Spannende Geschichtsstunden #
Der Historiker Yuval Noah Harari verdichtet in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ dieselbe auf 528 Buchseiten und provoziert dabei den Leser, selbst über die Geschichte nachzudenken. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 6. Februar 2014)
Von
Christian Jostmann
Der Homo sapiens konnte und kann sich Dinge vorstellen, die nicht da sind. Das befähigt ihn, flexibel in Gruppen zusammenzuarbeiten
Dr. Harari, wie ihn seine Schüler respektvoll nennen, ist nicht einmal Ende dreißig und damit jung für einen Universalgelehrten. Immerhin lichtet sich sein Haar bereits und gibt eine hohe Stirn frei, die den Denker verrät. Der Historiker lehrt an der Hebrew University in Jerusalem und hält dort seit einigen Jahren Vorlesungen zur Geschichte der Menschheit: 70.000 Jahre in einem Semester oder, für deutschsprachige Leser, jetzt auch auf 528 nicht allzu eng bedruckten Buchseiten. Oder für Internet-Nutzer als Online-Videokurs.
Dieser Kurs wird derzeit kostenlos auf der Plattform www.coursera.org angeboten. Ist schon die Lektüre von Dr. Hararis Buch ein Erlebnis, so ist es noch mehr der Auftritt dieses schmächtigen Wissenschaftlers, der, angetan mit Röhrenjeans und gebügeltem Hemd, fast in seinem Fauteuil verschwindet. Doch Dr. Hararis Blick und Gestik verraten den passionierten Pädagogen, und wenn er einem dann in elaboriertem, aber keineswegs akzentfreiem Englisch erklärt, wie aus einer unscheinbaren Affenart, die im Herzen Afrikas heimisch war, eine den gesamten Planeten beherrschende Spezies werden konnte, dann hat man dieses Aha-Erlebnis, das manche vielleicht aus der Schule kennen, wenn man eine neue Lehrerin bekam und der Stoff, den man sich jahrelang vergeblich abgemüht hatte zu begreifen, mit einem Mal glasklar vor einem lag.
Es war nicht der aufrechte Gang, nicht die Größe seines Gehirns – der sogenannte Neandertaler hatte ein größeres – oder der Gebrauch von Werkzeugen, was den Homo sapiens von seinen Mitbewerbern abhob, sondern seine Fähigkeit zur Imagination, die es ihm ermöglichte, sich Dinge vorzustellen, die nicht da waren, und diese über die Sprache und in Bildern mit seinen Artgenossen zu teilen. Oder mit anderen Worten: Was den Sapiens (wie Dr. Harari ihn der Kürze halber nennt) auszeichnet, ist die Gabe, Geschichten zu erzählen. Dank dieser Gabe vermag er in größeren Gruppen zusammenzuarbeiten, und das nicht nur, wie die Ameisen oder Bienen, nach rigiden, weil genetisch festgelegten Regeln, sondern fl exibel.
Der Mensch wird sesshaft #
Seither sind die Vorstellungskraft des Sapiens und die Flexibilität seiner Zeichensysteme der Motor der Geschichte – ein Motor, der im Lauf der Zeit immer schneller lief. Auf die kognitive Revolution, auf die Erschaffung gemeinsamer Vorstellungswelten, von Mythen, Legenden und Geistern, folgte vor rund 12.000 Jahren die landwirtschaftliche. Der Sapiens, der bisher ein freies Leben geführt und seine Nahrung aus einer Vielzahl wilder Pflanzen und Tiere bestritten hatte, wurde sesshaft und machte sich zum Hüter einiger weniger Pflanzen- und Tierarten: Weizen, Reis, Kartoffeln, Hühner, Schweine, Rinder. Das ergab mehr Kalorien pro Fläche, eine größere Anzahl Menschen konnte sich ernähren. Zugleich aber wurde der Sapiens von diesen wenigen Pflanzen und Tieren abhängig, die für ihr Gedeihen kontinuierlicher Zuwendung in Form von Arbeit bedürfen. Seither laufen wir im Hamsterrad.
Dr. Harari macht kein Hehl aus seinem Zweifel daran, dass der planetare Siegeszug unserer Art auch das jeweilige Glück der Individuen vermehrt habe. Genauso wenig wie das der Nutztiere. Zwar profitierten auch die von der landwirtschaftlichen Revolution. Sie vermehrten sich ebenso beispiellos wie der Sapiens, während das Gros der wilden Pflanzen und Landtiere dezimiert wurde bis zur Ausrottung. Aber was haben Kuh, Huhn und Schwein davon? Die meisten von ihnen fristen heutzutage ein erbärmlicheres Dasein als irgendein Lebewesen jemals zuvor.
