Zwei Erzherzöge und die Geister #
Wie Kronprinz Rudolf und Erzherzog Johann Salvator 1884 einem berühmten Scharlatan das Handwerk legten. – Eine historische Miniatur.#
Von der Wiener Zeitung (Samstag, 27. August 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Georg Hamann
Mit der Leichtgläubigkeit der Menschen hat man bekanntlich schon immer viel Geld verdienen können. Wer sich einigermaßen geschickt anstellte, konnte sich etwa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als spiritistisches „Medium“ Zugang zu den höchsten Kreisen Europas und Amerikas verschaffen. Der Okkultismus war groß in Mode und schlug Millionen Menschen in seinen Bann. In bürgerlichen Salons und Adelspalais traf man einander zu unheimlichen Séancen und Geisterbeschwörungen.
Kronprinz Rudolf schrieb 1882 an seinen Vertrauten Moritz Szeps: „Die Leute hören nicht gerne die Wahrheit; entweder sind sie aus Dummheit oder aus Mangel an anderen besseren Kenntnissen oder weil es jetzt elegant ist . . . Spiritisten geworden; ein großer Teil der Wiener und auch der hiesigen Aristokratie interessiert sich sehr für diese Dinge.“
Gespensterfurcht #
Rudolf wusste, wovon er sprach. Hart hatte er einst daran arbeiten müssen, sich selbst vom peinigenden Geisterglauben zu befreien. Als sensibler, kränklicher und – durch die frühe militärische Erziehung – traumatisierter Knabe litt er sehr unter der Furcht vor Gespenstern. Sein Geschichtslehrer Zhisman notierte in sein Tagebuch, der 13-jährige Kronprinz sei bereits beim Wort umbrae (lat. Schatten oder Geister) zusammengezuckt. Darüber hinaus war Rudolfs eigene Mutter, Kaiserin Elisabeth, überzeugte Spiritistin, die, wie sie meinte, mit den Geistern Heinrich Heines und Ludwigs II. von Bayern in Kontakt stand.
Doch die modernen Naturwissenschaften und die Kraft des Intellekts halfen Rudolf letztlich, seine irrationale Furcht zu überwinden. Nun war er, wie er es ausdrückte, bereit, „in die Arena zu treten“, um gegen die „dunklen Apostel einer noch dunkleren Lehre“ vorzugehen. Gemeinsam mit dem skandalumwitterten Maler Hans Canon besuchte er spiritistische Sitzungen, um diese dann in (natürlich anonymen) Artikeln anzuprangern und zu verhöhnen. Unter seinen Verwandten fand er in Erzherzog Johann Salvator (Fdem später aus der Familie Habsburg ausgetretenen Johann Orth) einen gleich gesinnten Mitkämpfer. Gemeinsam fasste man den Plan, eines der damals berühmtesten Medien, den Amerikaner Harry Bastian, als Hochstapler und Betrüger zu entlarven.
Bastian galt als ein „zweiter Cagliostro“. Er konnte im Zuge von sogenannten „Materialisierungssitzungen“ Kontakt zur „vierten Dimension“ herstellen, zur Welt der Seelen von Verstorbenen – das behauptete er zumindest, und seine ebenso zahlungswillige wie zahlungskräftige Kundschaft glaubte es nur allzu gerne. In Wien hatte Bastian vor allem in Baron Lazar von Hellenbach einen glühenden Anhänger und Bewunderer. Dieser, ein reicher Privatgelehrter und zu jener Zeit der bekannteste Fürsprecher des Spiritismus in Österreich, lud immer wieder berühmte internationale Medien zu Séancen nach Wien ein. Auch Hellenbach sollte in der Öffentlichkeit bloßgestellt werden, so der Plan der beiden Erzherzöge.
Um Bastian als Scharlatan entlarven zu können, brauchten Rudolf und Johann Salvator jedoch fachkundige Hilfe – nämlich einen Zauberer! Schließlich wusste niemand besser Bescheid über die ausgeklügelten Tricks, derer sich die spiritistischen Medien bedienten, als Zauberkünstler, und damals gab es in Österreich keinen berühmteren als George Homes.
