Flächenverbrauch: Mangelware Boden#
Täglich werden zwölf Hektar Boden in Österreich zugepflastert - eine Fläche von 16 Fußballfeldern. Irgendwann ist Schluss. Wie lässt sich der Flächenfraß eindämmen?#
Von der Wiener Zeitung (23. Februar 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt
Von
Michael Ortner
Sie sind hungrig. Ihr Appetit ist zügellos. Sie fressen sich in die Landschaft. Menschen brauchen Platz. Zum Autofahren, Einkaufen, Arbeiten, Parken, Leben und Sterben. Häuser müssen gebaut, Straßen betoniert, Schienen verlegt, Kraftwerke errichtet, Deponien und Friedhöfe angelegt werden.
An der Natur geht dies nicht spurlos vorüber. Wiesen verwandeln sich in Betonwüsten, Äcker verschwinden unter Asphalt. Österreich ist Europameister im Flächenverbrauch. Jeden Tag gehen durchschnittlich zwölf Hektar wertvolle Fläche verloren. 16 Fußballfelder Natur. In den vergangenen 15 Jahren wurde in Österreich eine Fläche verbaut, in die Wien zweieinhalb Mal hineinpassen würde.
Zwar ist die Zahl in den vergangenen Jahren gesunken – 2009 lag er noch auf einem Höchststand von mehr als 27 Hektar pro Tag. Doch der Flächenverbrauch liegt mit zwölf Hektar pro Tag immer noch weit über den ursprünglichen Nachhaltigkeitszielen von 2,5 Hektar pro Tag. Eine Marke, die auch die türkis-grüne Regierung bis 2030 erreichen will.
Zersiedelung hat historische Ursachen#
Boden ist kostbar, eine endliche Ressource. 37 Prozent der Fläche Österreichs sind zum Besiedeln geeignet. 62 Prozent sind alpines Hochgebirge. Gerade in den westlichen Bundesländern Vorarlberg und Tirol ist Raum knapp.
Familien träumen vom Eigenheim im Grünen. Doch die Träume brauchen viel Platz. Anstelle von kompakten Siedlungen findet man zersiedelte Landschaften. Zum Haus gehört eine Garage, mit Auto lebt es sich unabhängig. Dafür müssen allerdings Straßen gebaut und Leitungen verlegt werden. Die Kosten für die Infrastruktur sind hoch. Das heimische Straßennetz ist mit 15 Meter pro Kopf eines der dichtesten in Europa. Je weiter ein Haus in die Peripherie gebaut ist, umso weiter die Wege, die zurückgelegt werden müssen. Der Verkehr nimmt zu.
Die Ursachen für die zersiedelten Strukturen liegen weit zurück. Als in den 1960er-Jahren das Auto für breite Massen verfügbar wurde, begannen die Menschen überall zu bauen. Raumordnungsgesetze gab es damals noch nicht. Der Arbeitsort musste nicht mehr zwingend mit dem Wohnort ident sein. Aus den Zentren zogen viele in die Peripherie. Distanz statt Dichte. "Bis heute versucht man verzweifelt, die zersiedelte Struktur von damals zu schließen", sagt die Raumplanerin Sibylla Zech. Darum sei eine flächensparende Bauweise in Österreich heute so gering ausgeprägt.
Malerische Berge, saftig grüne Wiesen, menschenleere Seeufer: Das Bild, dass die Werbung von Österreich vermittelt, hält der Realität nicht stand. Natürlich gibt es diese Bilderbuchlandschaften, wegen der uns Touristen beneiden. An den seelenlosen Baumärkten, klobigen Möbelhäusern und gigantischen Shopping Malls führt dennoch kein Weg vorbei.
