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„Kirchenspaltung“ – was ist das wirklich?#

Von

Herbert Kohlmaier

Aus: Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 165/2015


Im Herbst dieses Jahres hat die Laieninitiative ihr Dokument „Die Kirche vom morgen“ veröffentlicht. In diesem wird dargelegt, welche zeitgemäße Verfassung sich die Kirche geben müsste, „um den Niedergang abzuwehren“. Sie wurde als Frucht eines künftigen Erneuerungskonzils dargestellt, in dem die Kirche auch ihre Fehler und Irrtümer bekennen sollte. Interessanter Weise tauchte so ein Gedanke des Bereuens bei der Familiensynode im Bericht der deutschsprachigen Gruppe auf, er wurde aber nicht realisiert.

Die Laieninitiative hat in einer Umfrage nachgeforscht, ob die mit ihr sympathisierenden Personen die im Dokument enthaltenen Fordrungen für richtig finden. Dies ist bei allen Forderungen überwiegend und hinsichtlich der meisten sogar sehr weitgehend der Fall. Auch die sonst eingelangten Stellungnahmen waren durchaus positiv. Darunter befand sich auch eine des Professors für Rechts- und Verfassungsgeschichte an der Universität Wien Thomas Olechowski. Sie sei hier in ihrem wesentlichen Inhalt wiedergegeben:

„Mit dem Dokument ‚Die Kirche von morgen’ hat die Laienbewegung einen mutigen Schritt nach vorne gewagt und ein Forderungsprogramm erhoben, das ich als Maximalforderung, als Verhandlungsbasis für tatsächlich Erreichbares sehe. Die Forderungen gehen weit über die sattsam bekannten Themen wie Zölibat und wiederverheiratete Geschiedene hinaus; gefordert wird eine Gesamtreform der ganzen katholischen Kirche. Dabei ist festzuhalten, dass die einzelnen Punkte im Allgemeinen wohlüberlegt und theologisch gut begründet sind. Das gilt auch für jene Forderungen nach einem allgemeinen Priestertum, nach einer Ablehnung der Kindertaufe oder nach einer Neufassung des Glaubensbekenntnisses.

Zu bedenken ist allerdings, gerade bei den drei genannten Beispielen, dass damit an Traditionen der Kirche gerüttelt wird, die zum jahrhundertealten Bestand derselben gehören und damit zu ihrer Unverwechselbarkeit mit anderen Kirchen beitragen. Würden alle diese Forderungen tatsächlich erfüllt, so wäre die Identität der Kirche eine andere, und man würde vielleicht ebenso viele Christen vor den Kopf stoßen wie nun Christen gegen ihren Willen von der Kirche ausgeschlossen sind oder sich nicht mit ihr identifizieren können. Religion ist eben nicht nur Verstandessache. Ich sehe daher die Gefahr, dass das Reformvorhaben der Laienbewegung in ähnliches Fahrwasser gerät, wie schon so viele Reformationen vor ihr, nämlich zu einer Kirchenspaltung führt.

Das darf nicht sein! Die Laienbewegung muss Teil der katholischen Kirche bleiben und der Öffentlichkeit zeigen, dass die Kirche mit mehreren Stimmen spricht. Sie muss das Salz in der Suppe sein, das nur in der genauen Dosierung schmackhaft ist. Nur unter diesen Voraussetzungen darf, ja muss die Laienbewegung weitermachen.“

Ernst zu nehmende Überlegungen#

Die von Olechowski vorgebrachten Überlegungen sind in der Tat ernst zu nehmen, regen aber darüber hinaus an, sie zum Anlass einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Thema „Kirchenspaltung“ zu nehmen. Es wird vor einer denkbaren Entwicklung gewarnt, die zu vermeiden wäre, nämlich dass sich eine Laienbewegung in einem Ausmaß vorwagt, welches die Identität der Kirche in Frage stellt und sich als Folge nur mehr ein Teil der Gläubigen in dieser wiederfinden würde. Ein völlig unterschiedliches Verständnis von Kirche überhaupt könnte also entstehen, was Trennung und Abspaltung befürchten ließe.

