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Die Wächter der wahren Wissenschaft#

Plagiate, gefälschte Studien: Die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität prüft solche Fälle.#


Von der Wiener Zeitung (16. September 2022) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Eva Stanzl


Plagiate in Abschussarbeiten, Erfindung von Daten oder Schädigung von Kollegen-Karrieren: Derartige Fälle sorgen für Schlagzeilen, kommen aber weitaus weniger häufig vor, als man annehmen könnte, sagt Sabine Chai, Geschäftsführerin der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI). Welche Formen wissenschaftliches Fehlverhalten annehmen kann, erläuterte sie im Interview mit der "Wiener Zeitung" am Rande der Alpbacher Technologiegespräche.

"Wiener Zeitung": Jedes Jahr erscheinen tausende Studien. Wie finden Sie in dem riesigen Pool jene Personen, bei denen ein Fehlverhalten vorliegt, und wie viele sind es?

Sabine Chai: Um uns einen Prozentsatz ausrechnen zu können, müssten wir wissen, wie viele Forschungsprojekte insgesamt durchgeführt werden. Zu uns kommen ja nur Fälle, bei denen schon ein Verdacht besteht, und das ist nur bei einem sehr kleinen Prozentsatz der Fall. Die große Mehrheit der Wissenschafter, Doktoranden und Diplomanden arbeitet ehrlich und verantwortungsvoll. Vergehen sind keineswegs der Normalfall.

Sabine Chai ist Kommunikationsspezialistin mit Erfahrung in Lehre, Forschung und Beratung im akademischen Bereich und bei gemeinnützigen Organisationen. Als Geschäftsführerin der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität arbeitet sie mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft zusammen, um die Integrität von Forschungsprozessen zu verbessern.
Sabine Chai ist Kommunikationsspezialistin mit Erfahrung in Lehre, Forschung und Beratung im akademischen Bereich und bei gemeinnützigen Organisationen. Als Geschäftsführerin der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität arbeitet sie mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft zusammen, um die Integrität von Forschungsprozessen zu verbessern.
Foto: © ÖAWI

Liegt der Anteil unter einem Prozent oder unter einem Promille?

Dazu haben wir keine Zahlen, aber wenn etwas schiefgeht, ist es natürlich sehr relevant. 2021 erhielt die Geschäftsstelle der ÖAWI 64 Anfragen um Beratungen. Unsere Kommission für wissenschaftliche Integrität befasste sich mit 23 Fällen. Inklusive sieben noch aus 2020 offenen Anfragen wurden im Vorjahr also 30 bearbeitet. Insbesondere größere Forschungsinstitutionen lösen ihre Fälle zumeist selbst. Zu uns kommen komplexe Fälle oder solche, die an der Institution etwa wegen Befangenheit nicht abgeschlossen werden können. Derzeit sind wir dabei, einen Fall abzuschließen, an dem gut sichtbar wird, warum der Schutz der Guten Wissenschaftlichen Praxis so wichtig ist.

Was ist das für ein Fall?

Nachdem unsere Verfahren vertraulich geführt werden, kann ich dazu vorab nichts sagen. Es geht aber zentral darum, dass Forschungsergebnisse von vielen Menschen verwendet werden, um Entscheidungen zu treffen. Wenn sich zeigt, dass publizierte Ergebnisse nicht haltbar sind, kann das ernste Konsequenzen haben.

Welche Formen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens gibt es?

Die bekanntesten Arten sind das Fälschen oder Erfinden von Daten und das Plagiat. Gerade Fälschen oder Erfinden von Daten haben einen direkten Einfluss auf den wissenschaftlichen Prozess. Dieser funktioniert, indem jeder und jede Forschende ihre Ergebnisse anderen zur Verfügung stellt. Dann hat man jeweils ein kleines Stück Wissen mehr, auf dem die Nächsten aufbauen, und so wächst das gesamte Wissen. Wenn aber ein Teil fehlerhaft ist oder erfunden wurde, bricht die Pyramide zusammen. Plagiate sind anders gelagert. Sie haben mit geistigem Eigentum zu tun, etwa indem nicht die richtigen Personen Anerkennung für ihre Leistung bekommen, sondern andere abschreiben oder nicht zitieren und einen Nutzen daraus ziehen, der ihnen nicht zusteht. Das ist ebenfalls systemschädigend, aber im Bezug auf Vertrauen in die Wissenschaft macht es noch mehr Schwierigkeiten, wenn Daten manipuliert werden.

Und andere Formen?

