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Österreich baut sich die Bahn selbst#

Dämmmatten unter den Schienen, brandgeschützte Gummibauteile zur Isolierung, Weichen, Züge, Signale: Die österreichischen Unternehmen der Bahnindustrie produzieren alles, was zum Bahnfahren benötigt wird.#


Von der Wiener Zeitung (29. November 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Bernd Vasari


Österreichische Firmen
Österreichische Firmen
WZ-Grafik: Irma Tulek, Quelle: WZ-Recherche

Unternehmen, die künstlich am Leben erhalten werden müssen. Unterbrochene Lieferketten, die für Engpässe sorgen. Mitarbeiter, die auf der Straße stehen, weil ihr Unternehmen nicht zukunftsfähig ist. Covid-19 hat in vielen Branchen tiefe Spuren hinterlassen, das Virus beschleunigte den Umbruch in ein neues Wirtschaftszeitalter. Ein Zeitalter, in dem viele Unternehmen keinen Platz mehr haben werden.

Auch der österreichische Wirtschaftsstandort ist von den Umwälzungen betroffen. Tausende Jobs wurden gestrichen, beim Glücksspiel, bei Autozulieferern, im Hotelbereich.

Doch es gibt eine Branche, die von diesen Umwälzungen nahezu unberührt blieb, die künftig eine große Rolle spielen wird, eine Branche, die in Österreich fest verankert ist: die Bahnindustrie.

Von Niederösterreich bis Vorarlberg#

Von Niederösterreich bis Vorarlberg stellen 30 Unternehmen alle notwendigen Bestandteile für eine funktionierende Bahninfrastruktur her. Darunter Radsensoren von Frauscher in Oberösterreich, Schwingungs- und Erschütterungsschutz von Getzner in Vorarlberg, Scheibenwischersysteme von Knorr-Bremse in Salzburg sowie ganze Zuggarnituren, Signalsysteme und Übertragungstechniken (siehe Grafik).

Diese Vollkommenheit ist bemerkenswert in einem weitverzweigten, globalen Wirtschaftssystem. Denn Österreich ist unabhängig, was seine Bahninfrastruktur betrifft. Im Land gibt es alle notwendigen Unternehmen, um sich die Bahn bis ins kleinste Detail selbst zu bauen.

"Österreich ist eines der führenden Bahnländer der Welt, mit einer der leistungsfähigsten Bahnen der Welt", bestätigt Kari Kapsch, Verbands-Präsident der Österreichischen Bahnindustrie (VBI). "Alle Züge, die in Österreich tagtäglich unterwegs sind, umrunden alle zwei Stunden einmal den Globus."

Grundlage für diese Dominanz ist die hohe Innovationsfähigkeit der heimischen Betriebe mit ihren knapp 10.000 Beschäftigten. Gemessen an der Anzahl der angemeldeten Patente als auch an der Anzahl der Erfinder, liegt Österreich weltweit auf dem sechsten Platz. Das belegen Zahlen des Wiener Instituts für Wirtschaftsforschung, Economica. Demnach stammen heute zwischen zwei und drei Prozent aller weltweit angemeldeten bahnrelevanten Patente aus Österreich.

64 Prozent der hergestellten Produkte werden exportiert
64 Prozent der hergestellten Produkte werden exportiert
WZ-Grafik

Im Bereich Gleisoberbau stammt sogar jedes zweite Patent aus einem hierzulande angesiedelten Unternehmen. Gemessen an der Einwohnerzahl liegt Österreich bei der Erfinderdichte mit rund 50 Erfindern pro einer Million Einwohner weltweit auf Platz eins.

Rot-weiß-rote Export-Weltmeister#

Auch bei den Exporten im Bereich Schienenfahrzeuge und zugehörige Ausrüstungen gehört Österreich zu den Top-Nationen. Die Republik belegt weltweit den siebenten Platz. In einer relativen Pro-Kopf-Betrachtung liegt Österreich mit Schienenfahrzeug-Exporten an weltweit erster Stelle. Der Anteil Österreichs am Welthandel für Schienenfahrzeuge beträgt fünf Prozent.

Damit ist die Bahnindustrie ein wichtiger Faktor des österreichischen Außenhandels. 64 Prozent der hergestellten Produkte werden exportiert. Das heißt: Zwei von drei Euro, die von der österreichischen Bahnindustrie umgesetzt werden, werden im Ausland erwirtschaftet.

