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"Ich würde an einem vorsichtigen Optimismus festhalten"#

Michael Wiesmüller ist im Klimaministerium unter anderem für IKT zuständig. Im Interview erklärt er, warum die Digitalisierung aus seiner Sicht immer noch großes Potenzial für Klimaschutz und Nachhaltigkeit birgt.#


Von der Wiener Zeitung (26. Februar 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Helena Zottmann


Michael Wiesmüller, Abteilungsleiter IKT und Nano im Klimaministerium
Michael Wiesmüller, Abteilungsleiter IKT und Nano im Klimaministerium, will die Reboundeffekte und den Energiemix von Netzwerken und Datenzentren ins Zentrum der Anstrengungen um eine grüne IT stellen. Es gäbe außerdem genug Möglichkeiten, digitale Technologien für eine klimaverträgliche Wirtschaft einzusetzen. © Christoph Liebentritt

"Wiener Zeitung": Herr Wiesmüller, wie passen Digitalisierung und Klimawandel zusammen?

Michael Wiesmüller: Das ist eine wirklich spannende Frage, vor allem auch deswegen, weil man über die Tragweite dieser Frage gerade erst begonnen hat zu diskutieren. In den letzten Jahren war die Digitalisierung in vielen Ausformungen, wie Industrie 4.0, Internet der Dinge, Blockchain oder künstliche Intelligenz, das große Leitmotiv für Innovation und Transformation in Europa. Nun hat der Klimawandel eine Dringlichkeit bekommen und die Versprechen der Digitalisierung gewissermaßen herausgefordert. Auf europäischer Ebene wird man sehen, ob und in welchen Aspekten der Green Deal diese Fragen aufgreifen wird. Auch in Österreich beginnen wir intensiver darüber nachzudenken, wie diese beiden Dimensionen zusammen gedacht werden können.

Welches Potenzial haben digitale Innovationen hinsichtlich des Klimaschutzes?

Digitale Technologien waren in den letzten Jahrzehnten sicher das mächtigste Tool in den Händen der Menschheit, um Energieeinsparungen, Energieeffizienz – also "more for less" – in unzähligen Kontexten zu erzielen: im Verkehr, in der Industrie und der Logistik, im Wohnbau, in den Kommunikationsnetzen, im Handel, im Agrarsektor oder in der Energieerzeugung selbst. Und vergessen wir nicht, dass digitale Technologien, z. B. Umweltsensoren, Satelliten oder rechenintensive Wetter- und Klimamodelle Grundlage dafür sind, den Klimawandel in seiner Komplexität überhaupt erst zu verstehen. Wir nennen das Tech-for-Green oder IT-for-Green. Eines von tausend Beispielen: Mit intelligenter Steuerungstechnik, einem kleinen Stück Software, können die Gasbrenner eines Stoßofens in der Stahlindustrie so optimiert werden, dass sie neun Prozent der benötigten Energie einsparen, was in der Stahlindustrie ein Universum ist und gewaltige Reduktionen bei den CO2-Emissionen bringt. Digitale Technologien, und das ist die Kehrseite, sind aber auch selbst Energieverbraucher, und zwar mit einem beträchtlich steigenden Hunger. Vieles, aber sicher nicht alles an diesem Hunger kann durch gutes Engineering oder effiziente Algorithmen abgefedert werden. Die Kapazitäten der Rechenzentren beispielsweise haben sich global in den letzten sieben Jahren verdreifacht, der Energieverbrauch ist aber laut der Internationalen Energieagentur nur um drei Prozent gestiegen. In den letzten Jahren wurde auch viel daran geforscht, wie man digitale Systeme, die eine Rolle im Internet der Dinge spielen, durch Energiegewinnung aus der Umwelt – Energy Harvesting – vollständig energieautark macht. Das nennen wir Green IT.

Energieeffizientere Geräte führen zu einer gesteigerten Nutzung und zu einem steigenden Energiebedarf. Wie könnte man diesen Rebound-Effekten entgegenwirken?