Arten und Lebensräume bedroht#
Nicht nur das Auge leidet. Auch das Ökosystem nimmt schweren Schaden. Wenn Flächen versiegelt werden, kann der Boden kein Wasser mehr aufnehmen. Gerade in hochwassergefährdeten Gebieten ein folgenreicher Fehler. Boden speichert außerdem Kohlenstoffdioxid, er filtert Schadstoffe. Er ist Lebensraum für Tiere und Insekten. Der Landwirtschaft geht fruchtbares Ackerland verloren. Die starke Verbauung bedroht auch die Biodiversität. "Wir haben einen starken Rückgang an Arten. Wertvolle Lebensräume wie Magerwiesen und Feuchtgrünland gehen verloren", sagt der Biologe Franz Essl von der Universität Wien. "Machen wir beim Flächenverbrauch weiter wie bisher, entwerten wir unsere Landschaft."
Die Zersiedelung hat einen weiteren negativen Effekt. Die Ortskerne sterben aus. Geschäfte schließen, Wohnraum steht leer. Dorfmitten werden zunehmend unattraktiv. Der Rand hingegen wächst. Dort ein Kreisverkehr, hier ein neuer Supermarkt. Und wieder ein Parkplatz. Pro Kopf stehen in Österreich 1,8 Quadratmeter Supermarktfläche zur Verfügung, ein EU-Spitzenwert. Raumplaner bezeichnen diese Dörfer als Donut-Dörfer. Viel lieber würden sie Krapfen-Dörfer sehen, deren belebter Kern die Marmelade ist.
Raumordnungspolitik in Österreich ist komplex. Verwaltungsrechtler sprechen von einer Querschnittsmaterie. So ist der Bund für das höherrangige Straßen- und Schienennetz verantwortlich, die Länder geben Raumordnungsprogramme vor. Wie eine Fläche gewidmet und schließlich bebaut wird, entscheidet allerdings jede Gemeinde für sich selbst. Das Bundesland kann eine Widmung nur genehmigen oder ablehnen, aber nicht ändern.
Macht der Bürgermeister#
Und hier offenbart sich die Schwäche der Raumordnung. Die Macht, billiges Ackerland in wertvolles Bauland zu verwandeln, liegt in den Händen der Bürgermeister. Sie haben die Hoheit über die Flächenwidmung. Die Häuselbauer freut’s, wenn ihre Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese abgesegnet werden. Es lastet viel Druck auf den Gemeindechefs. Denn sie haben die Verantwortung, dass die Gemeinde prosperiert. Gelingt es ihnen nicht, bekommen sie bei der nächsten Wahl ihren Denkzettel. Flächen nicht wunschgemäß umzuwidmen gilt als unpopuläre Maßnahme. Ziel ist es, Menschen und Betriebe anzulocken. Denn die einen bringen Zuwendungen aus dem Finanzausgleich: Je mehr Einwohner, desto mehr Geld gibt es. Die anderen schaffen Arbeitsplätze und zahlen Kommunalsteuer. Nötig für beide sind entsprechende Flächen.
Raumplaner Gernot Stöglehner
Raumplaner, Architekten und Biologen warnen schon lange vor dem verschwenderischen Umgang mit dem Boden. "Es fehlt an Bewusstsein, dass wesentlich mehr Grund und Boden verloren geht, als wir uns leisten können", sagt Renate Hammer von der Plattform Baukulturpolitik. "Alles, was wir bauen, bauen wir höchst ineffizient, was den Flächenkonsum anbelangt. Fläche wird vielerorts nicht als knappes Gut wahrgenommen", kritisiert Gernot Stöglehner, Leiter des Instituts für Raumplanung an der Universität für Bodenkultur in Wien.
An Lösungsvorschlägen mangelt es nicht. Statt neue Flächen zu erschließen, könnte leerstehender Bestand genutzt werden. Hammer sieht darin allerdings eine große Herausforderung. "Wenn ich Baugrund an der Peripherie nahezu geschenkt bekomme und ein Fertigteilhaus um 200.000 Euro, warum soll ich dann ein altes Haus, das nicht ‚meines‘ ist, revitalisieren?" Viele würden ohnehin nicht gerne in das abgewohnte Haus der Eltern ziehen.
