„Weniger wird mehr“ #
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 12. November 2015)
Das Gespräch führte
Sylvia Einöder
Quasi alles, was wir heute tun, wirkt sich auf die nächsten Generationen aus. Wie Ressourcennutzung, Investitionen, technischer Fortschritt und institutioneller Wandel nachhaltiger miteinander harmonieren könnten, diskutieren Martina Schuster vom Umweltministerium, Rolf Gleißner von der Wirtschaftskammer und der Nachhaltigkeitsforscher Hans Holzinger.#
DIE FURCHE: In Österreich ist das Wohlstandsniveau inzwischen sehr hoch. Gesundheit und Lebenserwartung steigen weiter, aber es ist fraglich, ob das materielle Wachstum noch steigen wird. Was kann denn jeder einzelne tun, damit es den Kindern einmal genauso gut gehen wird wie uns?
Martina Schuster: Es wird ihnen anders gut gehen. Ich stelle in Frage, ob es uns so gut geht. Der materielle Wohlstand wächst jetzt langsamer, aber er wächst nach wie vor. Ich bezweifle, dass damit auch andere Formen des Wohlstands gewachsen sind. Die Kluft zwischen denen, deren Wohlstand wächst und deren Wohlstand sinkt, wird größer.
Rolf Gleißner: Wir haben eine demografisch problematische Entwicklung, die Sozialsysteme sind darauf nicht vorbereitet. Ich glaube nicht, dass unser System derzeit nachhaltig ist und garantiert, dass es künftigen Generationen genauso gut geht wie uns.
Schuster: Beim Thema Nachhaltigkeit geht es nicht nur um wirtschaftliche Aspekte. Die Wirtschaft wirkt sich auf die Umwelt aus, das zeigt etwa die Ressourcenfrage. Ein Beispiel ist der Boden, unser Flächenverbrauch – da entziehen wir unseren Folgegenerationen zunehmend ihre Lebensgrundlage. Die Flächen werden immer weiter verbaut. Studien zeigen, dass Österreich derzeit nicht mehr lebensmittelautark wäre.
DIE FURCHE: Welche politischen Rahmenbedingungen bräuchte es also?
Gleißner: Es müsste mehr Geld in Zukunftsbereiche wie Bildung, Familien, Frauen etc. investiert werden. Derzeit fließt sehr viel in das Pensionssystem, die Schulden wachsen, aber die Investitionen in Zukunftsbereiche stagnieren. Die neue Studie der Bertelsmann Stiftung zur sozialen Gerechtigkeit in der EU zeigt, dass die Verlierer der Wirtschaftskrise die Jungen sind. Die Jugendarbeitslosigkeit ist am stärksten gestiegen. Trotz des Bevölkerungsrückgangs übergibt man kleineren Generationen höhere Schulden.
DIE FURCHE: Wie definieren Sie also Generationengerechtigkeit?
Holzinger: Künftige Generationen in Österreich werden es gut haben, weil Österreich eines der reichsten Länder ist. Sorgen mache ich mir um die Generationen außerhalb Österreichs. Es ist zu befürchten, dass jene, die bereits jetzt klimatisch, ökonomisch oder sozial benachteiligt sind, auch in Zukunft die großen Verlierer sein werden. Die drei großen Punkte sind der Wasserverbrauch, die Degradation der Böden und der Klimawandel. Durch unseren Ernährungs- und Lebensstil importieren wir viele wasserintensiv hergestellt Produkte.
DIE FURCHE: Benachteiligten Ländern können wir neben der Entwicklungszusammenarbeit durch unseren Konsumstil helfen. Viele Österreicher sind an nachhaltigem Konsum interessiert, aber nur zehn Prozent geben an, diesen Vorsatz umzusetzen.
Holzinger: Das ist menschlich. Es geht eher darum, unter welchen Bedingungen sich ganze Gesellschaften ändern können. Es ist möglich, sich neue Routinen anzueignen. Ich bin jetzt mit dem Zug und mit dem Rad hergefahren und für mich war das sehr angenehm. Jemand anderer würde das vielleicht stressig finden. Für mich wäre die Autofahrt stressig. Dennoch wird die Entscheidung im Supermarkt nie jene im Parlament ersetzen.