Laut VBI erwirtschafteten die Bahn-Unternehmen im Jahr 2018 einen Umsatz von 3,1 Milliarden Euro, die Wertschöpfung beträgt 906 Millionen Euro. Kapsch verweist jedoch auf die vor- und nachgelagerten Branchen aus Österreich. Würden diese hinzugerechnet, erhöht sich der Gesamteffekt der Bahnindustrie auf eine Wertschöpfung von 1,53 Milliarden Euro. "Jeder 222. Euro, der in Österreich erwirtschaftet wird, ist folglich unmittelbar oder mittelbar der Bahnindustrie zuzuschreiben", sagt Kapsch.

Auch der Beschäftigungsmultiplikator fällt mit 2,04 überdurchschnittlich hoch aus. "Jeder in der Bahnindustrie geschaffene Arbeitsplatz sichert noch einen weiteren Arbeitsplatz außerhalb der Bahnindustrie in Österreich", sagt Kapsch.

Die Bedeutung der Bahn als Verkehrsmittel ist in den vergangenen Jahren beträchtlich gestiegen. Sie gilt als Schlüssel für die Erreichung der Klimaziele in der Europäischen Union. Geht es nach der EU-Kommission, soll der klimaschädliche CO2-Ausstoß im Verkehr bis zum Jahr 2050 auf null reduziert werden.

Schlüsselrolle für Europas Umweltschutz#

"Die Schiene spielt hier eine Schlüsselrolle und wird uns helfen, unser Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen", sagt EU-Verkehrskommissarin Adina Valean im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Das volle Potenzial der Schiene soll ausgeschöpft werden. "Die Schiene ist eine der umweltfreundlichsten und energieeffizientesten Verkehrsträger auf dem Markt", fügt sie hinzu.

10 wichtigste Exportländer
10 wichtigste Exportländer
WZ-Grafik; Quellle: UN Comtrade, UNCTAD, OFX, Economica
Um die Bedeutung der Bahn zu heben, erklärte die EU das kommende Jahr zum "Jahr der Schiene". Geplant sind Ausstellungen, Werbeaktionen und Infokampagnen. "Wir werden damit die Vorteile der Schiene hervorheben, aber auch das Bewusstsein für die Herausforderungen schärfen, die für grenzüberschreitende Dienste und moderne und erschwingliche Schienen bestehen bleiben", sagt die Verkehrskommissarin.

Derzeit bestehen noch eine Menge Wettbewerbsnachteile gegenüber der Straße: So gibt es unterschiedliche Bahnstandards zwischen den Mitgliedsländern: Das betrifft technische Normen, Zulassungen für Lokomotiven, Betriebsvorschriften.

Die Kommission verabschiedete zuletzt ein Eisenbahnpaket. Damit wanderte die Kompetenz von der staatlichen auf die EU-Ebene. Schritt für Schritt soll nun die europäische Infrastruktur gemeinsame Standards erhalten.

Wettbewerbsnachteile bestehen auch bei den Kosten. So sind Mautgebühren für die Bahn in Österreich teurer als für die Straße. Zudem wird Bahnstrom besteuert, während dem motorisierten Straßenverkehr eine steuerliche Begünstigung beim Diesel zusteht (Dieselprivileg). Weiters haben Unternehmen stets Straßenanschlüsse, die meist öffentlich finanziert werden. Schienenanschlüsse sind dagegen grundsätzlich privat zu errichten.

Der Trend der Bundesregierung#

Zuletzt reagierte die österreichische Bundesregierung auf diese Schieflage. Bahnunternehmen, die erneuerbare Energie für den Eigenverbrauch selbst herstellen, werden künftig von der Elektrizitätsabgabe befreit. Auch die Energieabgabe wird gesenkt. Diese Maßnahme bringt dem Schienenverkehr eine Einsparung von 23 Millionen Euro, rechnet das Verkehrsministerium vor.

Auch, wenn diese Maßnahmen der Bundesregierung nur zaghafte Schritte sind: Der Trend zeigt in Richtung Stärkung des Bahnverkehrs. Als Faktor im Kampf gegen den Klimawandel ist die Schiene ohnehin nicht mehr wegzudenken.

Die 30 Unternehmen der heimischen Bahnindustrie gehören somit zu den Zukunftsbranchen. Auf dem Weg in ein neues Wirtschaftszeitalter werden sie ein starkes Rückgrat für den Wirtschaftsstandort Österreich sein.

Wiener Zeitung, 29. November 2020

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