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Hintergrundfolie: Technik#

(Zu „Der milde Leviathan“)#

Von Martin Krusche#

Wissenschafter Hermann Maurer ist ein Informatiker, dessen Berufslaufbahn ab den 1950er Jahren quer durch die Geschichte des Computerzeitalters führt. Er gehörte zum Team von Heinz Zemanek. Diese Gruppe arbeitete an einem „Binär dezimalen Volltransistor-Rechenautomaten“. (Das 1958 vorgestellte „Mailüfterl“ ist der erste vollständig mit Transistoren arbeitende Computer Europas.)

So war es für mich naheliegend, ihn zu befragen, ob er meiner Auffassung zustimmt, daß die Digitale Revolution des vorigen Jahrhunderts als Dritte Industrielle Revolution gedeutet werden kann, die inzwischen ihrerseits in einen neuen Abschnitt übergegangen ist. Bei all den typischen Schwierigkeiten, um eine Ära zu definieren, also etwa genau einzugrenzen, können wir für unser Vorhaben bei diesen Zuschreibungen bleiben.

Die Geschichte der Neudauer Textilfabrik beginnt mit der Ersten Industriellen Revolution, hat die Digitale Revolution durchlaufen und in der aktuellen Ära geendet. Sie steht unter anderem für rund 200 Jahre einer permanenten technischen Revolution. Ich werde den Erfahrungen und Ansichten Maurers noch einen eigenen Text widmen, um zu verdeutlichen, vor dem Hintergrund welcher Prozesse diese Fabriksgeschichte geendet hat und was die neue Ära in einigen grundlegenden Punkten ausmacht.

Dahin zielt ja auch das Nachdenken über Neudau. Daran ist etwas Exemplarisches bezüglich der Geschichte der Steiermark. Es könnte sein, daß diese Hintergrundfolie für unser Vorhaben im Bereich der Wissens- und Kulturarbeit maßgebliche Bedeutung erhalten kann. (Das zu klären ist ein aktueller Teil der anstehenden Arbeit.) In der folgend groben Anordnung einstmals technischer Neuerungen läßt sich das Werden des Maschinenzeitalters an ein paar markanten Ereignissen veranschaulichen.

Informatiker Hermann Maurer
Informatiker Hermann Maurer

Eins, zwei und drei#

James Watt erhielt für seine Optimierung der Dampfmaschine im Jahr 1769 das Patent No 913. Das physikalische Prinzip war schon lange bekannt. Aber Energieaufwand und Energieausbeute des Apparates standen davor in keinem nützlichen Verhältnis zueinander. Watt brachte also die Grundlagen der Maschine in den anwendbaren Bereich. („To all to whom these presents shall come, I, James Watt, of Glassgow, in Scottland, Merchantt, send Greeting. Wheras His most Excellent Majesty King George the Third, by His Letters Patent under the Great Seal of Great Britain…“)

Im Jahr 1789 gründet Graf Karl Batthyány die erste mechanische Baumwollspinnerei Österreich-Ungarns. Hier beginnt die Geschichte jenes Betriebes in Neudau, den wir derzeit zu unserem Thema machen.

In den Jahren 1815/16 bereiste Erzherzog Johann von Österreich mehrfach England, traf sich unter anderem mit James Watt, notierte in seinen Tagebüchern penibel, was er an Eindrücken gewonnen und Know how erhalten hatte. Die Erste Industrielle Revolution begann also Ende des 18. Jahrhunderts und wurde zum Fundament der Rolle Englands als führende Industriemacht der Welt.

Deutschland und die USA konnten das 19. Jahrhundert nutzen, um gleichzuziehen. Ein Weg, der über etliche Hürden führte. Technikhistoriker Wolfgang König: „Auf der Weltausstellung von Philadelphia 1876 wird das geflügelte Wort 'billig und schlecht' als Kennzeichnung der deutschen, dort ausgestellten Produkte geschaffen.“

Das permanente Wettrennen#

Die Kennzeichnung „Made in Germany“ war ursprünglich vom britischen Gesetzgeber vorgeschrieben worden, um minderwertige Importe aus Deutschland zu markieren und so die englischen Produkte gegen Konkurrenz zu schützen; der Merchandise Marks Act von 1887. („Any person who falsely represents that any goods are made by a person holding a Royal Warrant, or for the service of Her Majesty, or any of the Royal Family, or any Government department, shall be liable, on summary conviction, to a penalty not exceeding twenty pounds.“)
Werkstatt von James Watt. (Foto: Frankie Roberto, CC BY 3.0)
Werkstatt von James Watt. (Foto: Frankie Roberto, CC BY 3.0)
Stephenson’s Lokomotive „Rocket“. (Foto: William M. Connolley, CC BY-SA 3.0)
Stephenson’s Lokomotive „Rocket“. (Foto: William M. Connolley, CC BY-SA 3.0)
Bemerkenswert, daß dieses Stigma umgedreht wurde und „Made in Germany“ zu einem Qualitätskennzeichen gewandelt werden konnte. Mit dem Jahr 1909 bekamen all diese Prozesse über Aviatik und Automobilismus radikale Akzente. Von da an setzte die Zweite Industrielle Revolution als eine Automatisierungswelle gleichermaßen massiv in Europa wie in den USA ein.