Schuster: Ja, nachhaltiger Konsum muss leicht umsetzbar sein. Sonst werden die Menschen erst anders handeln, wenn ihre Ressourcen erschöpft sind. Die Raucher wissen auch, es ist ungesund und rauchen weiter. Solange das Angebot da ist, befriedigt man nicht nur Bedürfnisse, sondern Begierden – inklusive der Statussymbole.
DIE FURCHE: Ist ein nachhaltiges Leben derzeit nicht noch eine kostspielige Elitenfrage?
Gleißner: Das ist umgekehrt. Es ist erwiesen, dass sich die Unterschicht stärker mit Statussymbolen identifiziert als die Oberschicht: Der größte Flachbild-Fernseher, etc.
Schuster: Ich würde schon sagen, dass reichere Menschen eher auf Bio-Produkte achten. Solange die Sozial- und Umweltkosten im Preis nicht inbegriffen sind und die Produkte billig bleiben, werden untere Schichten eher billig kaufen. Aber die Eliten haben einen größeren ökologischen Fußabdruck, weil sie mehr importierte Produkte konsumieren, fliegen und Auto fahren.
DIE FURCHE: Da ist Idealismus gefragt. Wer verzichtet schon freiwillig auf das Fliegen?
Schuster: Man muss nicht verzichten, aber es muss teurer werden. Meine Kollegen sind immer aus Überzeugung mit dem Zug nach Brüssel gefahren. Das geht nicht mehr, weil die Flüge so billig sind, dass die öffentliche Hand nicht bereit ist, teurere Züge zu zahlen. Die Bahn kann nicht konkurrieren, die Züge werden eingestellt. Die Rahmenbedingungen müssen so sein, dass Schäden eingerechnet werden. Das muss durch den Preis oder politische Vorgaben reguliert werden.
Gleißner: Hier gibt es natürlich auch Interessenskonflikte: Kaufe ich Produkte, die quer durch die Welt verschifft wurden oder kaufe ich heimische Produkte? Ansonsten glaube ich, dass Österreich eine relativ ressourcenschonende Ökonomie betreibt.
Schuster: Nein, nicht in allen Bereichen.
Gleißner: Im internationalen Vergleich.
Schuster: Nein.
Gleißner: Es hilft nichts, wenn wir allein voranschreiten und der Rest der Welt tut nichts. Wir allein retten den Planeten nicht.
Schuster: Ja, aber Österreich gehört selbst in der EU zu den Ländern mit dem höchsten Ressourcenverbrauch pro Kopf. Beim Flächenverbrauch, der Verbauung landwirtschaftlicher Böden und im Bauwesen verbrauchen wir viel mehr als Deutschland.
Gleißner: Weil wir einen hohen Industrieanteil haben. Natürlich verbraucht eine Dienstleitungsgesellschaft wie Großbritannien nicht soviele Ressourcen wie eine industrielastige Gesellschaft wie Österreich. Aber wir haben einen höheren Anteil an erneuerbaren Energien und Recycling.
Holzinger: Wofür ich mein Geld ausgebe, ist schon Zeichen eines Wertes und einer Wertschöpfung. Wenn ich Bio-Produkte nachfrage und mit der Bahn fahre, erzeugt das eine andere Wertschöpfung. Als einzelner kann man aber nur eine alleinstehende Entscheidung treffen. Deshalb geht es um einen Strukturwandel in der Wirtschaft. Man sollte ein Pickerl zur Kennzeichnung der Reparaturfähigkeit von Produkten einführen. Oder eine viel höhere Rücknahmegebühr bei Waren, in denen Rohstoffe enthalten sind. Es muss sich auf dem Markt rechnen. Da sind wir noch nicht mutig genug.
