Schicksal einer Perle Wiens#
Dem Verfall preisgegeben?#
Mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift "Illustrierte Neue Welt", Dezember 2009/Jänner 2010
von
Petra M. Springer
Die Bausubstanz ist in äußerst schlechtem Zustand: Bröckelnde Mauern, Risse im Mauerwerk, Spuren von Feuchtigkeit im Sockel und Terrassenbereich, feuchte Keller, Schimmel an den Wänden, morsche Holzteile, undichte Fenster und Dächer laden in einigen Häusern nicht gerade zum Wohnen ein. Teilweise wurden ursprüngliche Fassadenfarben abgeändert und bei baulichen Erneuerungen Glasziegel eingesetzt, Carports und ähnliche Zubauten errichtet, stilistisch unpassende Türen verwendet, Fenster vergittert und Geländer angebracht. Die historischen Bauten der Siedlung sind somit oftmals stark verändert bzw. äußerst desolat.
Die Wiener Werkbundsiedlung wurde 1930-32 nach dem Vorbild der Weißenhofsiedlung in Stuttgart aus dem Jahr 1927 errichtet. Unter der künstlerischen Gesamtleitung Mies van der Rohes hatte die damalige Avantgarde der Architekten aus Deutschland und den Nachbarländern, wie Peter Behrens, Le Corbusier, Walter Gropius, Bruno und Max Tau 60 Wohneinheiten geschaffen. In diesen Mustersiedlungen wurde modernes Bauen exemplarisch dargestellt, wie auch in Werkbundsiedlungen in Brünn, Breslau, Karlsruhe oder Prag. Neue Wohnformen und Formen des sozialen Zusammenlebens standen im Mittelpunkt der Konzepte. Josef Frank, der für die Stuttgarter Werkbundsiedlung ein Doppelhaus für Familien mit Kindern und Hausmädchen entwarf, war Initiator und Leiter des Baus der Werkbundsiedlung Wien. Im Rahmen der Jahresversammlung 1929 in Breslau hatten die Mitglieder des Deutschen Werkbundes die Einladung der österreichischen Delegation zur Jahresversammlung 1930 in Wien angenommen. Aufgrund dessen wurden Veranstaltungen geplant, deren Schwerpunkt eine zu errichtende Werkbundsiedlung sein sollte. Im Gegensatz zur Weißenhofsiedlung stand nicht die Propagierung neuester Baumethoden oder Stile im
Zentrum, sondern die Vielfalt räumlicher und funktioneller Lösungen, die mit reduzierten formalen und ökonomischen Mitteln modernen Bauens erzielt werden konnten.
Die Creme der ArchitektInnen#
Die 70 Häuser wurden von insgesamt 32 ArchitektInnen, darunter Josef Hoffmann, Clemens Holzmeister, Ernst Lichtblau, Adolf Loos, Walter Loos, Ernst A. Plischke, Otto Niedermoser, Oskar Strnad, Hans A. Vetter. Arthur Grünberger oder Jacques Groag geplant. Viele von ihnen mussten während des Nationalsozialismus emigrieren. Als einzige Frau ist Marete Schütte-Lihotzky mit zwei Reihenhäusern Ecke Jagdschlossgasse/Woinovichgasse vertreten.
Die Siedlung befindet sich im Bezirk Hietzing in der Veitingergasse, Jagdschlossgasse, Woinovichgasse, Jagicgasse und Engelbrechtweg. Sie ist in zwei Bereiche geteilt, in den Ring rund um einen sogenannten Hauptplatz in der Woinovichgasse und einen Halbring, der von den Häusern entlang der Veitingergasse und Jagdschlossgasse gebildet wird. Die Wohnfläche der Demonstrativbauten liegt zwischen 57 m2 und 125 m2 und die Grundstücke sind im Durchschnitt etwa 250 m2 groß. Die Verbindung zwischen Architektur und Leben, Haus und Garten, innen und außen standen im Mittelpunkt der Projekte. Heutzutage dominiert oftmals der Baum- und Strauchbestand die Gärten und lässt manches Haus dahinter verschwinden.