Errichtung von Großreichen #
Spätestens hier schwant dem Zuhörer, dass die Geschichte, die Dr. Harari so unaufgeregt wie eindringlich erzählt, keine schöne Geschichte ist, die das Herz erwärmt wie ein abendliches Lagerfeuer. Und dass sie wohl nicht in ein Happy End mündet …
Nach der landwirtschaftlichen Revolution fiel der Motor der Geschichte erstmal in Leerlauf. Das Problem war, dass der Sapiens zwar in größeren Gruppen kooperieren kann, aber die Größe der Gruppen ist von Natur aus begrenzt durch die Menge an Information, die im Gedächtnis Platz findet. Die Beziehungen von 150 Individuen lassen sich noch überblicken, vorübergehend auch die von 500, aber danach ist bald Schluss.
Was dem Sapiens diese evolutionäre Schwelle überschreiten half, war die Schrift. Die Schrift bahnte den Weg für die Errichtung von Großreichen, und seither lief die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft unumkehrbar auf den Zusammenschluss immer größerer Gruppen hinaus, bis zur globalen Zivilisation unserer Tage. Wobei neben den Imperien laut Dr. Harari Geld und Religion die wichtigsten vereinigenden Faktoren waren und sind. Ja, auch die Religion, von der er einen weiten Begriff hat. Er versteht sie wie Imperien und Geld als etwas, das Menschen erfinden, um in sehr großer Zahl kooperieren zu können, und er zählt auch etwa Kapitalismus, Kommunismus und den liberalen Humanismus zu ihnen: alles Erfindungen des Menschen, ohne Realität außerhalb unserer Vorstellung, aber darum nicht ohne Auswirkungen auf die Welt um uns herum. Im Gegenteil, die Macht des Sapiens über seine Umwelt wuchs im Lauf der Geschichte, und seit der wissenschaftlichen Revolution, die vor etwa 500 Jahren einsetzte, wächst sie schwindelerregend.
Auch diese dritte Revolution förderte zwar das Wohlergehen vieler, aber gewiss nicht aller Individuen und schon gar nicht der natürlichen Umwelt. In Zukunft könnte sich der Sapiens gar selbst abschaffen, prophezeit Harari, indem er bio-technische Hybride erzeugt und Formen von künstlicher Intelligenz, die sich als lebenstüchtiger erweisen. Dann wären wir Menschen nur ein Zwischenstadium auf dem Weg vom Tier zu etwas Anderem, das Dr. Harari irgendwo in der Sphäre der Halbgötter ansiedelt.
Man kann diese Phantasien abgeschmackt fi nden, wie man überhaupt einiges gegen die se „Kurze Geschichte der Menschheit“ einwenden mag. Man kann mit guten Argumenten der Meinung sein, dass Dr. Harari es mit der Vereinfachung historischer Komplexität zu weit treibt. Und manchen wird sein amoralisch-szientistischer Blick auf die Welt frösteln machen. Das alles dürfte beabsichtigt sein. Dr. Harari will seine Zuhörer offenbar provozieren, selbst über die Geschichte und ihren Ort darin nachzudenken. Man könne aus der Geschichte keine Lehren ziehen, erklärte er in einem Interview, aber das Studium der Vergangenheit könne helfen, uns von ihr zu befreien.
Eine kurze Geschichte der Menschheit
Von Yuval Noah Harari, übersetzt von Jürgen Neubauer
DVA 2013. 528 Seiten, gebunden, EUR 25,70
Weiterführendes#
- Jostmann, C.: Gefahren der Technologie - Eine Mahnrede in locker-flockigem Ton (Essay)
- Tauss, M.: Das „Nicht-Selbst“ Ergründen (Essay)
Die wissenschaftliche Revolution dürfte doch die Leistung der alten Griechen sein etwa die Wissenschaftstheorien des Aristoteles, die systematische Anatomie eines Hypokrates von Kos etc. und nicht erst vor 500 Jahren eingesetzt haben. Durch die Völkerwanderung gimng dieses Wissen zeitweise verloren bis es in der Bildungsbewegung des Humanismus wiedererweckt wurde (Rinascimento). Daher auch die damaligen Bemühungen um die altgriechische Sprache, weil man das Wissen der alten Griechen wiedererwecken und darauf aufbauen wollte. Die Begrifflichkeit des Terminus "Wissenschaft" ist eindeutig die Leistung der altgriechischen Denker wie Aristoteles Archimedes, Thales von Milet etc.
Dies wissenschaftliche Revolution steht am Beginn Europas, wo in Kreta auch die Buchstabenschrift entwickelt wurde, im Gegensatz zur ägyptischen Bilderschrift, aus altägyptisch "aleph", das Rind, wird durch Abstraktion der Griechen der Buchstabe alpha, Europa ist ein griechisches Wort und meint eine Frau mit schönen Augen. Vgl. etwa dazu: Bamm, Peter: An den Küsten des Lichts (des Intellekts), eines der faszinierendsten Bücher über die Enstehung des menschlichen Geistes und die Überlegenheit der europäischen Kultruen hinsichtlich der Entwicklung der Menschheit..
-- Glaubauf Karl, Sonntag, 23. März 2014, 19:52