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Der Mensch als Gott#

Der Mensch hat sich die Erde untertan gemacht - und sie verändert. Gedanken zum Leben im Anthropozän.#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 29. August 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Reinhard Göweil


© Fotolia/euthymia
© Fotolia/euthymia

Der Astrophysiker Stephen Hawking hat eine ziemliche fundamentale Frage für sich beantwortet. Er gibt der Menschheit noch 100 Jahre und ruft dazu auf, fremde Planeten zu finden und zu besiedeln. Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Epidemien und Asteroideneinschläge würden die Erde unbewohnbar machen wie den Mond, meint er. Die drei ersteren sind menschengemacht, und genau das treibt auch Geologen um.

Der Mensch verändert die Welt und alle irdischen Systeme so stark, dass vom "Anthropozän" gesprochen werden müsse, befand 2016 der Internationale Geologen-Kongress in Kapstadt. Der legte den Beginn dieses neuen Zeitalters an einen bis heute messbaren Knall: Am 16. Juli 1945 fand im Süden des US-Bundesstaates New Mexico der erste Atombombentest statt ("Manhattan-Projekt"). Seither - so die Geologen - macht sich der Mensch die Erde untertan wie nie zuvor seit dem Auftreten des Homo sapiens. Andere Forscher wollen dieses Zeitalter an den Beginn der Industriellen Revolution setzen, aber das ist wohl eher eine akademische Diskussion.

Ob der Mensch mit dieser Verantwortung vernünftig, geschweige denn weise umgeht, ist noch nicht beantwortet. Unser Plastikmüll zerstört die Ozeane; die USA steigen aus dem ohnehin spät beschlossenen Klimaabkommen aus; unsere Maschinen, Landwirtschaften und der Tourismus verändern Kohlenstoff-, Stickstoff- und Phosphor-Kreisläufe so gut wie irreversibel. Riesige Seen trocknen aus, in Afrika sind 43 Millionen Menschen von Dürre bedroht. Feinstaub und Luftverschmutzung bedrohen Millionenstädte, an den Küsten besorgt das der steigende Meeresspiegel.

Der Weg zurück ist versperrt#

Zeit also für die Apokalypse? Nein, dem Konflikt kann die Kooperation entgegengestellt werden. Die erste Erkenntnis könnte lauten, das Anthropozän zu akzeptieren. Der Mensch griff und greift global so stark in alle Systeme ein, dass der Weg zurück wohl versperrt ist. Das nur als verbohrt zu bezeichnende Festhalten der deutschen Autoindustrie (und der ihr folgenden Politik) am Verbrennungsmotor kann stellvertretend für diese mangelnde Erkenntnisfähigkeit gelten.

Um die Welt zu retten, benötigt es neue, unbekannte und auch ungedachte Konzepte. Das aktuelle Wirtschaftssystem ist dafür völlig ungeeignet, die politischen Systeme unvorbereitet, die Regulierungsbehörden überfordert.

Der Mensch hat die Atomkraft entwickelt, aber wo bleibt die Kalte Fusion? Wir bauen Autobahnen, aber wo bleibt der Wasserstoffmotor? Wir bewässern Felder, aber wo bleiben die hitze- und wassersparenden Ackerfrüchte?

Das Anthropozän zu akzeptieren bedeutet, einer gezielten Forschung Vorrang einzuräumen. Gentechnik ist in Österreich praktisch ein Schimpfwort, aber ohne wird es nicht gehen. Nicht nur in der Landwirtschaft, auch im pharmazeutischen Bereich (Hawkings Beispiel globaler Epidemien). Das Anthropozän akzeptieren bedeutet aber auch - ganz im Sinne der laufenden Debatten in Alpbach -, den real existierenden Kapitalismus abzuschaffen. Auf den Devisenmärkten werden derzeit täglich und währungsbereinigt etwa 5000 Milliarden Dollar bewegt. Welchen Sinn soll das haben, wenn allein in Somalia sieben Millionen Menschen hungern? Welchen Sinn macht eine aktuelle Bitcoin-Marktkapitalisierung von 72 Milliarden Dollar, wenn heimische Start-ups keine Kredite bekommen?

Hemmungsloser Fortschritt#

Um der Kooperation eine Chance zu geben ist es wohl notwendig, alles in Frage zu stellen, und das bald. Der Geschäftsführer des Europäischen Forum Alpbach, Philippe Narval, zitierte in einem Essay die Enzyklika "Laudato Si" von Papst Franziskus, in der das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche vor einer "umfassenden Krise" warnte. Das war 2015. Der Papst verbindet dabei mehrere Entwicklungen, was nicht verwunderlich ist, da er doch von einem Gott als Schöpfer ausgeht. Er verbindet dabei ein auf Profit ausgelegtes Wirtschaftssystem, eine entsolidarisierte Moralvorstellung, in der das Ich Priorität genießt und hemmungslosen Fortschrittsglauben. Der Papst durfte sich dafür als Marxist beschimpfen lassen, was schon grundsätzlich absurd ist, aber das ist ein anderes Thema...

