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Die letzten Tage der Monarchie#

In nur vier Wochen löste sich die Herrschaft der Habsburger auf: Ein Rückblick auf die Ereignisse ab Mitte Oktober 1918 - bis zum Waffenstillstand.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 27. Oktober 2018

Von

Gerhard Stadler


Villa Giusti am südwestlichen Stadtrand von Padua
In der Villa Giusti am südwestlichen Stadtrand von Padua erfolgten am 3. November 1918 um 15 Uhr die letzten Unterschriften für Österreich-Ungarn: bedingungslose Kapitulation.
Foto: © Stadler

Die Auflösung der langen Herrschaft der Habsburger über zuletzt rund 676.000 km² und 52 Mio. Einwohner geschah in vier Wochen, ab Mitte Oktober 1918. Sie kam nicht unerwartet, aber doch für alle überraschend und unvorbereitet - mit Ausnahme der tschechischen Emigration, die unter Thomas Masaryk und Edvard Bene auf die Loslösung hingearbeitet hatte. Der Weltkrieg war Katalysator der zum Zerfall der Donaumonarchie führenden Entwicklungen. Diese begannen 1867, als Kaiser Franz Joseph nach der Niederlage von Königgrätz den Ausgleich mit Ungarn eingehen musste. Ungarn wurde im damit geschaffenen Doppelstaat ein Veto-Recht de facto nicht nur in den gemeinsamen Angelegenheiten (Außenpolitik, bewaffnete Macht und deren Finanzierung) eingeräumt: Der 1867 bei der Krönung auf die ungarische Verfassung abgegebene Eid band Franz Joseph auch an die auf der Dominanz des ungarischen Adels beruhende Machtverteilung. Sie verunmöglichte jede Demokratisierung und die Besserung der Stellung der Nationalitäten (in der ungarischen Reichshälfte zusammen 50 Prozent).

Segregation als Maxime#

Die zweite Bruchlinie war ähnlich: In der österreichischen Reichshälfte setzten sich die Deutschsprachigen, obwohl mit ca. 30 Prozent in der Minderheit gegenüber den Nord- und Südslawen, gegen diese regelmäßig durch. Im Reichsrat, wo die Wahlrechtsreformen bei weitem nicht zu einer gleichen Vertretung aller Bürger geführt hatten, wurden fast alle Versuche der Wiener Regierung zu einer Verbesserung der Lage der Nationalitäten torpediert. Dort wie in den Landtagen stellte niemand das Nationale zurück; Segregation statt Integration blieb die Maxime.

Nach Kriegsbeginn trafen die Standgerichtsurteile meist Angehörige der Nationalitäten, denen Kollaboration mit dem Feind vorgeworfen wurde. Für das Ausland war die Monarchie der "Völkerkerker". Als Kaiser Karl im Manifest am 16. Oktober 1918 endlich eine Umgestaltung zu einem (monarchischen) Bundesstaat in Aussicht stellte - mit Aussparung der ungarischen Länder, deren Verfassung er bei seiner Krönung bereits am 31. Dezember 1916 beeidet hatte -, waren die Antworten der slawischen Politiker nur mehr "Zu spät, Majestät".

Eine weitere, den österreichischen Teil der Monarchie stetig schwächende Entwicklung war die wachsende Abstinenz des Hochadels von öffentlichen Ämtern. Sie reichte bis ins allerhöchste Haus: Von den etwa 120 Erzherzögen hatte kaum ein Dutzend andere als Repräsentativfunktionen. Der Kreis um den Kaiser, aus dem er seine Regierungen besetzen konnte, wurde immer kleiner und älter; in Ungarn war er zudem von der Mehrheit im Parlament abhängig.