An dieser Stelle ist zunächst zu betonen, dass die Laieninitiative grundsätzliche Loyalität zur Kirche empfindet. Sie betont – so wie auch die anderen Reformbewegungen – immer wieder, dass erforderliche Änderungen nur von innen herbeigeführt werden können. Diese werden aber als unbedingt notwendig angesehen, um die Kirche zukunftsfähig zu machen und vor weiterem Bedeutungsverlust zu bewahren. Natürlich muss dabei auch Manches in Frage gestellt werden, was bisher scheinbar zur Identität der Kirche gehört!

So ist etwa der Pflichtzölibat der Geistlichen ein typisches Markenzeichen der Kirche Roms, aber es besteht kein Zweifel, dass seine Beseitigung von großem Vorteil wäre. Sie würde wohl nicht dazu führen, dass dann der spezifische Charakter der katholischen Kirche zu vermissen wäre. Abgesehen davon, dass die unierten Ostkirchen bereits den Gegenbeweis liefern, wäre etwa das Auftreten der Priester in allen Gottesdiensten auch dann noch immer unbeeinträchtigt „typisch katholisch“, wenn sie am Finger ihrer Hand einen Ehering trügen.

Es geht Olechowski also ganz offensichtlich um „Überforderung durch Ausmaß und Geschwindigkeit“ von Veränderungen. Ihm ist als Historiker aber sicher bewusst, welche Vielzahl von tief greifenden Änderungen in der Kirche erfolgte, die nicht zur Spaltung führten. Sie ergaben sich aus dem natürlichen Wandel der Auffassungen im Zuge wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritts. Markantes Beispiel dafür ist die Erklärung Nostra aetate des Konzils. Judenfeindlichkeit und strikte Ablehnung aller anderen Religionen könnte man sehr wohl als früheres Identitätsmerkmal der Kirche verstehen, aber die notwendigen Korrekturen haben sicher zur Bildung einer neuen und attraktiveren Identität beigetragen.

Es ist zuzugeben, die umfassende Zusammenstellung von tiefgreifenden Änderungen der Kirchenverfassung im Dokument der Laieninitiative schockierend wirken kann, und das auch auf solche, die Reformen nicht abhold sind. So sah sich etwa Weihbischof Krätzl in einer persönlichen Bemerkung gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen zur Aussage veranlasst, ein Verlangen von zu viel auf einmal wäre zu missbilligen. Hier muss man aber die Absicht der Laieninitiative recht verstehen. Sie läuft seit Jahren gegen eine stumme Wand des Ignorierens. Das wirft die Frage auf, wie sinnvoll es ist, immer wieder bloß einzelne Kritikpunkte vergeblich vorzubringen und zu wiederholen.

So erschien es angezeigt, einmal alles zusammenzufassen, was im Forderungskatalog der Reformgesinnten steht – wohl wissend, dass es völlig unrealistische wäre, eine Umsetzung bald und auf einmal zu erwarten. Aber es muss gestattet sein, ein Idealbild zu zeichnen und zur Diskussion zu stellen. Damit kann eine Zielmarkierung auf lange Zeit erfolgen, womit später alles, was davon und nur zum Teil realisiert wird (werden kann), gleichsam „abgehakt“ auf einer Agendaliste nachhaltiger Kirchenerneuerung wäre. Daneben bliebe eben dann auch anderes noch zu erledigen.