Massive Leerstände, verödete Ortskerne, eine immer stärker zersiedelte Landschaft. Wird Österreich also in Zukunft zubetoniert sein? Werden Wiesen und Felder knapp? Und wie verträgt sich das alles überhaupt mit dem Klimawandel?
Der Biologe Franz Essl hat 2018 im Auftrag des Umweltbundesamtes eine Studie erstellt, die das Konfliktpotenzial zwischen Baulandwidmung und wertvollen Lebensräumen in Österreich untersucht. Vier Regionen wurden exemplarisch unter die Lupe genommen und verschiedene Modelle entworfen, wie sich die Baulandnutzung entwickelt. "In manchen Regionen gibt es Szenarien, die sich nicht mehr lange fortschreiben lassen. Einfach aus dem Grund, weil die Fläche irgendwann aus ist", sagt Essl. Eine dieser Regionen ist Wiener Neustadt. Die 50.000-Einwohnerstadt hat eine Fläche von 6100 Hektar. 40 Prozent der Stadtfläche sind verbaut. Wächst die Stadt weiter wie bisher, wird das gesamte potenziell bebaubare Land im Stadtgebiet schon vor 2050 verbaut sein, heißt es in der Studie. Freie Wiesen und Äcker wird man dann vergeblich suchen.
Bausperre in Wiener Neustadt#
Das Bedrohungsszenario kann Bürgermeister Klaus Schneeberger (ÖVP) nicht nachvollziehen. "Von den 60 Quadratkilometern Fläche sind 36 Quadratkilometer Grünland. Das Verhältnis ist ausgewogen", sagt Schneeberger. Dass der Stadtkern von Wiener Neustadt relativ stark verbaut sei, liege in der Natur einer 50.000-Einwohnerstadt, so der Bürgermeister. Die Stadt hat mit der Beteiligung von Bürgern einen Stadtentwicklungsplan initiiert. Bis Ende des Jahres sollen unter anderem Konzepte für räumliche Entwicklung und Freiräume entstehen.
Klaus Schneeberger, Bürgermeister Wiener Neustadt (ÖVP)
Um dem Flächenverbrauch Herr zu werden, hat Schneeberger im Februar 2019 eine zweijährige Bausperre im gesamten Stadtgebiet erlassen. Sie gilt für neue Projekte mit mehr als zehn Wohneinheiten. Rückwidmungen kommen für Schneeberger nicht in Frage: "Das mache ich sicher nicht. Denn das gleicht einer Enteignung und ich kann die Menschen nicht entschädigen", sagt Schneeberger.
Flächen werden auch in Vorarlberg knapp. Ein Verein versucht das zu verhindern – mit unorthodoxen Methoden. Die rund 300 Mitglieder kaufen Flächen und halten sie dauerhaft frei. "Durch diese Aktionen zeigen wir, dass beim Bodenmarkt etwas im Argen liegt", sagt Martin Strele, Obmann des Vereins Bodenfreiheit. In Vorarlberg wächst die Siedlungsfläche stärker als die Bevölkerung. Laut Strele werden im Ländle täglich 1300 Quadratmeter in Bauland umgewidmet. "Es gibt viele gewidmete Bauflächen, die nicht bebaut sind", sagt Strele. "Wir könnten doppelt so viele Menschen in Vorarlberg unterbringen, ohne einen Quadratmeter neu umzuwidmen", beklagt er. Deshalb wollten er und ein paar Mistreiter den Bodenmarkt aufmischen. Sie haben etwa eine Fläche erworben, die 40 Meter lang und 1,20 Meter breit ist. Damit wurde verhindert, dass ein Riesengrundstück sich nicht erschließen lässt. In Lochau am Bodensee kauften die Aktivisten ein Stück Grund, um die Sicht auf den See zu erhalten.
