, ein (paar) Bier trinken, gemeinsam singen und schreien, jubeln und fluchen, feiern und leiden. Das ist eine kollektive Erfahrung, die gewissermaßen auch ein kollektives Gedächtnis nach sich zieht. Das Individuum geht in der Masse auf, empfindet das aber nicht als etwas Degradierendes, sondern Erhöhendes. Die Kehrseite des Ganzen ist Gewalt, die auch exzessive Formen annehmen kann. Trägt Fußball auch zur eigenen Identitätsbildung bei?

Verein und individuelle Persönlichkeit interagieren nicht nur, sondern bedingen einander. Würde es den Grazer Sport Club nicht geben, die Spiele jedes Wochenende, den so entstandenen Freundeskreis usw., wäre ich wahrscheinlich ein ganz anderer Mensch. Umgekehrt lebt ja auch der Verein von seinen Fans: die Spieler wissen, dass sie ein Publikum haben, das mitfiebert. Warum identifizieren sich die Fans mit ihrem Verein?

Der Verein ist gewissermaßen fixer Bestandteil und Bezugspunkt im Leben, vielleicht Teil von einem selbst. Wie in einer Ehe geht man gemeinsam durch gute und (meistens) schlechte Zeiten, verzweifelt bisweilen, aber kann dennoch nicht loslassen. Aber warum? Wahrscheinlich braucht es auch keinen Grund. Es ist einfach so.

Welche Katastrophe ist es für einen Fan, wenn der eigene Verein verliert oder absteigt?

Das ist wie ein Todesfall in der Familie. Das ist entsetzlich. Da gibt es Tränen, Frustrationen. Es kann auch Ausschreitungen geben. Der Platzsturm vor einem Jahr bei Rapid Wien war ein Beispiel dafür. Die Fans waren nach der miserablen Leistung über Monate hinweg verzweifelt und plötzlich ist einer von ihnen auf das Spielfeld gerannt und hat gesagt: „Das schau ich mir nicht länger an.“ Und auf ein Mal sind hunderte Fans mitgerannt. Da hat sich eine Gruppendynamik entwickelt. Man empfindet ein verlorenes Match oder einen Abstieg als persönliche Kränkung, als Angriff auf einen. Denn man geht ja Woche für Woche hin, zahlt Eintritt, fährt zum Auswärtsspiel , muss Zugticket oder Benzin bezahlen. Man steckt viel Geld und Herzblut hinein. Das empfindet man dann schon als persönliche Kränkung, wenn so etwas passiert.

Ist das dann auch ein Grund dafür, dass man dem Verein den Rücken kehrt?

Nein. So gekränkt kann man als Fußballfan nicht sein. Ein Kabarettist hat gesagt: „Männer sind vielleicht Frauen untreu, aber sicher nie ihrem Fußballverein.“ Da gibt es also kein Wechseln zwischen den Vereinen. Das wird es nie geben. Das ist absurd.

Trotz großer geografischer Distanzen begeistern sich österreichische Fans zum Beispiel für den FC Barcelona. Warum gibt es so viele Fans von ausländischen Vereinen, obwohl die geografische Distanz so groß ist?

Die Begeisterung für den internationalen Fußball liegt im Wesentlichen daran, dass diese Vereine viel besser spielen, als die Österreicher. Die Österreichische Fußball-Bundesliga ist nicht vergleichbar mit Spielen in Spanien, England, Deutschland oder Italien. Aber nachdem Fußball eine Sportart ist, in der immer eine Mannschaft gegen die andere antritt, liegt es in der Natur der Sache, dass man sich für einen von den beiden entscheidet. Da Vereine wie der FC Barcelona oder der AC Milan diese Strahlkraft haben, liegt es auch nahe, dass man sich an sie bindet. Es entscheidet sich aber niemand für einen FC Alicante in der vierten Spanischen Liga, den niemand kennt und kauft sich einen Schal, ein T-Shirt und eine Jacke im Winter.

Ein anderes Beispiel: Ein politisch sehr auf der rechten Seite Stehender sucht sich in Deutschland sicher nicht den FC St. Pauli aus sondern eher Dynamo Dresden. Und ein Linker wiederum wird sich für den FC St. Pauli und die antirassistische Grundhaltung begeistern können.

In Deutschland gibt es also eine politisch orientierte Fankultur?

Ja. Aber nicht von den Vereinen an sich, sondern von Seiten der Fangruppierungen. Das ist in Österreich nicht so schlimm, gibt es aber auch. Es ist nicht zwingend so, dass man sich zwischen links oder rechts entscheidet, es kann aber sein. In Deutschland ist es öfter so, dass man weiß, ob die Fangruppierungen politisch links oder rechts orientiert sind In Österreich hat es in den 1980er Jahren von Gottfried Küssel ganz massive Versuche gegeben, die Rapid-Fanszene zu unterwandern und daraus Leute für die „Volkstreue außerparlamentarische Opposition“ zu gewinnen. Das ist damals durch das Aufkommen der Ultras Rapid unterbunden worden.

Hilft Fußball, Integration zu fördern? Auf jeden Fall. Wenn man zu einem Verein in Graz geht und sich eine junge Mannschaft anschaut: Die sind von Hautfarben und Sprachen total vermischt. Und gerade die kleinen Vereine geben sich da Mühe. Im Fußball braucht man nicht mehr außer ein Paar Schuhe, da sind alle gleich. Und Sport verbindet.

Wird der Besuch im Stadion immer mehr zum Luxus?

Ja, in Österreich ist es noch nicht so schlimm. Aber in England zum Beispiel ist die Unterschicht vom Fußball praktisch völlig ausgeschlossen. Außer es sind solche Fußball-Narren, die wirklich viel zusammensparen. In Österreich gehen die Preise schon in die Höhe, aber nicht so, dass es nicht mehr leistbar wäre.

Ist die Kommerzialisierung nur ein Phänomen der obersten Spielklassen ist, oder zieht sie sich auch durch die unteren?

Die Kommerzialisierung zieht sich ganz massiv nach unten. Das beginnt bei den Kindern. Je weiter oben die Spielerklasse, desto horrender werden die Summen. Da merkt man den ganzen Irrsinn der Durchkapitalisierung am ehesten. Aber es beginnt ganz unten. Beim KC Sportklub sind zwei Drittel der Spieler aus der letzten Saison weg, die sind bei anderen Vereinen.

Welches Ego spielt – vor allem bei Präsidenten mit, dass sie mit Ihrem Vermögen für einen Verein haften?

Das ist, glaube ich, fast schon ein neurotisches Habenwollen von Anerkennung. Das drastischste Beispiel ist ja Didi Mateschitz mit Red Bull Salzburg. Der will da ja nur sein Dosengetränk verkaufen. Dem ordnet er alles unter. Dann gibt es natürlich Leute, die mit ihrem Privatgeld haften, weil sie selbst so fußballbegeistert sind. Aber die verschulden sich meistens nicht so horrend. Das ist dann meistens ein Mittelding aus Anerkennungs- und Dankessucht und natürlich Marketinginteresse für eigene Produkte.


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