Der Hochadel ersetzte sein Wirken für den Staat durch eines in den eigenen Besitzungen. Dabei war er meist erfolgreich, wie der Aufbau der Industrien in Böhmen und Mähren zeigt und die Groß-Landwirtschaften der Habsburger in Ungarn und Galizien. Auch das Bürgertum setzte sein Augenmerk auf wirtschaftliche Tätigkeiten. Sein politisches Engagement blieb, mit Ausnahme nationaler und sozialer Ziele, gering. Der "Staat" bestand letztlich aus dem Kaiser ergebenen Beamten und einem ebensolchen Offizierskorps. Der Einfluss der katholischen Kirche zugunsten des Staats und der Dynastie wirkte zwar noch, doch darf für die letzten Jahrzehnte nicht vergessen werden, , dass im niederen Klerus der südslawisch- und italienischsprachigen Regionen eine Keimzelle der Separationsbewegungen entstand.

Anlehnung an Berlin#

Österreich-Ungarn war eine Großmacht. Doch ihre Außenpolitik litt unter Ambivalenz zwischen der vor allem seit 1878, dem "Danaergeschenk" Bosnien-Herzegowina, notwendigen Orientierung nach dem Balkan, der latenten Bedrohung durch das Zarenreich, und dem zweifelhaften Bündnis mit Italien - das aus seinem Drang nach "Trento e Trieste" keinen Hehl machte. In dieser Lage wurde die Anlehnung an Berlin als beste Alternative gesehen - sie war die von den Deutschen Österreichs und den Ungarn geforderte. Doch während des Weltkrieges und definitiv nach der "Sixtus-Affäre", in der Kaiser Karl im April 1918 gegenüber Deutschland Vertrauensbruch nachgewiesen wurde, wurde sie zur Fessel.

Die am 13. Mai folgende Militärkonvention mit der Unterstellung der k.u.k. Armee unter die (deutsche) Oberste Kriegsleitung wurde zum Todesurteil der Monarchie: Noch in den "14 Punkten" des US-Präsidenten Wilson vom 8. Jänner 1918 finden sich zur Donaumonarchie nur zwei Sätze über Kriegsziele: "A readjustment of the frontiers of Italy should be effected along clearly recognizable lines of nationality" - und "The peoples of Austria-Hungary, whose place among the nations we wish to see safeguarded and assured, should be accorded the freest opportunity to autonomous development." Doch im Juni 1918 wurde eine Tschecho-Slowakei von den Alliierten als kriegführende Macht anerkannt, damit die Auflösung Österreich-Ungarns antizipierend.

Dass der Krieg, in den die k.u.k. Soldaten und Offiziere, blumengeschmückt, im Sommer 1914 ausgezogen waren, im Glauben spätestens zu Weihnachten wieder zu Hause zu sein, im Sommer 1918 schon vier Jahre dauerte, war Drama - für die Gefallenen, Vermissten, Verwundeten und ihre Angehörigen, für die Gefangenen, Flüchtlinge und Deportierten. Aber die Dauer kostete auch den Habsburgern ihr Reich. Zwar waren 1914 die Niederlagen gegen Russland in den Steppen Galiziens und das Versagen der Führung gegen Serbien katastrophal, doch 1915 konnten die Fronten stabilisiert, ja mit der Kriegserklärung Italiens im Mai ein Gegner gefunden werden, gegen den zu kämpfen alle zustimmten - kurzfristig war der Krieg wieder populär.

Dies ausnützend, agierte die k.u.k. Kriegspropaganda geschickt. Sie konnte lange die Aussicht auf einen Siegfrieden verbreiten: die Besetzung Belgrads, der Sieg über Rumänien, der Ausfall der russischen Front nach der Revolution, der unerwartet weitreichende Sieg in der XII. Isonzoschlacht im Oktober 1917 - der k.u.k. und deutsche Truppen, allerdings mit Einsatz des geächteten Giftgases, bis weit nach Venetien führte -, im Frühjahr 1918 die "Brotfrieden" mit der Ukraine, Sowjetrussland und Rumänien. Alles Pyrrhussiege: Für die militärischen Transporte waren die Infrastrukturen so überbelastet worden, dass danach die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln nicht mehr möglich war. Hunger und Streiks griffen im Hinterland um sich, Desertionen begannen sich zu häufen.