Das ist eine sehr gute Beobachtung und zugleich eine hochkomplexe Angelegenheit, die viele Bereiche betrifft, zum Beispiel auch die Elektrifizierung der Mobilität. Ich würde sagen, eine Grundvoraussetzung ist ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen IT-for-Green-Lösungen und dem dafür erforderlichen Energieaufwand, also wieviel Green IT brauchen wir für gutes IT-for-Green. Ich glaube, wir sind beim Verständnis für solche komplexen Energiebilanzen erst am Anfang. Technologisch könnte vielleicht der Quantencomputer eine Antwort sein. Aber vielleicht ist diese Frage nach Reboundeffekten besser mit sozialen Innovationen wie ECOSIA (Anm.: Suchmaschine, die Werbeeinnahmen verwendet, um Bäume zu pflanzen) als mit technischen Innovationen in den Griff zu bekommen.

Auch das Smart Home wird den Energiebedarf trotz steigender Effizienz erhöhen. Wo zieht man die Linie zwischen IT-Luxus, der den Klimawandel vorantreibt, und IT-for-Green, die den Klimawandel eindämmen soll?

Sie haben recht: Es gibt nach wie vor viel IT-Luxus da draußen, digitalisierte Lifestyle-Konsumprodukte, die sich um Fragen der Energieeffizienz überhaupt nicht scheren. Die Frage ist halt, wie man das in einer Gesamtbilanz abwägt. Die Studie "Digitalisierung & Energie" der IEA aus dem Jahr 2017 versucht abzuschätzen, was eine gute Klima-Energie-Wärmesteuerung in einem Haushalt an Einsparungen bringt und wie das durch Energieverbrauch durch andere Geräte aufgewogen wird. Diese Aspekte müssen beim Smart Home ganz klar mitgedacht werden. Die Effizienzgewinne, die wir durch die Technologie haben, dürfen wir durch Reboundeffekte nicht verlieren.

Die großen Serverfarmen sind riesige Energiefresser und werden vor allem in den USA und in China weitgehend mit Strom aus Kohlekraft und Fracking-Gas betrieben. Wie nachhaltig ist die Branche?

Der Energieträger dieser Industrie ist die Elektrizität – also muss man gerade hier dafür sorgen, dass die benötigte Energie nachhaltig gewonnen wird. Auf die Frage, wie US-amerikanische Serverzentren betrieben werden, haben wir in Europa wenig Einfluss. Allerdings haben einige große globale IT-Konzerne schon begonnen, nachhaltige Energieformen für ihre Rechenzentren zu verwenden. Google hat jüngst angekündigt, auch selbst in nachhaltige Energieprojekte massiv einsteigen zu wollen. Für Österreich, das so viel Erfahrung mit nachhaltiger Energiegewinnung hat, könnte das eine tolle Chance sein: Warum also nicht grüne Rechenzentren direkt an Wasserkraftwerken errichten?

Der meiste Internet-Traffic läuft über die USA. Wird es in der Zukunft mehr Rechenzentren in Europa geben?

Tatsächlich hat die Verfügbarkeit, der Zugang zu und der Einfluss auf digitale Infrastrukturen – hier vor allem auf Daten und Rechenkapazitäten – zunehmend eine geopolitische Bedeutung. Es ist daher sinnvoll, dass sich Europa diesen Souveränitätsfragen auf technologischer Ebene sehr ernsthaft stellt. Die EU-Kommission hat daher jüngst ein Programm aufgesetzt, Euro-HPC, das sich dem Aufbau von Hochleistungsrechenzentren in ganz Europa widmet und an dem auch Österreich teilnimmt.

Wo wird es in der IT in den nächsten fünf bis zehn Jahren hingehen?

Grundsätzlich würde ich an einem vorsichtigen Optimismus festhalten, dass Tech, auch Green Tech, uns wirklich substantiell helfen kann, den Klimawandel zu bekämpfen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in Europa und in Österreich ein riesiges Arsenal an nachhaltigen Technologien haben, mit denen wir die Welt grüner gestalten können. Wir müssen nur besser verstehen, wie wir diese Technologien am effizientesten einsetzen.

Michael Wiesmüller ist leitet die Abteilung III/i5 Schlüsseltechnologien, Produktion, IKT und Nano im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK).

Digitalisierung kann auch für die Landwirtschaft nützlich sein, siehe IIASA-Options 2018/209 .#

Digitalisierung kann auch für Klimaschutz nützlich sein, siehe JOANNOVUM JUNI 2021 .#