Dank juristischer Raffinesse ist ein Erwerb von Flächen manchmal gar nicht nötig. Auf dem Feld eines Gemüsebauern nahe Ludesch hat der Verein einen Stein aufgestellt. Er markiert eine "Grünzone". 30.000 Quadratmeter begehrtes Land. In unmittelbarer Nähe wollte der Getränkehersteller Rauch gemeinsam mit Red Bull die Produktionsstätten erweitern. Die Ludescher Bevölkerung stimmte in einem Volksentscheid dagegen.
Der Verein hat beim Bauern gewisse Rechte, wie etwa das Gehrecht, erworben und ins Grundbuch eintragen lassen. "Unser Vorstand darf kreuz und quer über die drei Hektar laufen, weil in unseren Statuten ‚Freiflächen erleben‘ steht", sagt Strele. Das Eigentum bleibt beim Bauern. Durch die eingetragenen Recht bleibt die Fläche aber geschützt: Für die nächsten 50 Jahre darf nicht darauf gebaut werden. Erlaubt ist nur die landwirtschaftliche Nutzung.
Aktionen mit Symbolcharakter#
Bei reinen Interventionen belässt es der Verein nicht. Man entwirft Nutzungskonzepte, um etwa die Biodiversität zu fördern: Wiesenblumen, Bienenzucht, geöffnete Bäche. Die Mittel, um die Flächen zu kaufen, kommen aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. "Wir bekommen die Flächen nur, weil die Leute an unsverkaufen wollen", sagt Strele. Der Marktwert würde um ein Vielfaches höherliegen. Den Aktivisten ist klar, dass es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Ihre Aktionen haben vor allem Symbolcharakter.
Martin Strele, Obmann Verein Bodenfreiheit
Von der Politik ist Strele enttäuscht. Sie würde nichts gegen den Flächenfraß unternehmen. 1977 hat die Vorarlberger Landesregierung bemerkt, dass die Gemeinden zu stark in die Fläche wachsen. Eine Landesgrünzonenverordnung wurde erlassen. "Im Rheintal und Walgau gibt es seither großzügige Freiflächen. Dort ist die Widmung von Bauflächen verboten", sagt Strele. Nun sei diese Verordnung aber unter Beschuss. Betriebe würden darauf drängen, das kleine Flächenteile herausgelöst werden. Aus geschütztem Gebiet würde so per Verordnung teures Bauland werden. Raumplanung und Wirtschaft liegen im Ländle in einem Ressort. Der Verein fordert vehement eine Trennung. Der Druck aus der Wirtschaft sei zu groß, meint Strele. "Das sind politische Entscheidungen, die man sich nicht zu fällen traut."
Ulrike Böker kennt sich aus mit politischen Entscheidungen. Die 63-Jährige war von 2003 bis 2015 Bürgermeisterin in Ottensheim, einer 4800 Einwohner zählenden Gemeinde in Oberösterreich. Eine kleine Gemeinde, wie es sie zu Hunderten in Österreich gibt – mit denselben Problemen. An der Peripherie eröffnen Supermärkte, die Geschäfte im Ortskern sperren zu. Bauland ist rar.
Ort wieder Leben eingehaucht#
Die Gemeinde wollte dagegen etwas unternehmen. Ein Förderprogramm des Landes kam gerade Recht. Thema: Flächensparende Baulandentwicklung. "Wir müssen nicht immer auf der grünen Wiese bauen, sondern können leerstehende Flächen nutzen", sagt Böker, die heute für die Grünen im oberösterreichischen Landtag sitzt. Im historischen Ortskern wurden Nischengeschäfte angesiedelt, Lücken im Leerstand wurden gefüllt. Zwischennutzung, Wochenmarkt, ein Greißler mit regionalen Produkten: Mit diesen Maßnahmen hauchten sie ihrem Ort wieder Leben ein.
Ottensheim liegt topographisch günstig. Die Landeshauptstadt Linz ist nur zehn Kilometer entfernt, das Mühlviertel erstreckt sich vor der Haustür. Ottensheim wächst. Der Ort lockt viele junge Menschen an, die wieder am Land wohnen wollen.