Mit bürgerlichem Namen hieß er Emil Gottlieb, war in Brünn geboren und hatte gemeinsam mit seiner Ehefrau und Bühnenpartnerin Maria Homes-Fey seit den frühen 1870er Jahren internationalen Erfolg. Ob in New York oder Berlin, St. Petersburg, Athen oder Konstantinopel, überall füllte das Paar als „Homes und Fey“ die großen Säle. In ihren aufwendigen Shows schwebten Möbel wie von Geisterhand getragen durch die Luft, der Geist Maria Stuarts erschien und Madame Fey setzte das Publikum mit ihren Fähigkeiten im Gedankenlesen in helles Erstaunen.
Illusionskünstler #
Homes und Fey waren Illusionskünstler, die sich klar von den selbst ernannten Medien abgrenzten und keinen Zweifel daran ließen, dass all der Hokuspokus auf der Bühne reines Blendwerk sei, nichts als Unterhaltung – allerdings äußerst raffiniert dargeboten und stets auf dem neuesten technischen Stand. Sie arbeiteten mit versteckten Telefonkabeln, Sprechcodes, Entfesselungen, Verkleidungen und vielem mehr und kamen auf diese Weise gänzlich ohne „vierte Dimension“ aus, um Geister erscheinen zu lassen. Was der weltberühmte Harry Houdini später in den USA machte, machten Homes und Fey in Europa: Sie stellten sich gegen jene, die ihre technischen Tricks als übersinnliche Kräfte verkauften. Die Leipziger „Illustrierte Zeitung“ schrieb einmal anerkennend: „Mit Dank muss es aber begrüßt werden, daß Herr G. Homes und seine Gattin Frau Homes-Fey an der großen Mission aller Vernünftigen theilnehmen, das Volk vor den Irrlehren der Spiritisten zu bewahren.“
Homes und Fey schienen also die geeigneten Ratgeber für Kronprinz Rudolf und Erzherzog Johann Salvator zu sein. Letzterer wandte sich Anfang 1884 unter falschem Namen an das Künstlerpaar, das gerade in Ungarn auftrat, und engagierte es für einige Privatvorstellungen in Wien. Diese fanden in der Seilerstätte statt, in der Wohnung der Tänzerin Milli Stubel (jener Frau, die Johann Salvator wenige Jahre später heiratete und damit den Bruch mit seiner Familie perfekt machte). Hier erst gaben sich die beiden Erzherzöge zu erkennen und brachten Homes und Fey gegen Zahlung einer hohen Summe dazu, ihnen die raffinierten Geister- Kunststücke zu erläutern. Solcherart vorbereitet, nahm man Kontakt mit Baron Hellenbach auf, den man bat, Harry Bastian für einige Séancen nach Wien einzuladen. In der Wollzeile 40 (heute Dr.-Karl-Lueger-Platz 2), in der Privatwohnung Johann Salvators, wurden diese schließlich im Februar 1884 abgehalten.
An den ersten zwei Abenden beschränkten sich die beiden Habsburger auf das Beobachten und verhielten sich still, um Bastian nicht misstrauisch zu machen. Am dritten Abend aber, dem 11. Februar, sollte ihre Falle zuschnappen – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. An der Séance nahmen neben Rudolf, Johann Salvator und Baron Hellenbach auch der Fürst Batthyány, Baron Schleußnigg und Oberstleutnant Mentzhenger teil. Die Herren hatten in einem abgedunkelten Zimmer zu sitzen und einander an den Händen zu halten, während sich Harry Bastian im Nebenraum in Trance versetzen wollte, um in Kontakt mit den Verstorbenen zu treten. Tatsächlich schien über den Köpfen der Männer plötzlich eine Gitarre zu schweben, die wie von Geisterhand gespielt wurde, dann rasselte ein Tamburin und eiskalte Hände berührten flüchtig die Sitzenden.