Findet nicht längst „Spaltung“ statt?#

Wenn Olechowski vor Spaltung warnt, sieht er die Gefahr, dass ein Teil der katholischen Kirchenmitglieder sehr weit reichende Reformen ablehnen und sich von der Gesamtkirche lösen würde. Das wäre zweifellos etwas prinzipiell Neues. Die großen Kirchenspaltungen der Geschichte hatten ja nicht diesen Grund, sondern es entstanden unüberbrückbare Auffassungsunterschiede in zentralen theologischen Fragen. Nicht zu rasche Bewegung Roms geschah da, sondern vielmehr das Beharren und die Verdammung des Abweichenden. Anders und so wie von Olechowski gesehen war es hingegen in der jüngeren Vergangenheit bei der Piusbruderschaft, der die Fortschritte des Vatikanums zu weit gingen und die das Band der Einheit zeriss.

Dass sich derartiges in größerem Umfang ereignen würde, sollte sich die Kirche eine neue Verfassung geben und sich total „modernisieren“, ist allerdings wenig wahrscheinlich. Sicher würden bestimmte konservative Kreise dagegen hartnäckig ankämpfen, doch muss für den Fall eines gescheiterten Widerstands und entstehender Trennungsabsichten bedacht werden, wer aller dem folgen sollte? Leider ist das, was die Kirche tut, für die meisten Menschen überhaupt nicht mehr wichtig, die Bereitschaft, sich einer abgespaltenen Gruppe Veränderungsunwilliger anzuschließen, wäre wohl sehr gering. Das Ergebnis zahlreicher durchgeführter Erhebungen weist hingegen regelmäßig nach, dass die weitaus überwiegende Zahl der Katholiken und Katholikinnen das geltende und dann angeblich zu „rettende“ Kirchenmodell missbilligt.

Zu denken muss ebenso geben, was die vom Papst vor der Synode verfügte Umfrage überdeutlich sichtbar machte: Was den Gläubigen vorgegeben wird, findet kaum Beachtung. Ein konsistentes Gebilde ist die römisch-katholische Kirche also längst nicht mehr! Der Befund zeigt vielmehr, dass es bereits zahlreiche „Spaltungen“ gibt, die sich aber nicht als Trennungen in organisierter Form erkennen lassen. Abgesehen von der allgemein wahrgenommenen Unterscheidung der Gesinnungen im Sinne von konservativ und progressiv ist geradezu eine Kluft zwischen großen Teilen der Hierarchie und dem Kirchenvolk entstanden. Beide denken ganz anders, sie leben in einer anderen Welt. Dazu kommen noch regionale und kulturelle Unterschiede keineswegs geringer Art. Das Bild wäre mit dem Blick auf Organisationen besonderen Glaubenseifers zu ergänzen, die sich innerhalb der Kirche gebildet haben und Besonderheiten aufweisen, die mit der Lehre nicht im Einklang stehen und schon gar nicht mit heutigem Glaubenverständnis.

Zu all dem kommt nun bemerkenswerter Weise, dass cum grano salis auch Papst Franziskus beträchtliche Schritte einer „Spaltung“ setzt. Damit ist nicht gemeint, dass er die Konservativen absichtlich vor den Kopf stößt, er begibt sich vielmehr mit seiner sehr offenen und toleranten persönlichen Haltung in einen unübersehbaren Gegensatz zur bestehenden rigiden Ordnung der Kirche. Er sieht sich zwar auf dem Boden der Lehre stehend, aber im Gegensatz zu seinen unmittelbaren Vorgängern nicht als bedingungsloser Exekutor kirchlichen Vorschriftenwesens. Wenn, wie mehrfachen Äußerungen des Papstes zu entnehmen ist, Geisteswirken und Gewissen mehr Bedeutung als alles andere haben, scheiden sich zwar nicht Gruppierungen in der institutionalisierten Glaubensgemeinschaft, aber unterschiedliche Glaubensmodelle werden sichtbar, wie sie schon ganz von Anfang an einander gegenüberstanden – von Paulus bis Luther.

