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Die Feile und das Küchenmesser#

Von Martin Krusche#

Was haben Paradeiser in einer Technologiedebatte zu suchen? Das wurde mir erst klar, als ich den großen Topf auf meinem Herd hatte. Dünnwandig mit dickem Boden, hoch, für ein Volumen, mit dem man eine stattliche Tischrunde sattkriegen würde.

Ich hab mir den vor Jahren gekauft, weil es mir auf die Nerven ging, daß allerhand Speisen beim Kochen durch die Gegend spritzen, wobei Paradeissuppe einer der flüchtigen Spitzenreiter ist. Aber bei diesem großen Topf hat das bisher kein Lebensmittel geschafft.

Was das Schneiden und Feilen von Stahl angeht, bin ich derzeit im Pausenmodus. Zu heiß! Kürzlich traf ich Meister Lukas auf der Straße. Auch er meidet seine Werkstatt bei diesem Klima. Unsere Räume werden ja nicht runtergekühlt wie der nächstliegende Supermarkt. (Ich staune über den enormen Energieaufwand, der in manchen Läden eine Art exterritoriale Klimazone schafft.)

Die Querverbindung#

Ich bin ein Mann ohne nennenswerte handwerkliche Talente und der gleiche Mangel zeigt sich auch in meiner Küche. Daß ich mich dennoch in beiden Genres immer wieder einmal versuche, hat seinen Zweck nicht im möglichen Werkstolz, den hinreichende Kompetenz möglich macht. Ich muß mich da mit Erfahrung und Erkenntnis begnügen.

Diese überaus heißen Sommertage im Augst 2022 hatten mir im genau richtigen Moment ein Gewitter beschert. Der Raum, in dem ich dann zu tun hatte, ist nach drei Seiten mit Fenstern versehen. Ich konnte also eine Situation schaffen, in der ein regenfeuchter Wind durch die Küche fegte, um mir für einige Stunden das passende Klima zu schaffen.

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Tags davor war ich mit einem Geschenk nach Hause gekommen. Ein Berg von Paradeisern ganz unterschiedlicher Sorten. Von der Beeren- und Kirschengröße aufwärts. Ich hab später erfahren, daß es zum Beispiel eine Sorte namens Ochsenherz gibt, bei der die einzelne Frucht bis zu einem Kilo schwer werden kann. Mir wurde die Querverbindung zwischen Werkstatt und Küche erst klar, als ich begann, das Wurzelgemüse, mit dem ich den Tomatentopf anreichern würde, zu zerkleinern.

Quellenlagen#

Wir schöpfen oft bei ganz unterschiedlichen Tätigkeiten so manches Detail aus den gleichen Quellen. Beim Gemüseschnippseln stellte sich ein, was ich schon kannte. Aber neuerdings kann ich es mit dem Feilen von Stahl assoziieren. Das geht so. Erst einmal muß ich innerlich langsamer werden, denn ich arbeite mit einer scharfen Klinge und es nimmt Zeit in Anspruch.

Die Tätigkeit könnte vermutlich nur ein versierter Sushi-Meister beschleunigen, ich aber muß behutsam vorgehen. Diesmal ergab sich noch eine eigene Tempoverminderung durch die vielen Paradeis-Winzlinge im schon erwähnten Beeren- und Kirschenformat.

Im Kontrast dazu: Beim Feilen von Stahl schafft jedes unbedachte und schnelle Zugreifen einen Fehler in die Oberfläche und vergrößert damit den Arbeitsaufwand. Da wie dort also: Langsam werden. Geduld aufbringen. Bedächtigkeit. (Der Vorteil beim Gemüse: da geht es nie um Hundertstel an Millimetern.) Nach der Arbeit riechen meine Finger noch geraume Zeit nach dem Material. Ich verzichte aufs Händeschrubben, weil ich solche Spuren an mir mag.

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Beim Stahl sind es einerseits Späne, fast so fein wir Puder, die sich beim Schraubstock ablagern, andrerseits noch feinere Partikel, die sich als Metallgeruch verbreiten. Auch darin hat der Umgang mit Gemüse und der mit Stahl einige Berührungspunkte. Ich weiß schon, damit wird sich ein Handwerker bei der Alltagsarbeit nicht befassen können. Aber ich hab in der Sache ja andere Aufgaben.

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Perspektiven?#

Das konnte ich übrigens dieser Tage mit einem Fabrikarbeiter meiner Generation bereden. Er hat, wie Legionen in seiner Profession, die Berufsausbildung mit dem Feilen von Stahl begonnen. Und er hat es nicht leiden können, denn das ging Monate hin. „Aber man lernt Genauigkeit“, sagte er. Dabei stellt sich dann die Frage, was aus solchen Fertigkeiten wird, wenn im Handwerklichen nur noch Maschinen zum Einsatz kommen.

Können wir darauf verzichten? Ist es der normale Lauf kultureller und sozialer Kompetenzen, daß viele davon im Lauf der Zeit verschwinden? „Wenn es einmal weg ist, kommt es nicht wieder“, sagte der Fabrikarbeiter.

Vertiefend#

Siehe zum Thema auch: „Das Sägen und Feilen“ (Ein stahlhartes Postskriptum)! Zum größeren Zusammenhang und zum Ende einer Ära („Dampfmaschinenmoderne“) siehe: „Hintergrundfolie: Technik“; ein Beitrag zum Projekt „Der milder Leviathan“!