Die Gemeinde hat deshalb versucht, den Wohnbau zu verdichten und Einfamilienhäuser zurückzudrängen. "Man muss die Dinge begreifbar machen. Das gelingt gut mit Kunst und Kultur, Aufklärung und Bewusstseinsbildung", sagt Böker. Die Gemeindefläche ist klein. Siedlungsgrenzen wurden gezogen. Ein langfristiger Grünzonenplan verankert. Eine Kulturlandschaft mit alten Obstbäumen wurde revitalisiert. Ein Verein wurde gegründet, um die eigenen Produkte wie Schnaps, Säfte und Schokolade zu vermarkten. Die Gemeinde "rettete" dadurch Grünfläche, inzwischen ist es ein geschütztes Natura-2000-Gebiet.
Die Anstrengungen lohnten sich. Ottensheim wurde mit zahlreichen Preisen für Umwelt, Mobilität und Architektur ausgezeichnet. Unter anderem mit dem Baukulturpreis 2012. Der "Verein Landluft" ehrt damit Gemeinden, die nachhaltige Projekte fördern.
Ottensheim (OÖ) aus der Vogelperspektive. - © Kurt Bayer Ottensheim (OÖ) aus der Vogelperspektive. - © Kurt Bayer
Eine reine Erfolgsstory kann Böker jedoch nicht vorweisen. Geschäfte gingen wieder ein, weil sie zu wenig frequentiert wurden. Ein Wirt sperrte zu. Es gibt nach wie vor Supermärkte am Ortsrand und auch Einfamilienhaussiedlungen. "Man muss das Ziel konsequent verfolgen", sagt Böker. Als Bürgermeisterin hat sie sich nicht immer Freunde gemacht. Befangenheit sei ein häufiges Problem, erzählt sie. Einem guten Freund habe sie die Baugenehmigung nicht erteilt, weil er eine Garage in das Erdgeschoss bauen wollte. "Das ist der Tod für den Ortskern", sagt die Politikerin. Die Freundschaft ging daran kaputt. "Das Gemeinwohl muss im Vordergrund stehen, aber es wirklich nicht immer einfach für den Bürgermeister."
In den Rathäusern der Gemeinden laufen alle Fäden zusammen. Die einen wollen sich vom Land nicht dreinreden lassen, wie sie über ihre Gemeindefläche verfügen. Die anderen wünschen sich stattdessen mehr Rückhalt. Wie soll man also künftig Raumplanung und Föderalismus unter einen Hut bringen? Eine Möglichkeit wäre, die Flächenwidmung eine Ebene höher zu heben. In Bayern etwa ist sie auf Bezirksebene geregelt. "Ein Ansatz, der es den Bürgermeistern ermöglicht, sich auf verbindliche Verordnungen in Sachen Flächensparsamkeit zu berufen, würde hier helfen.", sagt Hammer.
Die Raumplanerin Sybilla Zech ist der Ansicht, dass Gemeinden stärker als Player am Grundstücksmarkt auftreten sollten. So könnten sie Flächen aufkaufen und mehr Grünflächen schützen. Doch dazu muss die Gemeindekasse ausreichend befüllt sein.
Biologe Franz Essl
Raumplaner Stöglehner plädiert für mehr Kooperation statt Konkurrenz, wenn es um die Ansiedelung von Betrieben geht. Im oberösterreichischen Mühlviertel arbeiten zum Beispiel 27 Gemeinden zusammen. Wollen sich neue Betriebe ansiedeln, ziehen sie an einem Strang. "Die Standortgemeinden bekommen einen Aufschlag, aber sie teilen sich die Investitionen und Einnahmen", sagt Stöglehner. Wichtig sei, dass Standorte mit regional hoher Standortgunst ausgewählt werden. Oberösterreich hat bereits auf die zunehmende Zersiedelung reagiert. Derzeit befindet sich eine Novelle des Raumplanungsgesetzes in Begutachtung. Sie sieht etwa vor, dass neue Handelsflächen in Ortszentren angesiedelt werden und künftig mehrgeschossig sein sollen.
