Auch in leeren Tabernakeln ist Jesus gegenwärtig #
Flugblatt von Gottfried Bachl#
Von
Gottfried Bachl
Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit, Nr. 60/2012
In ihrem Hirtenschreiben, das die Bischöfe der katholischen Kirche in Österreich eben erscheinen ließen, kommt auch das Thema Eucharistie und geweihte Priester zur Sprache. Das geschieht in einem Ton der Schmerzlichkeit und der Ratlosigkeit, dass man als Mitglied der Kirche, der sie vorstehen, verblüfft ist. Sollte es denn wahr sein, dass die amtlichen Leiter der Diözesen nicht imstande sind, aus ihrer eigenen theologischen Bildung, aus dem solidarischen Tausch ihrer Erfahrungen genug Kompetenz und Kraft zu schöpfen, um zur Lage der Glaubensgemeinschaft sachgerecht, zuversichtlich und verbindlich sprechen zu können? Ich will nicht den ganzen Text des Briefes besprechen, sondern nur jene Sätze in Betracht ziehen, in denen die Bischöfe von der eucharistischen Aushungerung der Gemeinden und vom wesentlichen Unterschied zwischen Wortgottesdienst und Eucharistiefeier sprechen.
Zuerst also zum dramatisch geladenen Klagewort vom eucharistischen Hungerzustand. Da heißt es: „Zeigt nicht gerade die unvergleichliche Bedeutung der Eucharistie dass es genügend geweihte Diener der Eucharistie geben muss, damit die Gemeinden nicht eucharistisch aushungern“? Das, wonach gehungert wird, ist offenbar nicht da, das nährende Brot fehlt. Die Nahrung aber, die in der Eucharistie gegeben wird, ist Jesus, der Messias, der Sohn. Der Hunger, von dem hier gesprochen wird, wäre also die Entbehrung der realen Gegenwart Christi in der Gemeinde. Wenn das zutrifft, erleidet diese in der Tat den größten Fehl, der denkbar ist. Das ist offenbar der Fall, wie der Sprachgebrauch in der gegenwärtigen Diskussion zeigt. Bei vielen Wortmeldungen ist die Lautstärke in der quasi selbstverständlichen Annahme begründet, dass es außerhalb der Eucharistie keine wirkliche oder höchstens eine sehr eingeschränkte, keinesfalls vollständige Gegenwart Christi gibt.
Da in der römisch katholischen Kirche das sakramentale Amt ausschließlich dem zölibatären Priester übertragen wird, muss sich ein Nachlassen oder der Ausfall in der genügenden Zahl des geweihten Personals negativ auf die sakramentale Versorgung der Gemeinden auswirken. In dieser Konjunktion artikuliert sich heute ein guter Teil dessen, was die Not der pastoralen Lage genannt wird. Droht die jesuslose Zeit? Es ist schon ein starkes Stück, das die offiziellen Lehrer des Glaubens in ihrer Epistel liefern. Die Kirche feiert das Sakrament der Taufe, durch das die Menschen in das Pascha-Mysterium Christi eingefügt werden. „Mit Christus gestorben werden sie mit ihm begraben und mit ihm auferweckt… Durch die Taufe werden wir ja mit Christus gleichgestaltet.“ So spricht sie in ihren Bekenntnissen von allen Sakramenten, getragen von der Freude am Evangelium, erfüllt von der Gewissheit, dass die Gnade der Sakramente unteilbar in jedem heiligen Zeichen vollständig und wirksam da ist.
Im Hirtenbrief lesen wir nun, dass trotzdem gehungert wird, nach dem Sakrament der Eucharistie, weil zu wenig befugte Spender zur Verfügung stehen. Es gibt zwar die anderen Sakramente, sie werden auch vollzogen, aber es ist als gäbe es sie nicht. Das Defizit in der Eucharistie kann durch die Summe der übrigen Gnaden nicht aufgewogen werden, lehren die Bischöfe. Der Jesus, den die nichteucharistischen Zeichen bringen, ist quasi niemand. Denn es könnte wohl von Hunger nicht die Rede sein, wenn man lebendig vor Augen hätte, wie vielfältig das christliche Sakrament geschieht. Wie kommt es zu dieser Engführung weg von der Vielfalt hin zur Einfalt des sakramentalen Lebens? In der Alarmstimmung, die in den pastoralen Kanzleien ausgebrochen ist, brennt offenbar manche Sicherung durch.