Wissenschaftliches Fehlverhalten ist auch die Behinderung oder Sabotage von Forschungstätigkeiten Anderer oder die berufliche Benachteiligung von Whistleblowern. Weiters gehört die absichtliche Behinderung von Forschungskarrieren, indem man etwa Daten verschwinden lässt, Geräte für die Forschung beschädigt oder zerstört oder unrichtige Angaben in Förderanträgen macht, die andere benachteiligen können. Insbesondere bei Nachwuchsforschern ist das kritisch, weil sie in der Hierarchie weiter unten stehen.

Woran merken Sie es, wenn so etwas im Gange ist?

Jemand gibt Hinweise. Das können Mitglieder eines Forschungsteams sein, Personen aus demselben Institut, Forschungspartner oder Außenstehende. Es kann auch später passieren, wenn die Publikation erschienen ist und Kollegen die Echtheit der Entdeckung für nicht möglich halten.

Und wann werden Sie tätig?

Um tätig zu werden, brauchen wir Belege für den Verdacht. Wenn die ausreichend vorliegen, starten wir. Die Fälle werden vertraulich behandelt, um eine unabhängige und faire Verfahrensführung für alle Betroffenen zu ermöglichen, denn ein Fehlverhalten kann tatsächlich oder auch nicht vorliegen, etwa, wenn Hinweisgeber andere Personen anschwärzen wollen. Alles ist möglich. Wenn die Kommission einen Fall zur Untersuchung annimmt, gibt es einen standardisierten Prozess: Das fachnächste der sieben aus dem Ausland stammenden Mitglieder leitet das Verfahren, zusätzlich bestellen wir bei Bedarf Gutachter. Nach der Untersuchung geben wir eine Empfehlung an die Institution, die dafür zuständig ist, die Konsequenzen zu ziehen.

Was passiert, wenn die Institution den Kopf in den Sand steckt?

Auch das kann passieren. Wir bitten zwar um Rückmeldung, die Institution ist aber nicht verpflichtet, zu antworten.

Wie schützen Sie die Hinweisgeber?

Vor Aufnahme des Hauptverfahrens wird von den Hinweisgebenden die Einwilligung zur Kontaktierung der beschuldigten Partei eingeholt. Ein transparentes, faires Verfahren muss natürlich beinhalten, dass beide Parteien eine Stellungnahme abgeben können. Wenn die hinweisgebende Partei anonym zu bleiben wünscht, muss die Kommission im Einzelfall entscheiden, ob unter diesen Umständen eine Verfahrensführung möglich ist. Beschuldigte tun sich in vielen Fällen nicht schwer, dahinterzukommen, wer die Hinweisgebenden sein könnten, da ja nur wenige Menschen zu diesen Informationen Zugang haben. Manche Hinweisgeber zögern, weil sie schädliche Auswirkungen befürchten. Das muss man diskutieren, damit sie sich der Risiken bewusst sind.

Was motiviert Forschende zu Fälschungen und Fehlverhalten?

Man kann nur mutmaßen, welche Situationen dazu führen, dass das jemand macht. Es kann auch vorkommen, dass man im Nachhinein nicht weiß, wer etwa Daten verändert hat, weil in einem Forschungsprojekt viele Leute an vielen Stellen involviert sind. Viel öfter als Fälschungen kommen aber Verstöße gegen die Gute Wissenschaftliche Praxis vor. Dazu zählen etwa Autorenschaftskonflikte. In den Regeln der guten Praxis ist die Grundannahme, dass jeder genannte Autor voll verantwortlich für alles in der Publikation ist und wenn er das nicht ist, sollte das angeführt sein. Praktisch prüft aber nicht immer jeder die Arbeit der anderen vollinhaltlich nach. Darum ist es eine gute Lösung, in Publikationen aufzuschlüsseln, wer was gemacht hat.

Man hat den Eindruck, dass Plagiatsfälle am öftesten vorkommen, insbesondere wenn Politiker dabei erwischt werden. Stimmt das?

Plagiatsfälle werden am häufigsten in den Medien aufgegriffen und das verzerrt das Bild ihres Einflusses auf den tatsächlichen wissenschaftlichen Prozess. Oftmals handelt es sich um Abschlussarbeiten von Personen, die andere Karrieren haben, aber eine wissenschaftliche Arbeit verfasst haben, um einen Abschluss zu bekommen. Von der Summe aller Studien ist die große Mehrheit einwandfrei. Wenn Fälle von Fehlverhalten wie Stecknadeln in einem Heuhaufen sind, wären Plagiate eben nur eine Untergruppe von Stecknadeln. Dieses Verhalten rechtzeitig zu verhindern und Verdachtsfälle zu untersuchen, ist wichtig für die Qualität der Wissenschaft, in der öffentlichen Wahrnehmung ist es aber auch wichtig, die Relationen im Auge zu behalten.

Wiener Zeitung, 16. September 2022