Neue Produktionsverfahren ermöglichten Stückzahlen, die zuvor unmöglich waren. Das heißt, Massenproduktion und Massenkonsum begannen sich einander anzunähern. Aus jener Ära stammt die in Graz noch passabel erhaltene Halle des Stammwerkes aus den Tagen von Johann Puch, auch wenn sie ursprünglich fast doppelt so lang war. Sie ist der materielle Ausdruck neuer Abläufe im Fahrzeugbau.

Abstrakte Maschinen#

Lange Zeit war die Dampfmaschinenmoderne von konkreten Maschinen geprägt, was bedeutet: ihr Aussehen legte gewöhnlich ihre Funktion offen. An der Bauweise erkannte man (bei ausreichender Branchenkenntnis) was die Maschine tut. Mit dem eingangs erwähnten „Mailüfterl“ von 1958 ist ein Beispiel genannt, wie sich nun zunehmend abstrakte Maschinen breit machten, deren Funktion erst durch ihre Programmierung präzisiert wird. Soweit ich mich erinnere, sind die dreißig Jahre danach jene Phase, in der sich die Digitale Revolution vollzog.
1913: Die Automatisierung der Produktionsprozesse in den Puchwerken durch neue Maschinen in neuen Hallen – (Foto: Allgemeine Automobil-Zeitung)
1913: Die Automatisierung der Produktionsprozesse in den Puchwerken durch neue Maschinen in neuen Hallen – (Foto: Allgemeine Automobil-Zeitung)
Heinz Zemanek im Dezember 1999 im Technischen Museum vor seinem ersten Transistorencomputer „Mailüfterl“. (© APAweb, Harald Schneider)
Heinz Zemanek im Dezember 1999 im Technischen Museum vor seinem ersten Transistorencomputer „Mailüfterl“. (© APAweb, Harald Schneider)
In den 1970er Jahren haben bei uns Ingenieure noch wichtige Leistungen geschafft, indem sie programmierbare Taschenrechner benutzten. Mitte der 1980er Jahre waren Microcomputer halbwegs leistbar und zogen als Personal Computers in unzählige Haushalte ein. Über Modems, Bulletin Board Systems etc. wurden Online-Situationen leistbar. (Da war ich schon dabei.)

Mobiltelefone erhielten in Sprüngen eine Rechenleistung, die sehr bald jene Computerkapazität übertraf, mit der einst die Mondlandefähre bewegt wurde; der „Eagle“ von 1969. Anfang der 1990er Jahre zog per Protokoll TCP/IP das Internet in Österreich ein. Die „Volkscomputerisierung“ hatte sich also in zwei Jahrzehnten durchgesetzt, Netzzugänge wurden nun laufend preiswerter.

Die Digitale Revolution ist im Kasten#

Für den Kulturbereich und die heimische Netzkulturszene läßt sich sagen: die Medienkonferenz Linz 1999 unter dem Titel „Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik“ wurde mit der „Linzer Erklärung 1999“ abgeschlossen. Damit mag die Digitale Revolution als vollzogen erscheinen. (Siehe dazu den Link am Seitenende!)
Cover der Kronen Zeitung vom 20.10.1909
Cover der Kronen Zeitung vom 20.10.1909

Wie der ersten Phase unserer Dampfmaschinenmoderne ein enormer Automatisierungsschub folgte, welcher spätestens zwischen 1909 und dem Großen Krieg manifest wurde, so hat sich aus der Digitalen Revolution heraus ebenfalls ein Automatisierungsschub entfaltet, der offenbar weit mehr in die Conditio humana eingreift, als die einstigen Maschinen.

Ich mag das stillgelegte Werk von Neudau als Metapher für diesen Umbruch sehen. Wir haben uns mit Maschinensystemen verzahnt, die in günstiger Deutung unsere kognitiven Leistungen unterstützen und verstärken. Naturgemäß sind auch problematische Seiten zu identifizieren. Erneut ist längst eine Lawine in Gang, zu der ich mich frage: Werde ich sie surfen können oder wird sie mich wegreißen und begraben?“

Vertiefend#