Droht, wenn das Kirchenschiff weiterhin so talab geht, die jesuslose Zeit? Wird die Jungfrau Maria rechtzeitig in die Speichen greifen? Ich habe eine erkleckliche Zahl düsterer Prognosen zu Gehör bekommen. Meine Vermutung ist aber einfach: Die Aufregung kommt bei vielen aus der Überzeugung, dass Jesus nur in der Eucharistie wirklich gegenwärtig ist. Dass nur die Wandlungsworte des Priesters die reale Anwesenheit des Heilands bewirken. Im Hintergrund dieser Mentalität geschieht eine massive religiöse Wertung, die im Neuen Testament nicht zu finden ist. Wer realisiert im lebendigen Glaubensgefühl, dass die Krankensalbung so wahr wie die Eucharistie der heilige Augenblick ist, in dem Jesus der Retter und Erlöser da ist? Die liturgischen Gebärden der Salbung sind gewiss nicht geringer einzuschätzen als die Kniebeugen und Verneigungen während der Messe.
Und eine andere bedenkliche Äußerung der Bischofkonferenz: „Die Grenze zwischen Eucharistiefeier und Wortgottesdienst darf nicht verwischt werden. Hier steht die Einheit der Kirche auf dem Spiel. Nichts kommt der Begegnung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn gleich, die uns in der Eucharistie geschenkt wird.“ Das Papier der Bischöfe enthält keine Erläuterung, was mit der genannten Grenze gemeint ist. Wenn ich den Text in seiner konkreten Fassung lese, muss ich zur Kenntnis nehmen, dass der behauptete Unterschied noch einmal im realen Maß der Gegenwart Christi besteht, das in seiner Fülle nur in der Eucharistie sicher gegeben ist. Der Wortgottesdienst, sagt man, ist nur ein Wort-Geschehen, die Eucharistie hingegen ist ein Ding-Geschehen, und dieses bringt mehr Wirklichkeit als jenes, im Wort geschieht also nur eine notdürftige, vorläufige Andacht, während im dinghaften Nahrungssakrament die greifbare Ganzheit erscheint.
Aus diesem Grund darf hier keine Verwechslung und keine Verwischung passieren. Was geschieht in dieser Sprachregelung? Die exklusive Bestimmung eliminiert nicht nur alle weltlichen Zeichen und Symbole, nicht nur die Sakramentalien, sondern alle anderen Sakramente aus dem inneren Bereich der religiösen Bedeutung, das Super-Sakrament übertrifft alles andere mit dem Gewicht des Wesentlichen. Auch hier ist der Zusammenhang mit dem Priesteramt nicht zu übersehen. Die hohe Würde der geweihten Person besteht oft genug und immer noch in der Wandlungsvollmacht. Wahrscheinlich ist eines der gröbsten Hindernisse im Gespräch der kirchlichen Gruppen die verschiedene Vorstellung von dem, was die Ursächlichkeit der Gnade genannt werden kann. Im Hirtenbrief hallt nach, was an verbogenen Vorstellungen immer wieder dem Sakrament geschadet hat.
Ich sehe nicht, dass sich der Bischofsbrief auf dem Niveau bewegt, das dem Evangelium des AT und NT entspricht. Es braucht für die Korrektur der Verkürzungen aber nichts erfunden zu werden, es genügt, einiges in Erinnerung zu rufen:
Erste Erinnerung#
Das Evangelium des Johannes beginnt so: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dieses geworden und ohne dieses ist nichts geworden von dem, was geworden ist. In ihm war das Leben und da Leben war das Licht der Menschen (1,1-4). Höher kann das Wort nicht gesetzt werden, und es ist keine beiläufige Bemerkung, die Johannes macht: Er schreibt vom Wort-Ereignis, das die gesamte Wirklichkeit nach allen Seiten innen und außen bestimmt. Das Wort ist eine pfingstliche Größe.
Zweite Erinnerung. #
Als Ratzinger noch Präfekt der Glaubenskongregation war, schrieb er einen Brief an die katholischen Bischöfe in aller Welt. Es ging um die Frage, ob geschiedene wiederverheiratete Eheleute die Kommunion empfangen dürfen. Der Vatikan hat dazu nein gesagt, und Ratzingers Aufgabe war es, den Bischöfen und den betroffen Eheleuten den Sinn dieses Verbotes zu erläutern. Er sagte den bekümmerten und anklagenden Christen, die sich beraubt und allein gelassen fühlten, dieses: Wer sich in solcher Lage befindet, dem ist es verwehrt, die Kommunion zu empfangen. Das ist ohne Zweifel ein Verlust, und mit diesem Verlust soll ihm bedeutet werden, dass er sich mit seinem ehelichen Verhalten in gravierendem Abstand zur offiziellen Eheordnung der Kirche befindet.