Dann folgte der Höhepunkt des Abends: die Materialisierung der Geister. Während Baron Hellenbach am Klavier für stimmungsvolle Begleitmusik sorgte, erschienen nacheinander vor dem schwarzen Vorhang, der das Zimmer von Bastians Kabinett trennte, im schwachen Kerzenschein mehrere diffuse weiße Gestalten – offenbar die Geister, die das Medium mittels okkulter Kräfte herbeigerufen hatte. Plötzlich erhob sich Kronprinz Rudolf, und Johann Salvator zog ruckartig an einer verborgenen Schnur hinter seinem Stuhl. Diese führte zu einem eigens eingebauten Schnappmechanismus, der dafür sorgte, dass die Verbindungstür zum Kabinett mit lautem Krachen zufiel.
Geist in Socken #
Der Geist war nun zwischen Vorhang und Tür gefangen und entpuppte sich wenig überraschend als Harry Bastian, dessen Füße in dicken Socken steckten, die seine Schritte dämpften. Schnell zog er sich den weißen Schleier vom Gesicht, mit dem er sich verkleidet hatte, und stopfte ihn sich in die Fracktasche. Vor Angst zitternd wurde er von Rudolf und Johann Salvator den verblüfften Gästen präsentiert.
In Windeseile packte Bastian seine Sachen zusammen und verschwand – froh, nicht der Polizei ausgeliefert zu werden – noch am selben Abend aus Wien. Unter den Herren verbreitete sich allgemeine Heiterkeit. Rudolf schrieb am nächsten Tag: „Ein geistvoller und wohlkombinierter Coup war vollständig gelungen, dem modernsten Aberglauben, dem Spiritismus, eine tiefe Wunde geschlagen.“ Die Zeitungen im In- und Ausland berichteten ausführlich über die spektakuläre Entlarvung des amerikanischen Hochstaplers. In der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ las man: „Dass abermals ein Medium als grober Betrüger entlarvt wurde . . . wird zahllose Menschen diesem abgeschmackten Aberglauben entfremden. Der Spiritismus selbst ist jedoch damit noch lange nicht erschüttert.“
Zaubervarieté #
Letzteres stimmte zweifellos, konnte doch nicht einmal Baron Hellenbach sich dazu durchringen, Abstand vom Geisterglauben zu nehmen. In einem Interview mit dem „New York Herald“ verteidigte er Bastian vielmehr: Dieser sei ohne jeden Zweifel ein echtes Medium, habe aber offensichtlich seine Kraft eingebüßt, weshalb er nun gezwungen sei, zu schwindeln. Hellenbach beharrte darauf: „Ich berufe mich auf Tatsachen! Diese Tatsachen sind unleugbar! Ich habe sie selbst beobachtet! . . . Der Schwindel eines Einzelnen kann an diesen Tatsachen nichts ändern!“
Homes und Fey führten ihre Shows übrigens noch jahrelang erfolgreich fort. 1890 eröffneten sie den „Salon moderner Wunder“ (Schubertring 7, später in der „Casa piccola“, Mariahilferstraße 1), eine Mischung aus Zaubervarieté und Museum. 1901 übersiedelten sie damit auf den Kohlmarkt 10, wo sie im folgenden Jahr eines der ersten Kinos Wiens gründeten. Der Erste Weltkrieg bedeutete für den mittlerweile verwitweten Homes allerdings den Anfang vom Ende. Er musste sein Kino auflassen und zog ab 1918 mit einem tragbaren Projektor durch die Landgasthäuser in der Umgebung Wiens. Seine finanzielle Lage und seine Gesundheit verschlechterten sich zusehends, mit seiner zweiten Ehefrau lebte er zum Schluss in bitterer Armut.
Zeit seines Lebens hatte der einst international gefeierte Illusionist sich gegen jene gestellt, die den Menschen mit esoterischen und okkulten Pseudowissenschaften das Geld aus der Tasche zogen. Es ist daher eine bittere Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet er als alter, bettelarmer und fast erblindeter Mann darauf angewiesen war, sich seinen Lebensunterhalt durch Kartenlegen und Handlesen zu verdienen. 1934 starb Emil Gottlieb alias George Homes im Alter von 83 Jahren.
Information#
Georg Hamann, 1972 in Wien geboren, ist als Historiker auf die Wiener Stadtgeschichte spezialisiert.Der Text entstammt seinem neuesten Buch, „50 x Wien, wo es Geschichte schrieb“ (Amalthea Verlag, 272 Seiten, 25€).