Baubeginn Herbst 1930#
Im Herbst 1930 wurde mit dem Bau der Siedlung begonnen und am 4. 6. 1932 die Ausstellung "Internationale Werkbundsiedlung Wien 1932" eröffnet. Die Muster unterschiedlicher Häusertypen inklusive Inneneinrichtung konnten zwischen dem 5. Juni und dem 7. August 1932 öffentlich besichtigt werden. Um sie für den Mittelstand finanzierbar zu machen, war die kostengünstige Errichtung der Häuser eine Grundvoraussetzung, die bedingte, dass die Häuser eine geringe verbaute Fläche aufwiesen. Ein wesentlicher Faktor bei der Planung bedeutete deshalb, auf einer relativ kleinen Fläche eine günstige Raumaufteilung zu erzielen. Nach Ausstellungsende waren aber nur 14 Gebäude verkauft, da wenige 1932 das Geld hatten, um sich so ein Haus leisten zu können. Daraufhin übernahm die Gemeinde Wien die verbliebenen 56 Häuser in ihre Verwaltung und vermietete sie. Die Bauten befinden sich heute somit einerseits in Privatbesitz, andererseits im Eigentum von Wiener Wohnen.
Nach einem Interview im wienweb mit Charlotte Schlifelner, die eine Website zur Werkbundsiedlung erstellt hat, beträgt die Miete für ein Objekt zwischen 250 und 300 Euro.
Denkmalschutz seit 1978#
Während des Zweiten Weltkrieges wurden sechs Häuser von Hugo Häring, Oskar Strnad und Walter Sobotka bei einem Bombenangriff zerstört. Seit 1978 steht die Werkbundsiedlung unter Denkmalschutz. 1982, 50 Jahre nach dem Bau, beschloss die Gemeinde Wien eine Renovierung der in ihrem Besitz befindlichen Bauten, die Mitte der 1980er Jahre unter Leitung von Adolf Krischanitz unter sorgfältiger Einbeziehung formaler, technischer und funktionaler Gesichtspunkte abgeschlossen wurde. Veränderungen an der Bausubstanz wurden soweit wie möglich rückgängig gemacht. Etwa ein Drittel der Bauten, jene im Privatbesitz, wurden nicht restauriert.
Sanierung notwendig#
Inzwischen hat der Zahn der Zeit wieder an den Gebäuden genagt und sie sind dringend sanierungsbedürftig. Weiters haben MieterInnen die Hausgestaltung oftmals selbst in die Hand genommen, beispielsweise jene des Josef-Frank-Hauses, die mit Hammer und Meißel das überdimensionale Konterfei des Architekten in die abblätternde Fassade gemeißelt haben. 2007 hätte die Siedlung saniert werden sollen, doch nichts geschah, da es sich ja nicht gerade um eine billige Angelegenheit handelt, kostet es doch geschätzte sieben Millionen Euro. Das führte zu einem jahrelangen Politstreit: Die ÖVP fordert eine rasche Sanierung, und dass den Mietern der Gemeindebauten angeboten wird, die Häuser zu kaufen. Die Grünen lehnen diesen vorgeschlagenen Abverkauf an die Bewohnerinnen ab, die SPÖ soll rasch ein Gesamtsanierungskonzept der Werkbundsiedlung Wien vorlegen. Wer eine so geringe Miete zahlt, der kann es sich selten leisten, ein Objekt käuflich zu erwerben und dann auch noch die Kosten für eine fachgerechte Sanierung nach strengen Auflagen des Denkmalamtes zu übernehmen. Die Gemeinde Wien und das Bundesdenkmalamt arbeiten an einem umfangreichen Sanierungskonzept für die Siedlung. „Die jährlichen Mieteinnahmen machen nicht einmal ein Hundertstel der Sanierungskosten aus, eine Sanierung aus den Mieteinnahmen, unterstützt durch Förderungen, wie es bei anderen Wohnhausanlagen üblich ist. kommt also nicht infrage. Deshalb wird an anderen Finanzierungsmodellen gearbeitet", erklärt der Vorsitzende des Wohnbauausschusses Kurt Stürzenbecher. Hoffentlich ist bald die Finanzierung geregelt, denn der Zustand der Wiener Werkbundsiedlung fordert ein rasches Handeln.