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PROTESTANTEN PATENT#

Wien 10.
Evangelishe Kirche, Foto Graupp

1886: Morgen werden es 25 Jahre, dass das Protestanten Patent erlassen wurde, und die Evangelischen beider Bekenntnisse rüsten sich, den denkwürdigen Jahrestag festlich zu begehen. Heute hat der Kaiser die Deputation der Protestanten empfangen, welche ihm eine Dankadresse überreichte, und hat bei diesem Anlass huldvolle und bemerkenswerte Worte gesprochen. Mit dem Erlass des Protestanten-Patentes fand vor 25 Jahren die erste Regelung der rechtlichen Stellung der evangelischen Kirche zur Staatsgewalt statt. Das Toleranz-Patent Joseph II. war bis zu dem revolutionären Sturmjahr 1848 das einzige Grundgesetz, auf dessen Basis die Protestanten Österreichs eine Gleichberechtigung vor dem Gesetz verlangen konnten. Dieses Prinzip der Duldung bestätigten die kaiserliche Entschließung vom 26. Dezember 1848, das kaiserliche Patent vom 31. Dezember 1851 und das kaiserliche Patent vom 20. Oktober 1860, aber erst dem Patent vom 8. April 1861 blieb es vorbehalten, die Prinzipien der Duldung in Recht zu verwandeln und die Beziehungen der e vangelischen Kirche zum Staat in unzweifelhafter Weise zu gewährleisten. Wie notwendig der gesetzliche Schutz in Österreich war, davon hat die heutige Generation, welche in Zeiten der Geltung liberaler Gesetze aufgewachsen ist, kaum eine richtige Vorstellung. Die Gemarkungen des heiligen Landes Tirol durften Protestanten und Juden nicht betreten. Und selbst in den slawischen Kronländern, wo die Masse der Protestanten beisammen wohnte, wurden denselben bei der Ausübung ihres Gottesdienstes mannigfache Hindernisse bereitet. Man erschwerte den Bau der Kirchen, und wenn er gestattet wurde, durften die Kirchen keinen Turm und keine Glocken haben, die Begehung religiöser Feierlichkeiten begegnete den allergrößten Schwierigkeiten. Kirchen ohne Turm und Glocke! So kleinlicher Mittel bediente sich die religiöse Missgunst, um den Protestanten in Österreich die Rechtlosigkeit zu demonstrieren, in der sie lebten! Aber das Patent vom Jahr 1861 machte diesen Zuständen ein Ende. Es gab den Protestanten das Recht der selbständigen Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten, es traf Bestimmungen betreffs ihrer kirchlichen Organisation, es gewährte die Freiheit des Glaubensbekenntnisses, es verlieh der General-Synode das Recht zum Erlass von Kirchengesetzen, welche nur der landesfürstlichen Bestätigung bedurften, es gab die Errichtung von Schulen frei. Eine gewaltige Wandlung vollzog sich mit diesem Erlass, welcher ein reiches Füllhorn von Gnaden über die Protestanten Österreichs ausschüttete. Eine gewaltige Wandlung und ein Triumph der Gewissensfreiheit, der religiösen Gleichberechtigung der liberalen und humanen Ideen unseres Jahrhunderts!

Und die Protestanten Österreichs haben sich dieser Gnaden würdig erwiesen. Sie haben diesem Reich viele geistig bedeutende, hervorragende Männer geschenkt, sie haben sich samt und sonders durch ihre edlen Bürgertugenden ausgezeichnet. Kein anderer als unser Kaiser hat das heute anerkannt, als er zu der Deputation der Protestanten die denkwürdigen Worte sprach, mit welchen er bei dem Anlass dieser Überreichung einer Dankadresse der „stets loyalen, maßvollen Haltung“ gedachte, „durch welche sich die Angehörigen beider evangelischer Bekenntnisse der ihnen gesetzlich gewährleisteten Rechtsgleichheit und Freiheit vollkommen würdig erwiesen haben.“ Diese Worte des Monarchen, der das Protestanten-Patent verlieh, sind wohl geeignet, den Glanz der morgigen Feier zu erhöhen, welche Katholiken wie Protestanten begehen sollen, als das Jubiläum eines Gesetzesverfügung, die Jahrhunderte altem Unrecht und Gewissenszwang ein Ende machte.

Heute Mittags 1 Uhr hat Se. Majestät aus Anlass des 25. Jahrestages der Erlassung des Patentes vom 8. April 1861 eine Huldigungs-Deputation der evangelischen Kirche beider Bekenntnisse in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern, bestehend aus dem Präsidenten des evangelischen Oberkirchenrates Dr. Rudolf Franz, den zwei rangältesten Räten Dr. Gustav Frank und Dr. Hermann von Tardy, dann aus den Obmännern des Synodal-Ausschusses Augsburger Konfession, beziehungsweise helvetischer Konfession, Superintendenten Dr. Theodor Haase und Senior Julius Szalatnay empfangen.

Die Deputation legte an die Stufen des Thrones eine Dankadresse nieder. Wobei der Führer Dr. Franz, Präsident des evangelischen Oberkirchenrates, folgende Ansprache hielt: „Eure Majestät! Die evangelische Kirche des augsburgischen und des helvetischen Bekenntnisses in den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern feiert in dankerfüllter Festfreude den 25. Jahrestag des segensreichen Bestandes des Allerhöchsten Patentes vom 8. April 1861, durch welches Ew. Majestät die heißersehnte Gleichberechtigung allergnädigst zu gewähren geruhten...“

Hierauf erwiderte Se. Majestät folgendes: „Mit Wohlgefallen nehme ich den Ausdruck unerschütterlicher Treue und Anhänglichkeit von Ihnen, als den legalen Vertretern der evangelischen Kirche Augsburger und helvetischer Konfession, entgegen. Es gereicht mir zur besonderen Befriedigung, bei diesem Anlass der stets loyalen, maßvollen Haltung anerkennend zu gedenken, durch welche sich die Angehörigen beide evangelischen Bekenntnisse der ihnen gesetzlich gewährleisteten Rechtsgleichheit und Freiheit vollkommen würdig erwiesen haben. Versichern Sie daher Ihre Glaubensgenossen meiner fortdauernden Huld und Fürsorge.“

QUELLE: Morgen Post, 8. April 1886, Österreichische Nationalbibliothek, ANNO

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