Mit dieser Maßregel ist aber nicht gemeint oder gar irgendwie angeordnet, dass die Verbindung mit Jesus aufgehoben, zerrissen oder irgendwie vermindert worden sei. Wer aus Gründen der kirchlichen Disziplin von der eucharistischen Kommunion ausgeschlossen ist muss keineswegs den gnadenhaften Kontakt mit Jesus verlieren. Die vielen anderen Möglichkeiten können genützt werden. Also: die Einschränkung der Gegenwart Jesu auf die Eucharistie ist damit grundsätzlich verneint. Es ist möglich, mit Jesus zu leben, und sich zugleich im Abstand zur kirchlichen Gemeinschaft zu befinden. Das ist eine sehr deutliche Relativierung der kirchlichen Ordnungsform. Zu diesem Verkehr mit Jesus bedarf es keiner priesterlichen Vermittlung, man könnte von einer Oase der spirituellen Autonomie sprechen. Wer nützt sie?
Dritte Erinnerung#
Im Hintergrund der sakramentalen Frömmigkeit und mancher Theologie hat sich eine starke Faszination festgesetzt, die mit dem spontanen Wirklichkeitsgefühl verbunden ist. Wirklich wird demnach etwas durch eine bestimmte Art des Machens. Das Tun des Priesters an der Hostie und am Wein wird als herstellende Ursächlichkeit (causa efficiens) beschrieben. Er macht die Gegenwart Jesu Christi, indem er die Wandlungsworte spricht. Die Wirkung geschieht in der Form einer zwingenden Automatik. Das christliche Sakrament kommt aber weder durch eine physikalische Wirkung, noch durch einen Befehl zustande, sondern allein, weil Gott die Bitte um seine Gegenwart, um die Gegenwart des Christus und des Heiligen Geistes erhört.
Vierte Erinnerung#
Die Gegenwart Gottes ist keine klerikale Angelegenheit, denn die Priester sind nicht die handwerklichen Fachkräfte, die sie allein herstellen oder irgendetwas erzwingen können, sondern die bestellten Vor-Beter inmitten der Gemeinde. Wir haben es nicht mit Mechanismen zu tun, die auf Gott einwirken, um ihn näher herbeizubringen. Weder eine räumliche Bewegung noch eine psychologische Motivation ist nötig oder möglich, um seine Anwesenheit zu beschaffen. Gott ist von sich aus da.
Fünfte Erinnerung#
Alles, was von der Eucharistiegegenwart Jesu gesagt wird, muss auch von den anderen Sakramenten und sonstigen Gegenwartsformen gesagt werden: Christus ist wahrhaft, wirklich, substanzhaft, mit Leib und Blut, Seele und Gottheit da. Was sollte denn einem anderen Sakrament von diesen Vorzügen der Eucharistie fehlen? Der Unterschied in den Zeichen kann nicht hier liegen, sondern ist auf der Ebene der Struktur gegeben. Die Eucharistie ist das Tischsakrament, das die elementare Form des Nahrungsaktes aufnimmt, in sozialer und biologischer Hinsicht. Der Mehrwert, den die vollständige Euchariestiefeier bringt, besteht nicht in mehr Gegenwart Jesu, sondern im unverwechselbaren Zeichen der Mahlzeit, in der die Gemeinschaftlichkeit des Glaubens erscheint.
Sechste Erinnerung#
Die steigende Zahl und Beliebtheit der Wortgottesdienst könnte dem Bischof auch Freude machen. Was helfen uns die depressiven Raunzereien? Öffnet sich nicht heute ein neuer Horizont, ein Kairos, wie die Griechen den günstigen, gottgeschenkten Augenblick genannt haben? Der eigentümlich katholische Hunger nach dem Wort wird kuriert. Das Gebet, die Kontemplation, die Weisheit wird lebendiger, reicher, überraschender. Ihr Bischofsleute, gebt dem Sonntag was auch des Sonntags ist – den Wortgottesdienst.
ceterum censeo: in selbsterzeugten Nöten verdient man, lang allein gelassen zu werden.
Dr. Gottfried Bachl, Jg. 1932, ist emeritierter Universitätsprofessor für katholische Dogmatik. Er studierte Theologie in Rom und wurde 1959 zum Priester geweiht. Seit 1983 lehrte er an der Theologischen Fakultät der Universität Salzburg.