Die farblose Forschung #
Klima-Wissenschaft in Zeiten des UN-Klimagipfels: Über erhitzte Städte, Temperaturextreme und den lähmenden Mangel an Diversität. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 18. Dezember 2014)
Von
Martin Tauss
Es waren dann doch längere Verhandlungen als geplant, als letzten Sonntag der UNKlimagipfel in Perus Hauptstadt Lima zu Ende ging. 195 Staaten verabschiedeten einen Beschluss, wonach bis März überarbeitete nationale Programme zur Treibhausgas- Reduktion vorzulegen sind – für viele ein „Minimalkonsens“, der nun den Weg zu einem weltweiten Abkommen bei der großen Klimakonferenz in Paris 2015 ebnen soll. Apropos Peru: Gerade das diesjährige Gastgeberland könnte stark vom Klimawandel betroffen sein, denn abschmelzende Gletscher bedrohen die Wasserversorgung und damit auch die Viehzucht. Und die erwärmungsbedingte Veränderung der Chemie im Pazifik hätte negative Folgen für eine wichtige Nahrungsquelle.
Während des Klimagipfels hatten große Demonstrationen in den Straßen von Lima für Aufsehen gesorgt: Darunter waren zahlreiche Vertreter indigener Gruppen, traditionell gekleidete Bäuerinnen aus den Anden ebenso wie Amazonas- Bewohner, die Fotos ermordeter Umweltaktivisten mit sich trugen. Viele Indigene fühlen sich von den Klimaverhandlungen weiterhin ausgeschlossen, wiewohl der Weltklimarat ihr traditionelles und lokales Wissen dezidiert für wichtig erklärt. Dass der Kampf gegen den Klimawandel nun auch Minderheiten verstärkt einbeziehen sollte, fordert ein aktueller Beitrag in der Fachzeitschrift Nature Climate Change.
„Wolke“ über Klimaforschung #
„Es gibt eine unsichtbare Barriere für das Engagement im Klimaschutz“, sagt Autor Jonathon Schuldt, Professor für Kommunikation im US-Bundesstaat New York. „Es wird problematisch, wenn der Eindruck entsteht, dass nur ein Haufen weißer männlicher Wissenschafter am runden Tisch sitzt.“ Schuldt spricht von einer „Wolke“, die bislang über der Klimaforschung hängt und den globalen Blick eintrübt: „Ein weißer Insider-Club engt die Forschung ein und limitiert das öffentliche Engagement.“ Der Mangel an ethnischer Vielfalt sei zu einem lähmenden Faktor geworden. Sowohl die Wissenschaft als auch die Klimaschutzbewegung würden jetzt Diversität benötigen, um diese Lähmung zu überwinden.
Dazu bedürfe es auch der Überwindung eingefleischter Vorstellungen, etwa dass die nicht-weiße Bevölkerung in den USA sich gar nicht für den Klimawandel interessiert – diese Idee einer „frei gewählten Unterrepräsentation“ wurde jüngst durch sozialwissenschaftliche Forschung widerlegt. Dass die Kommunikation zum Klimawandel „farbenblind“ sein sollte, sei überhaupt eine der schädlichsten Ideen, betont Schuldt. „Eine solche Kommunikation impliziert gegenüber Minderheiten, dass ihre einzigartigen Erfahrungen und Perspektiven keine Rolle spielen.“ Institutionelle Botschaften sollten vielmehr Diversität hervorheben, zugleich aber ein gemeinsames Ziel verdeutlichen, ganz nach dem Motto: „Wir sind zwar verschieden, aber wir sitzen alle im selben Boot.“ Als langfristiges Ziel sieht der amerikanische Forscher die Entwicklung einer neuen Wissenschaft der Klima- Diversität. „Wenn es darum geht, komplexe Probleme zu lösen, sind Teams mit größerer Diversität besser aufgestellt“, ist Schuldt überzeugt. „Es gibt jeden Grund zur Annahme, dass dies umso mehr für den Klimaschutz gilt.“
Steigende Hitzebelastung #
Eine aktuelle geographische Studie aus den USA hat nun Trends hinsichtlich extremer Hitze und Kälte quer über den Globus analysiert. Das Ergebnis: Im Hinblick auf starke Temperaturabweichungen lässt sich eine schnellere Erwärmung ablesen als hinsichtlich des globalen Durchschnitts. „Die durchschnittliche Temperaturentwicklung sagt uns nicht alles, was wir über den Klimawandel wissen sollten“, erläutert Autor Scott Robeson. „Vielmehr sind die warmen und kalten Extreme die wichtigsten Faktoren für die Gesellschaft – sie haben etwa auf die Wasserversorgung und landwirtschaftliche Produktivität außerordentlichen Einfluss.“ Ausgewertet wurden Temperaturwerte von 1881 bis 2013. In den letzten 30 Jahren war ein rascherer Anstieg der Hitzeextreme im Vergleich zu den Kälteperioden zu verzeichnen. 2014 ist dabei, eines der wärmsten Jahre seit der Messung der globalen Durchschnittstemperatur zu werden, wie die Welt-Meteorologie- Vereinigung angekündigt hat.
Die Auswirkungen des Klimawandels für mitteleuropäische Städte werden nun in einem neuen Projekt untersucht, bei dem die österreichische Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) maßgeblich beteiligt ist. Mit Hilfe eines Stadt- Klimamodells werden mögliche Szenarien für Szeged (Ungarn), Brno (Tschechien), Bratislava (Slowakei) und Kraków (Polen) berechnet. Ein Schwerpunkt dabei ist die steigende Hitzebelastung, wie Maja Zuvela-Aloise, Klimaforscherin am ZAMG, berichtet: „Die steigende Zahl an heißen Tagen beeinflusst besonders in den Städten das Wohlbefinden und die Gesundheit, denn im Vergleich zum ländlichen Gebiet wird es hier tagsüber oft heißer, und in den Nächten kühlt es deutlich weniger ab.“ So sind in Wien Tage mit über 30 Grad in den letzten Jahrzehnten um circa 50 Prozent häufiger geworden.
Wintertourismus unter Druck #
In Gebirgsregionen wiederum ist mit einer Zunahme von Rutschungen, Muren und Steinschlag zu rechnen. Auch der Wintertourismus wird durch den Temperaturanstieg weiter unter Druck kommen, prognostiziert der Demograf Wolfgang Lutz, Professor für Sozialstatistik an der WU Wien und Mitautor beim Weltklimabericht. In seinem Dialog mit dem ehemaligen EU-Kommissar Franz Fischler, der nun in Buchform vorliegt, kommt auch der Klimawandel nicht zu kurz. Die Autoren verweisen darauf, dass unsere globale Sichtweise noch relativ jung ist, angestoßen etwa durch die Mondlandung 1969, als man den Erdball erstmals aus dem Weltall sehen konnte. Franz Fischler zitiert hierzu einen amerikanischen Astronauten: „Wenn du von dort oben auf die Erde blickst, verschwimmen alle Unterschiede und Nationen. Dann siehst du wirklich eine Welt.“ Im Kampf gegen den Klimawandel ist dieses Bewusstsein notwendiger denn je. Die Menschheit sitzt letztlich im selben Boot – und sie sollte die Plätze an den Rudern wohl bunter als bisher besetzen.
Zukunft denken. Von Franz Fischler und Wolfgang Lutz. Galila Verlag 2014. 169 Seiten, geb., 20,50€