Gleißner: Wir leben aber im Binnenmarkt in einer offenen Wirtschaft. Wir sagen immer, dass wir ressourcenschonend arbeiten müssen, aber wenn nur Österreich diese Belastungen einführt, kaufen die Leute ihre Waren einfach im Ausland, wo es weniger strenge Reglementierungen gibt. Diese Vorschläge muss man europaweit diskutieren.
Holzinger: Ja, aber das könnte man über Steuern regulieren: Auf Lebensmittel und alltägliche Bedarfsgegenstände niedrige Steuern und auf importierte Produkte sehr hohe Steuern. Es stimmt nicht, dass wir den Ländern des Südens helfen, wenn wir ihre Agrarprodukte abkaufen. Wir sollten ihnen das Know-How geben, das ihren Fortschritt und ihr Wachstum fördert.
Gleißner: Das wollte ich nicht sagen. Ich finde nur, dass wir uns nicht anmaßen sollten, die Probleme in Afrika lösen zu können.
Holzinger: Aber wir sollten unser Know-How zur Verfügung stellen.
Gleißner: Natürlich. Aber nicht nur Ressourcennachhaltigkeit ist wichtig, sondern auch die demografische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. In Nigeria allein kommen mehr Menschen zur Welt als in ganz Europa. Beide Systeme sind nicht nachhaltig.
Die Furche: Welche Rolle spielt Bewusstseinsbildung?
Schuster: Man muss Bewusstsein schaffen, welche Auswirkungen das Handeln des einzelnen hat. Als Umweltministerium haben wir viele bewusstseinsbildende Instrumente zur Verfügung gestellt. Ich empfehle unsere Homepage www.umweltgesamtrechnung.at. Es gibt auch die Homepage www.bewusstkaufen.at mit unglaublich vielen Informationen für Konsumenten.
Die Furche: Herrscht in puncto nachhaltiger Konsum nicht eine Doppelmoral? Bio- Produkte sind beliebt, aber das billige H&M Shirt aus Bangladesch bleibt ein Bestseller.
Schuster: Ein Gegenbeispiel: Die Homepage www.topprodukte.at, wo die energiesparendsten Geräte aufgelistet werden, hat eine Million Zugriffe im Jahr. Wenn man das Know-How anbietet, nehmen die Österreicher es an. Wenn ein Installateur weiß, wie man eine Solaranlage montiert und sie anbietet, werden sie die Leute auch kaufen. Es geht darum, alle Ebenen der Gesellschaft zu schulen.
Die Furche: Wäre es nicht am nachhaltigsten, an den Schulen zu starten?
Schuster: Bildung ist der Nachhaltigkeits-Tipp schlechthin. Sowohl an den Schulen als auch in der breiten Bevölkerung. Man muss den Menschen klarmachen, dass sie nicht einen noch größeren Fernseher brauchen, sondern dass es viel erfüllender ist, in einem sozialen Gefüge zu leben.
Die Furche: Wie passt dieser Ansatz mit den Interessen der Wirtschaft zusammen?
Gleißner: Nachhaltig leben ist ja kein Selbstzweck, sondern soll nachfolgenden Generationen nützen. Aber wir stellen die Weichen in Richtung der Finanzierung dieses Pensionssystems – nicht in Richtung Zukunft. Die Regierung will das Budget für Pensionen mittelfristig um 5,5 Milliarden Euro steigern. Die Ausgaben für Bildung, Frauen, Wissenschaft und Jugend betragen gerade einmal ein Drittel davon.
Holzinger: Der Anteil der Menschen im Erwerbsleben nimmt ab. Es geht aber auch um die Qualität der Jobs. Ich bin für weniger, aber dafür bessere Arbeitsplätze. Was wir sozial und kulturell vererben, wird ausschlaggebend dafür sein, wie nachfolgende Generationen leben und sich bilden. Die Fragen werden sein, wie wichtig Materielles und Karriere noch sein werden. Meine These ist, dass der nächsten Generation Mobilität wichtiger sein könnte als Besitz.