Die wie geschildert wahrlich nicht mehr einige Kirche steht also längst und vielfach dem von Olechowski genannten Phänomen gegenüber, dass Menschen, die an sich Glaubende sind, sich mit ihr nicht mehr identifizieren können. Was sonst als das führt zu massenhaften Austritten und vielfacher innerer Loslösung? In beträchtlichem Ausmaß aber auch zum Übertritt zu Freikirchen verschiedener Art? Die Kirche franst derzeit gleichsam an den Rändern aus und es verwundert, dass von offizieller Seite nicht vor dieser neuen Form der „Spaltung“ gewarnt wird, sondern dass man den neuen kirchlichen Gemeinschaften freundlich und verbindlich gegenübertritt. Hat man das Ideal einer „katholischen“, also allumfassenden Kirche, schon abgeschrieben?

Für eine neue Sammlung#

Somit erhebt sich die Frage, von welchem Gebilde weg sich eigentlich eine weitere Spaltung in der Form des von Olechowski befürchteten Exodus traditionsverbundener Christen entfernen sollte. Existiert doch eine ihren Lehren und Geboten tatsächlich entsprechende Kirche im Sine einer konsistenten Glaubensgemeinschaft längst nicht mehr. Ein verwirrendes Bild entstand, die Entwicklung ist Rom total entglitten. Ob die neuen Ansatzpunkte des Papstes für einen wiederzugewinnenden Zusammenhalt geeignet sind, muss sich erst erweisen. Eigentlich wäre eine neue Anstrengung der „Sammlung“ nötig, nicht im organisatorischen, sondern im geistigen Sinne!

Versuche dazu gab und gibt es immer wieder, nämlich im Sinne einer „Neuevangelisierung“. Diese hat aber weniger mit dem Evangelium als mit der längst nicht mehr zeitgemäßen kirchlichen Lehre zu tun und ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Bei einer erfolgversprechenden Sammlung müsste man sich erst am Bild des biblischen Hausvaters orientieren, der aus seinem reichen Vorrat „Altes und Neues hervorholt“ (Mt 13, 52), danach aber am Wort des Paulus: „Alles prüfet, das Gute aber behaltet.“ (1 Thess 5, 21.) Es soll also nie alles mitgeschleppt werden!

Olechowskis Bedenken betreffend das, was Kirchenmitglieder an weiteren Reformen nach denen des Konzils stören und auch verstören könnte, sind verständlich. Angesichts der geschilderten Situation ist es aber wohl naheliegender, dem tatsächlichen und längst bestehenden Unbehagen nachzugehen und zu prüfen, was die Menschen jetzt bereits so sehr stört, dass sie sich abwenden. Man bedenke: Das eine ist, was sich traditionell Eingestellte wünschen, auch solche, die einfach jene Kirche wollen, wie sie ist – aber das ja eigentlich nur mehr „nach der Papierform“. Das andere ist, was heute schon zu vielfacher und existenzbedrohender Spaltung geführt hat, und es ist das wohl sehr viel gewichtigere.

Als einzig möglicher Ausweg bietet sich wohl an, behutsame Schritte zu setzen. Das tut der Papst, wenn er die Strenge des Gesetzes im Einzelfall (durchaus biblisch!) durch Liebe und Barmherzigkeit mildern will. Wem schon das zu weit geht, dem ist nicht zu helfen. So vorzugehen ist freilich nur dann glaubwürdig und sinnvoll, wenn das endgültige Ziel fixiert ist, dem man zustreben will und das man nicht an einem Tag oder in Gewaltmärschen erreichen kann. Dieses Endziel zu beschrieben war Absicht der Laieninitiative. Es wäre schon sehr viel gewonnen und würde wohl niemanden zum Verlassen der Kirche bewegen, wollte man sich in Rom endlich der alles entscheidenden Frage zuwenden, ob man einfach wie bisher weitermachen oder Wesentliches ändern will. Und in letzterem Fall muss ein angestrebter Zustand beschrieben werden, das ist absolut unvermeidlich. Komplett und wohldurchdacht! Dazu beizutragen, kann nicht früh genug geschehen!


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