Der Anfang vom Ende#

Der Kaiser und sein Generalstab versuchten, gegen Italien in Venetien den Sieg herbeizuführen - durch Überquerung der Piave und den Talstoß vom Monte Grappa. Doch die Soldaten waren ausgemergelt, das Material nur mehr Ersatz, Munition Mangelware, die Führung uneins über die Taktik, keine deutsche Hilfe, und die Italiener durch britische, französische und erste US-Truppen unterstützt - schon im November 1917 hatten die Alliierten Italien die weitere volle Hilfe zugesichert.

An diesem Tisch in der Villa Giusti wurde der Waffenstillstand am 3. November unterfertigt
An diesem Tisch in der Villa Giusti wurde der Waffenstillstand am 3. November unterfertigt.
Foto: © Stadler

Am 21. Juni, nach nur fünf Tagen, muss die Offensive abgebrochen werden. Im Oktober folgt eine italienische Offensive - Italien braucht für die Friedensverhandlungen eine überzeugende Ausgangsposition. Doch das Ende bahnt sich von einer anderen, bis dahin unbeachtlichen Front an: Nördlich von Saloniki steht die bulgarische Armee, nur von geringen deutschen und k.u.k. Truppen unterstützt, gegen eine französische Armee. Am 14. September greift diese an, die mit den Mittelmächten verbündeten Bulgaren ergeben sich und schließen Waffenstillstand. Von dort bis Budapest gibt es keine k.u.k Truppen, die den Vormarsch der Franzosen und Serben aufhalten könnten. Ungarn befiehlt seinen Truppen, aus Vene-tien zur Verteidigung der Heimat zu kommen; ähnlich verhalten sich andere nicht-deutsche Truppenteile - unter Berufung auf das Manifest Karls vom 16. Oktober. Am 26. Oktober löst Karl das Bündnis mit dem Deutschen Reich, am 29. befiehlt er einer k.u.k. Waffenstillstandskommission, mit einer weißen Fahne die Frontlinie südlich von Rovereto zu überschreiten.

Erst am 1. November kommt es in der Villa Giusti, zwischen dem italienischen Hauptquartier Abano und Padua, zum Treffen mit der italienischen Delegation. Deren Entwurf des Waffenstillstandes verlangt absolute Kapitulation, Rückzug aller Truppen auf die Brenner-Linie und aus Istrien wie Dalmatien (die Italien im Londoner Vertrag vom April 1915 für den Kriegseintritt zugesichert worden waren) und freie Bewegung alliierter Truppen in Österreich.

Chaostage im November#

Der Kaiser sucht die österreichischen Parteiführer und einen neuen Generalstabschef in die Verantwortung einzubinden, vergebens. Schließlich befiehlt er die Unterschrift. Telegramme gehen an die Armeekommandanten, dass die Bedingungen angenommen wurden und die "Feindseligkeiten unverzüglich einzustellen" sind. Dies erfolgt aber gut zehn Stunden vor der Unterschrift in der Villa Giusti.

Als die österreichische Delegation dort von den Italienern informiert wird, dass die Unterschrift um 15 Uhr des 3. Novembers erfolgen soll und der Waffenstillstand erst 24 Stunden später in Kraft treten könne, da man diese Zeit brauche, um die Truppen zu informieren, will sie das AOK erreichen. Das gelingt nach Stunden. Dort wird versucht, den Feuereinstellungsbefehl zurückzunehmen, was das Chaos nur noch vergrößert.

Gerhard Stadler, Sektionschef i.R., hat sich im letzten Jahrzehnt intensiv mit dem Ende der Donaumonarchie befasst und zahlreiche Veröffentlichungen "auf rotweißroten Spuren" verfasst.

Wiener Zeitung, 27. Oktober 2018