Die Furche: Wie kommt man weg von diesem Besitzdenken? Viele wollen ihr Auto in Wien vor der Tür stehen haben.
Schuster: Viele Junge wollen kein eigenes Auto, das viel kostet, sondern machen Carsharing. Viele Personaler tun sich immer schwerer, hochqualifizierte Arbeitskräfte für Überstunden zu finden, denn die Jungen wollen lieber mehr Freizeit. Ich glaube nicht, dass es der Wirtschaft schadet, wenn die Menschen mehr teilen, es muss nur andere Angebote geben. Wenn Firmen Tauschbörsen anbieten, wie sich das Modekettenüberlegen, könnten sie daran verdienen.
Die Furche: Ist die Österreichische Wirtschaft da zuwenig innovativ?
Gleißner: Wenn es die Nachfrage gibt, gibt es auch das Angebot. Ich sehe nicht, dass neue Generationen so anders ticken. Die Rush Hour des Lebens ist die gleiche und die Jobchancen werden schlechter. Außerdem werden die Lohnkosten immer höher. Nachhaltige Politik würde mehr in Kinderbetreuungseinrichtungen investieren.
Die Furche: Wie verändert sich das Gleichgewicht bei einer höheren Zuwanderung?
Gleißner: Qualifizierte Zuwanderung kann eine Hilfe sein, wenn die Zuwanderung kontrolliert erfolgt. Man sollte aber die Probleme jeweils vor Ort lösen.
Holzinger: Trotz Zuwanderung wird die Bevölkerung schrumpfen. Wir können weitermachen wie bisher, dann müsste die Wirtschaft weiter wachsen. Oder wir verteilen unseren Wohlstand besser. Warum sollen wir mehr arbeiten, wenn wir technologisch hoch entwickelt sind? Man sollte die verfügbare Arbeit besser verteilen.
Gleißner: Ich befürchte, dass wir bis zu einem gewissen Grad zum Wachstum verdammt sind. Der Staat verspricht jetzt hohe Pensionen, für die noch nicht einmal sicher ist, ob das eingehalten werden kann. Außerdem ist die durchschnittliche Arbeitszeit in Österreich rückläufig.
Die Furche: Werden wir unsere Ansprüche zurückschrauben müssen?
Schuster: Große Teile der Bevölkerung in Österreich haben genug Materielles. Wirtschaft muss anders gedacht werden, es muss mehr in Dienstleitung investiert werden. Wir spüren den Ressourcenverbrauch ja jetzt schon. Die Syrienkrise etwa ist zum Teil auch dem Klimawandel zuzuschreiben.
Gleißner: Wenn die Bevölkerung in manchen Erdteilen explodiert, kommt es natürlich zu Verteilungskämpfen. Deswegen sollte man in Entwicklungsländern viel in Frauen und Bildung investieren.
Holzinger: Wir leben ökologisch über unsere Verhältnisse, sozial und kulturell aber unter unseren Möglichkeiten. Wir werden in Zukunft nicht nur anders produzieren und konsumieren, sondern auch weniger – und das als Bereicherung empfinden. Weniger wird mehr.
Rolf Gleißner #
Rolf Gleißner ist Jurist und arbeitet seit 1997 für die Wirtschaftskammer Österreich. Er ist stellvertretender Abteilungsleiter im Bereich Sozialpolitik. Seine Spezialgebiete sind Arbeitsmarkt, Demografie, Kollektivverträge, Sozial- und Pensionssystem.Martina Schuster #
Die Ökonomin arbeitet seit 1984 im Umweltministerium. Zunächst im internationalen Bereich, leitet Schuster seit 1989 die Abteilung für Wirtschafts- und Energiepolitik. Ihre Schwerpunkte sind nachhaltige Wirtschaftspolitik und Green Economy.Hans Holzinger #
Der Geograf mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialgeografie ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert Jung Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Er forscht zu nachhaltigen Wohlstandsmodellen, Entwicklung sowie Post-Wachstumsökonomie.Weiterführendes#