Blühen und verdorren#

Wenn es das Zeitalter Anthropozän gibt, müsste eigentlich der hemmungslose Fortschrittsglaube vom Kapitalismus getrennt werden, das macht "Laudato Si" nicht. Das verwundert wenig, denn das Anthropozän übergibt dem Menschen das Schöpfungs-Monopol.

Die Weltreligionen gehen von Gott als Schöpfer aus. Im Buch Genesis, das gleichermaßen für Juden in der Tora und Christen in der Bibel gilt, erschafft Gott die Erde, wie wir sie kennen, in sechs Tagen. Im Koran ist es nicht ganz so deutlich formuliert, dessen Schöpfungsgeschichte schwankt zwischen vier und acht Tagen, aber das ist ein Detail. Sarkastisch angemerkt erschuf der Schöpfer - den Buchstaben des Buches Genesis folgend - den Menschen erst ganz am Schluss. Danach meinte er noch, wir könnten uns alles untertan machen, und gab den Tieren und uns Menschen die Pflanzen als Nahrung. So steht es im Buch Genesis.

Die Erde untertan machte sich der Mensch recht früh. Jüngste Forschungen zeigen, dass erstmals vor 23.000 Jahren (im heutigen Israel) Menschen Getreide anbauten - und damit sesshaft wurden. Die Erfindung der Landwirtschaft für weite Teile der damaligen Erdbevölkerung soll vor 12.000 Jahren stattgefunden haben.

23.000 oder 12.000 Jahre später, das spielt hier keine Rolle, steht der Mensch in einer Welt, die an seinen Gestaltungsmöglichkeiten entweder blüht oder verdorrt. 1800 lebten auf der Erde zirka eine Milliarde Menschen, 217 Jahre später sind es 7,5 Milliarden. Die Armut weltweit sinkt, das ist ein Erfolg. Doch der Erfolg ist teuer erkauft. Der Mensch hat das Wirtschaftssystem von vor 12.000 Jahren beibehalten. Ressourcen wie Wasser, Ackerfläche, Metalle, später dann fossile Ressourcen werden der Erde entnommen, um eher rücksichtslos den Wohlstand und die Entwicklung des Menschen zu beschleunigen. Wir bereiten uns vor, auf den Mars zu fliegen, aber 2050 wird - bei ungebremster Entwicklung - mehr Plastik in den Ozeanen schwimmen als Fische.

Der Homo sapiens hat die Atomenergie entwickelt, was unter anderem bedeutet, die Erde mehrfach zerstören zu können - was nicht besonders vernünftig ist. Er hat ein Wirtschafts- und Finanzsystem entwickelt, das den Wohlstand vieler ohne kriegerische Zerstörung ruiniert, wie die jüngste Finanzkrise zeigte.

Der Mensch hat aber auch Gesellschaften und kooperative Systeme entwickelt. Genossenschaften waren (und sind) die Antwort auf einen ungezügelten Merkantilismus. Das österreichische System der selbstverwalteten Sozialversicherung ist grundsätzlich eine gute und nachhaltige Antwort auf wechselnde politische Präferenzen.

Planetarische Politik#

Doch im globalen Maßstab versagt die Politik. Es gibt keine politischen Systeme, die Verantwortung für diese "Stewardship" genannte Rolle des Menschen für die Erde übernehmen kann. Die Vereinten Nationen, die eine solche Organisation wären, sind ausgerechnet jetzt zahn- und hilflos wie nie zuvor. Dabei würde das Anthropozän wie nie zuvor eine "planetarische Politik" benötigen. Auch im ethischen Begriff, denn der Mensch kann mittlerweile nicht nur Pflanzen und Tiere reproduzieren, sondern sich selbst. Er wird Roboter entwickeln, die ihm überlegen sind - der Gott im Buch Genesis würde sich schön bedanken dafür . . .

Und die subsidiären irdischen Systeme sind weder abgestimmt noch darauf vorbereitet. Die Europäische Union wäre auch eine systemische Möglichkeit, sie wird aber derzeit zu stark von nationalen und ökonomischen Einzelinteressen dominiert.

Das vom Menschen gestaltete Erdzeitalter würde einen deutlichen Forschungsschwerpunkt in der "Reparatur" von Ökosystemen benötigen. Und da die Weltrettung keine Dividende außer dem Überleben abwirft, müssten diese enormen Mittel praktisch renditebefreit aufgewendet werden. Damit kippt das aktuelle Wirtschaftssystem, aber auch die Sozialsysteme.

Es gibt eine "International Anthropocene Working Group", die sich daher neuerdings mit den kulturellen Auswirkungen dieses neuen Blickes auf die Welt beschäftigt. Schöpfung ist kein rein wissenschaftliches Thema, sondern ein gesellschaftliches und kulturelles. Geschichtsschreibung, Klimaforschung und Wirtschaftswissenschaft vermengt sich dabei unauflöslich. Dieser Herausforderung wird sich der Mensch zu stellen haben, wenn er sich auf der Erde vom Ebenbild Gottes zu Gott selbst gemacht hat. Gestaltung oder Zerstörung - wir haben es in der Hand und können uns nicht länger auf ein Höheres Wesen ausreden.

Wiener Zeitung, Dienstag, 29. August 2017

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