In Niederösterreich gibt es den Ansatz einer Zentrumszone. Große Handelsflächen dürfen nur dort gebaut werden, wo eine Zentrumszone im Flächenwidmungsplan vorgesehen ist. Dafür gibt es bestimmte Kriterien, wie etwa eine Mindestgröße der Ortschaft. Stöglehner fordert außerdem, dass Rücklagen für Einkaufszentren gebildet werden müssen. "Die Bauträger müssen entsprechende Summen für den Rückbau oder die Umnutzung zurücklegen."
Regierung will Flächenverbrauch drastisch reduzieren#
Die Regierung hat dem Thema ein Unterkapitel im Regierungsprogramm gewidmet. Es sieht eine "österreichweite Bodenschutzstrategie für sparsamen Flächenverbrauch" vor. Bis 2030 sollen der tägliche Verbrauch auf 2,5 Hektar reduziert und gleichzeitig Flächen entsiegelt werden. "So sollen bereits bestehende Siedlungen mit Anbindung an den öffentlichen Verkehr verdichtet werden, anstatt neue Siedlungen auf die grüne Wiese zu setzen", heißt es aus dem Klimaschutzministerium. Doch Raumplanung ist Ländersache. Man setze auf "partnerschaftlichen Dialog mit den Ländern und Gemeinden", heißt es weiter. Experten sehen die Vorhaben der Regierung ambitioniert, aber machbar.
Dass Österreich in 30 Jahren zubetoniert sein wird, glaubt der Raumplaner nicht. Doch künftig werde der Boden noch mehr beansprucht. Neben Straßen, Häusern, Gewerbe und Industrie muss auch Landschaft für Windräder, Kraftwerke und Photovoltaikanlagen geopfert werden. Denn bis 2030 will die Regierung nur noch sauberen Strom. Das hat seinen Preis. "Der Druck auf die verbleibende biologisch produktive Fläche steigt", sagt Stöglehner.
Österreich braucht dringend eine Diät. Die Gefräßigkeit muss ein Ende haben. Sonst leben wir bald in einer Betonwüste, in der niemand mehr Urlaub machen will. Das idyllische Bild von Österreich mit seinen saftigen Wiesen und malerischen Bergen? Es existiert nur noch auf Plakatwänden neben der Straße.
Factbox: Flächenverbrauch und Flächenversiegelung#
Österreich hat eine Fläche von 83.800 Quadratkilometern. Davon sind nur 37,2 Prozent zum Siedeln, für Verkehr und Landwirtschaft geeignet. Die Flächenreserven sind also begrenzt. Ende 2018 sind davon bereits 5681 Quadratkilometer (18,2 Prozent) "verbraucht". Täglich wird eine durchschnittliche Fläche von zwölf Hektar in Anspruch genommen. Zahlen zu 2019 wird das Umweltbundesamt voraussichtlich Mitte März veröffentlichen.
Unter Bodenversiegelung versteht man die Abdeckung des Bodens mit einer wasserundurchlässigen Schicht. Dem Boden kommt eine wichtige Rolle im Ökosystem zu. Bei starken Regenfällen kann er Wasser aufnehmen und so Überschwemmungen verhindern. Er speichert Kohlenstoffdioxid, was gut für das Klima ist. Und Boden kühlt – worüber sich hitzegeplagte Großstädter freuen. Diese Funktionen gehen durch Versiegelung verloren. Straßen, Parkplätze, Einfahrten und Betriebsgelände gelten als komplett versiegelte Flächen. Ende 2018 betrug der Versiegelungsgrad 41,2 Prozent. Zwar besteht die Möglichkeit, Flächen zu entsiegeln. Doch dies sind langwierige Prozesse. "Der Aufbau von vitalem Boden dauert Jahrzehnte", sagt die Architektin Renate Hammer.
Siehe auch den Beitrag in IIASA-Options Summer 2021 !#